© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Berlin: Bund Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden gegründet / Konflikte mit dem Zentralrat
Rückkehr zur religiösen Vielfalt
Hans-Peter Rissmann

Am vergangenen Mittwoch fand in Berlin-Mitte die Gründung des Bundes Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden in Deutschland (BGJGD) statt. Die Gründung dieses Verbandes stellt für die jüdischen Gemeinden in Deutschland eine Zäsur dar. Wie der Vorsitzende des Verbandes, der Schriftsteller und österreichische Europaparlamentarier Peter Sichrovsky, in einer Rede betonte, wünscht er sich eine Rückkehr zur religiösen Normalität jüdischen Lebens in Deutschland, wie sie vor dem Krieg herrschte. Man könne nicht immer nur auf den Tod fixiert leben, meinte Sichrovsky mit Blick auf den Holocaust. Es müsse künftig wieder mehr darum gehen, den Kindern und Enkeln jüdisches Leben näherzubringen.

Der Verband eint orthodoxe (gesetzestreue) Juden in Deutschland, die sich immer weniger durch die Gemeinden repräsentiert sehen, die im Zentralrat der Juden in Deutschland vertreten werden.

In einer Ansprache appellierte Rabbiner Isaak Hakohen Halberstadt, der Deutschland als Delegierter im Weltverband orthodoxer jüdischer Gemeinden vertritt und eigens aus Israel angereist war, ausdrücklich an die anderen religiösen Gemeinschaften in Deutschland, mitzuhelfen, daß Juden – insbesondere orthodoxe – ihre Religion uneingeschränkt ausüben könnten.

Halberstadt kritisierte die Institution des Zentralrats der Juden als Hypothek des Nationalsozialismus. Im Dritten Reich waren alle jüdischen Verbände und Organisationen im Juli 1939 in der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" zwangsweise zusammengefaßt worden. Dieses gelte es nun wieder rückgängig zu machen, so Halberstadt.

Orthodoxe jüdische Gemeinden erhalten vor allem durch die aus Rußland und anderen GUS-Staaten zuwandernden Juden starken Zulauf. Sie fassen die Definitionen, wer Jude ist, enger. Danach ist Jude, wer eine jüdische Mutter hat. Kinder, die nur einen jüdischen Vater, nicht aber eine jüdische Mutter haben, werden nicht anerkannt. Das ist bei den reformjüdischen Gemeinden innerhalb des Zentralrats der Juden in Deutschland anders. Dort werden auch diese akzeptiert.

Die Gründung des Bundes Gesetzestreuer Jüdischer Gemeinden wird vom Zentralrat und Ignatz Bubis abgelehnt und als Angriff auf die Einheit der Juden angesehen. Schließlich geht es auch um die Umverteilung von Geldern, die der Staat an die jüdischen Gemeinden über den Zentralrat – ähnlich wie bei der Kirchensteuer – verteilt. Unklar ist derzeit noch, ob der BGJGD die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechtes, also den selben steuerlichen Status wie der Zentralrat, erhält. Das werden wahrscheinlich die Gerichte entscheiden müssen, da man staatlicherseits aus politischen Gründen den Zentralrat nicht in Frage stellen will.


 
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