© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Ausstellung: Der naturreligiöse Maler Franz Stassen in Hanau
Neugier und Unbehagen
Claus-M. Wolfschlag

Das leichte Unbehagen und die Unsicherheit sind Museumsleiter Anton Merk anzumerken, als er die ausgestellten Zeichnungen und Gemälde zu erläutern versucht. Stammelnd bemüht er sich zu versichern, daß vieles unter künstlerischem Aspekt betrachtet werden sollte, die dahinterstehenden Gedanken seien eben ein wenig "spinnert", etwas "problematisch". Ein Totenkopf-Abbild auf dem Rahmen des Tristanschreines hält Merk in der heutigen Zeit für nicht mehr ganz zumutbar. Die "selige Weihnacht" bezeichnet er als schwer erträglich für heutige Feministinnen, da dort eine liegende Frau nach der Geburt und ein vor ihr stehender Mann zu sehen sind. Die zuhörenden Rentnerinnen schmunzeln – es ist keine Feministin unter ihnen. Zudem weist der Museumsführer darauf hin, daß das "Sonnenpaar"-Bildnis auch "a bisserl rassistisch" wäre. Schließlich seien die Mächte der Finsternis mit negroiden Zügen gemalt worden.

Nichtdestotrotz versucht Anton Merk die Ausstellung vor dem verständnisvollen Publikum zu rechtfertigen, indem er auf die Neugier und die spannende intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Künstlers hinweist.

Die Rede ist von Franz Stassen, einem germanenkultischen Künstler des frühen 20. Jahrhunderts, der zu seinem 50. Todestag nun mit einer Retrospektive im Hanauer Schloß Philippsruhe gewürdigt wird. Wotansköpfe, Germanenheere und nackte Göttinnen beherrschen zu weiten Teilen das Repertoire jenes ungewöhnlichen Künstlers, der das Interesse der örtlichen Öffentlichkeit auf sich zieht.

Stassen wurde 1869 im hessischen Hanau geboren und ab dem 15. Lebensjahr an einer Kunstakademie im klassizistischen Sinn ausgebildet. Bald gewann der aufkommende Jugendstil immer stärkeren Einfluß auf Stassens Werk. Ornamentales Spiel mit Linien, eine hellere Farbigkeit und symbolistische Gesten beeinflußten fortan sein Schaffen. Er nahm 1895 freundschaftliche Verbindung zum Maler Fidus und anderen Künstlerkollegen auf und begann Graphikmappen zu Wagner-Werken herzustellen. Um 1900 wurde er Mitglied des Vereins Berliner Künstler, der sich als konservativer Gegenpol zur Sezession verstand. In diesem kaisertreuen Milieu seilte sich Stassen zunehmend von der weiteren Entwicklung der sogenannten Kunst- Moderne ab. Ausgehend vom Jugendstil bemühte er sich – ganz ähnlich anderen "alt-völkischen" Künstlern wie Ludwig Fahrenkrog und Fidus – um die Formulierung einer Gegenposition aus natio-nal-spiritueller Haltung. Obwohl weiterhin vom Jugendstil geprägt, reduzierte Stassen im Laufe der Jahre das Ornamentale etwas und kultivierte vielmehr ein neues Pathos der ausgeprägten Gesten. Ab 1908 nahm er Kontakte zum Bayreuter Wagner-Kreis auf, für den er sein großes Mappenwerk "Der Ring der Nibelungen" schuf. Stassen wurde somit zu einem der wichtigsten Illustratoren des Werkes Richard Wagners. Dabei verband er die romantisch-realistische Formgebung des 19. Jahrhunderts mit monumentalem Ausdruck.

Stassen wandte sich nun weltanschaulich germanenkultischen Gedanken zu. Er bekannte sich zur germanischen Naturreligion, bei der der Mensch im Leben der Natur göttliches Wollen erkenne. Stassen entwickelte dabei Vorstellungen eines "germanischen Christentums" mit spiritualistischen Jenseitsvorstellungen, Lichtmystik und okkulten Ideen. Germanische Religion wurde von Stassen – sehr ähnlich seinem Freund Fidus – als Lichtreligion, als Glaube an den letzten Sieg der guten Mächte über die Schuld und die Schlacken der Finsternis betrachtet. In dieser Tat- und Heldenreligion beherrschen Kämpfer, willensstarke Überwinder, Dränger und Sinnsucher die Szenerie. Bilder heldischen Menschentums prägten somit auch die Kunst des Illustrators.

Die deutsche Niederlage von 1918 erschütterte den kaisertreuen Stassen so sehr, daß er sich zunehmend in die elitäre und esoterische Gedankenwelt der Wagner-Anhänger begab; 1930 trat er in die NSDAP ein. Seinen künstlerischen Stil behielt er bei, paßte sich nicht dem vorherrschenden neo-realistischen Malstil der NS-Ära an, sondern blieb in seiner Welt der Sagen und Lichtwesen. Nur einen öffentlichen Auftrag erhielt Stassen noch nach der Machtergreifung Hitlers. Auf Betreiben Winifred Wagners schuf er die Entwürfe zu vier Wandteppichen in der Alten Reichskanzlei. Doch sie wurden nur kurzzeitig aufgehängt, verschwanden 1938 im Keller und verbrannten dort 1945 – ebenso wie ein Großteil seines Werkes in einem Atelier am Berliner Nollendorfplatz.

Nach dem Krieg versuchte er durch akribische Arbeit einen Teil der Bildverluste wieder auszugleichen. Es entstanden noch ein Zyklus zu "Faust I" und "Faust II" sowie "24 Blätter zum Alten und Neuen Testament". In seiner Altersphase entwickelte Stassen dabei einen sehr farbigen, obskur-naiven und formreduzierten Malstil, der ihn zu einem eigentümlichen Vorreiter von Comic-Kunst der 1950er Jahre – man denke an die "Prinz Eisenherz"- und "Sigurd"-Comics – gemacht hat. 1949 verstarb Franz Stassen in Berlin und wurde auf dem Kesselstädter Friedhof in Hanau beigesetzt.

Seine Mappenwerke zu "Tristan und Isolde", "Parsifal" und zum "Ring der Nibelungen" werden heute wieder in ihrer hohen künstlerischen Qualität erkannt. Trotz aller Ängste und Scheuklappen in ihren windigen Bewertungen muß man somit der Hanauer Museumsleitung hoch anrechnen, daß sie eine gelungene, anschauliche Ausstellung über das schöpferische Werk eines interessanten, aber heute beinahe vergessenen Künstlers zusammengetragen hat.

 

Die Ausstellung "Franz Stassen 1869–1949. Maler, Zeichner, Illustrator. Leben und Werk" findet noch bis 23. Mai (dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr) im Museum Hanau – Schloß Philippsruhe statt. Der Eintritt beträgt 3 Mark, der Katalog kostet 22 Mark. Bilder der Ausstellung sind auch im Internet unter "www.museen-hanau.de " zu sehen.


 
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