© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/99 07. Mai 1999


Kolumne
Schwanger
von Klaus Motschmann

Wer vermag sich eine Klinik für die Nachsorge von Krebspatienten vorzustellen, die sich auf die Beobachtung bestimmter Körperteile des Patienten beschränkt – und dies auch immer wieder offen erklärt. Das mindeste, was wohl bemerkt werden müßte, wäre die Feststellung, daß eine derartige Praxis sowohl die Patienten als auch die Öffentlichkeit über das Wesen dieser Krankheit bewußt täuscht. Es gehört nämlich zur Allgemeinbildung, daß es bei der Behandlung dieser Krankheit nicht allein auf die Beobachtung der erkrankten Organe ankommt, sondern sehr viel mehr noch auf die vieler anderer Organe, die noch nach längerer Zeit von Tochtergeschwülsten ("Metastasen") befallen werden können. Verantwortliche Nachsorge ist insofern immer mit gründlicher Vorsorge verbunden. "Ein bißchen" Krebs gibt es immer nur vorübergehend, ebenso wie "ein bißchen" Schwangerschaft.

Eine Klinik, die diese Tatsache mißachtet, riskiert, daß ihre Patienten nach einer gewissen Zeit "ein bißchen" tot sind. Was also wird mit dieser "ein bißchen"-Argumentation anderes bezweckt als absichtliche Täuschung, bewußte Irritation und Verschleierung von Tatsachen? Die Zeiten, in denen man selbst hochgebildete Patienten mit Diagnosen wie "Geschwulst" über ihren tatsächlichen Zustand längere Zeit hinwegtäuschen konnte – wie Theodor Storm – sind vorbei.

Was in der medizinischen Aufklärung heute gang und gäbe ist, wird in der politischen Aufklärung und Bildung seit einiger Zeit mehr und mehr mißachtet. Dazu gehört beispielsweise die Aussage des Bundes- und Landesverfassungsschutzes, daß die PDS nicht insgesamt, sondern nur bestimmte Teile beobachtet werden, wie etwa die Kommunistische Plattform.

Doch welchen Sinn hat diese Aussage? Zumindest den, daß in der Öffentlichkeit ein absolut falscher Eindruck vom Wesen der marxistischen PDS vermittelt wird: daß die Partei im großen und ganzen eine demokratische Partei wie die anderen auch ist und daß eben nur einige kleinere Grüppchen diesen Schritt zur bürgerlichen Demokratie einstweilen noch nicht mitvollzogen haben. Wenn man in dem eingangs gebrauchten Bilde bleiben darf: daß noch einige Metastasen da und dort vorhanden sind.

Gewiß: Vergleiche hinken. Aber es waren die Klassiker des "wissenschaftlichen Sozialismus", die die eigene Partei immer wieder daran erinnerten, daß es auf Dauer "kein Mittelding zwischen bürgerlicher und sozialistischer Ideologie" gibt. Die PDS bietet keinen Anlaß zu der Vermutung, daß sie diese Erinnerung nötig habe. Notwendig ist sie allerdings wieder einmal für alle örtlich Betäubten, die das Wesen kommunistischer Strategie und Taktik noch immer nicht erkannt haben.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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