© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Eberhard Diepgen
Berliner Inventar
von Richard Stoltz

Es war einer jener Parteitage, wie sie nach US-amerikanischem Vorbild seit einiger Zeit auch von deutschen Parteien abgehalten werden. Mit viel Brimborium – azurblauer Bühnenboden, bonbonfarbene Lichtspiele, seichte Popmusik – hob die Berliner CDU in einer "operettenhaften Inszenierung" (taz) ihren Landesvorsitzenden Eberhard Diepgen auf den Schild des Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober. Nach dem in allen Parteien üblichen Rechenverfahren erhielt Diepgen 94,2 Prozent der 314 abgegebenen Stimmen. Daß sich 14 anwesende Delegierte nicht an der Abstimmung beteiligten und 78 erst gar erschienen, spiegelt sich in diesem Ergebnis freilich ebensowenig wider wie die in Unionskreisen kolportierte Vermutung, daß es sich bei der Mehrzahl der Wahlverweigerer um Diepgen-Kritiker handeln dürfte, die ihre Ablehnung nur aus Gründen der Parteiräson nicht an der Wahlurne dokumentieren mochten.

Die fünfte Nominierung in Reihenfolge nach 1985, 1989, 1990 und 1995 bedeutet für den 57jährigen eine persönliche Genugtuung. Noch im Februar vorigen Jahres mußte er bei seiner Wiederwahl als Landeschef mit knapp 63 Prozent vorliebnehmen – als Regierender Bürgermeister und ohne Gegenkandidaten ein nachgerade peinliches Ergebnis für den erfolgsverwöhnten Diepgen. Seit 1983 steht er an der Spitze der Berliner Union, seit Februar 1984 ist er – mit einer knapp zweijährigen Auszeit 1989/90 während der rot-grünen Koalition – Regierender Bürgermeister seiner Geburtsstadt, und irgendwie gehört er mittlerweile zum Inventar Berlins wie der Funkturm oder die Siegessäule. Aktuelle Umfragen, in denen Diepgen klar vor seinem SPD-Herausforderer Momper liegt, deuten darauf hin, daß sich daran auch nach dem Wahltag nichts ändert.

Dabei muß sich Diepgen, dessen persönliche Ausstrahlung selbst Parteifreunde als blaß und wenig charismatisch beschreiben, mit dem fortschreitenden Bedeutungsverlust seines Amtes abfinden. Auf vielen Feldern kreuzen sich im Zuge der Hauptstadtwerdung Berlins die Interessen der Stadt mit denen von Bundestag und Bundesregierung. Der aberwitzige Streit um die Beschriftung der Hinweistafeln auf das Reichstagsgebäude ist das jüngste Beispiel in einer langen Kette von Mißstimmigkeiten zwischen dem Bund und Berlin. Demnächst könnten sich der Senat und die Bundesregierung wegen der Finanzierung diverser hauptstädtischer Investitionen und ungeklärter Grundstücksfragen sogar vor Gericht sehen.

Mit der für Juni bevorstehenden Entscheidung über den Bau eines Holocaust-Mahnmals in zentraler Berliner Lage zeichnet sich der nächste Konflikt bereits ab."Eine Entscheidung über die Köpfe der Berliner hinweg sollte der Bundestag auf alle Fälle vermeiden", drohte Mahnmals-Kritiker Diepgen, der allerdings genau weiß, daß er kein Druckmittel in der Hand hat.


 
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