© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Jahrhundert der Vertreibung (IV): Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944 bis 1948
Tragödie im Siedlungsraum Südslawien
Georg Wildmann / Hans Sonnleitner / Karl Weber

Auf dem Staatsgebiet des Königreichs Jugoslawien lebten zu Beginn des ZweitenWeltkrieges rund 540.000 Menschen deutscher Muttersprache. Von ihnen gehörten knapp 510.000 der Volksgruppe der Donauschwaben an, zu denen man die Deutschen des Westbanates, der Batschka, Belgrads und Serbiens, Syrmiens, des Baranja-Dreiecks, Slawoniens, Kroatiens und Bosniens zählt. Weitere Gruppen bildeten die Deutschen (vormalige Österreicher) Sloweniens, in der Hauptsache die Deutsch-Untersteirer, die Deutsch-Oberkrainer und die Gottscheer.

Die Donauschwaben stammen von jenen Südwestdeutschen und Österreichern ab, die die habsburgischen Kaiser nach der Befreiung des zur Habsburger Krone gehörenden Königreiches Ungarn von der Türkenherrschaft im Pannonischen Becken, auf beiden Seiten der mittleren Donau, zwischen 1689 und 1787 ansiedelten. Ihr kolonisatorischer Einsatz zählt zu den großen Kulturleistungen des alten Österreich. Es gelang ihnen, aus den infolge der 150jährigen osmanischen Herrschaft verwüsteten Gebieten Ungarns die Kornkammer der Donaumonarchie zu machen und eine wirtschaftlich führende Stellung zu erreichen. Nach der Zerschlagung Österreich-Ungarns am Ende des ErstenWeltkriegs wurde die rund 1,5 Millionen Seelen zählende Volksgruppe zu etwa je einem Drittel auf die Nachfolgestaaten Ungarn, Rumänien und Jugoslawien aufgeteilt. Neben der späteren Gesamtbezeichnung Donauschwaben nennen sich die in Ungarn lebenden auch gerne Ungarndeutsche, während die Donauschwaben Rumäniens die Bezeichnung Banater Schwaben bevorzugen, um sich durch die Bezugnahme auf ihr Heimatgebiet Banat von den schon im Mittelalter angesiedelten, ab Ende des Ersten Weltkriegs ebenfalls zu Rumänien gehörenden Siebenbürger Sachsen zu unterscheiden. In vorliegender Untersuchung wird der Kürze halber der Sammelname Donauschwaben verwendet.

Die Deutsch-Untersteirer sind die vormaligen Bewohner der Untersteiermark, eines Gebietes, das seit 1147, über 770 Jahre lang, ein Teil des Herzogtums Steiermark war. Bei einer Fläche von 6050 km2: lebten 1910 in der Untersteiermark 7.4000 Deutsch-Untersteirer. Sie waren jahrhundertelang im Kulturleben, aber auch im Aufhau des Handels, der Industrie und des Bergbaues führend. Die Untersteiermark wurde durch das Friedensdiktat von Saint-Germain im Jahre 1919 von der zu Österreich gehörenden Steiermark abgetrennt, zu einem Teil Sloweniens gemacht und somit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929 "Jugoslawien" genannt) zugesprochen. Im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs wurde die Untersteiermark 1941 mit der Altsteiermark vereint, die ab 1938 mit Österreich zum Deutschen Reich gehörte. Nach Kriegsende ereilte jedoch auch die damals über 20.000 Deutsch-Untersteirer die Katastrophe.

Unter den Gottscheern versteht man die Bewohner der deutschen Sprachinsel Gottschee, die im vormaligen habsburgischen Kronland Krain gelegen war. Sie ist durch friedliche deutsche Besiedlung aus Kärnten und Osttirol ab 1330, also vor 660 Jahren, auf Initiative der Kärntner Grafen von Ortenburg entstanden. Die Gottschee bildete eine organisch gewachsene Sprachinsel mit 850 km2. Ihre 18.000 Einwohner lebten 1918 in 25 Gemeinden mit 17 Pfarreien und 35 deutschen Schulen. Durch den Friedensvertrag von Saint-Germain (10. September 1919) fiel auch die Gottschee an Slowenien und somit an das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Die beiden letzteren Volksgruppen werden im folgenden auch unter der Bezeichnung Sloweniendeutsche zusammengefaßt.

Der Zweite Weltkrieg und dessen Folgen verursachten in den Reihen aller Volksgruppen gewaltige menschliche und materielle Verluste. Es sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß rund die Hälfte der mehr als eine halbe Millionen Seelen zählenden Ungarndeutschen gemäß den Potsdamer Beschlüssen 1946 und 1947 nach Deutschland zwangsausgesiedelt wurde. Die über 300.000 Banater Schwaben in Rumänien gehörten nicht zu den "Potsdamer Opfern". Sie wurden nicht vertrieben, aber sie wurden enteignet.Viele von ihnen wurden auf Jahre in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit (1944–1949) und in die östlich Bukarest gelegene Steppe (1951–1956) deportiert. Heute leben lediglich noch 20.000 Deutsche im rumänischen Banat,die überwiegende Mehrheit fand, vorwiegend im Zuge der "Spätaussiedlung", in Österreich, Deutschland, Frankreich und in weiteren Staaten eine neue Heimat.

Bis November 1944 wurden annähernd 220.000 Donauschwaben aus dem damaligen Jugoslawien von den deutschen Militärbehörden evakuiert oder sind vor der anrückenden Roten Armee geflüchtet und nach Kriegsende nicht mehr zurückgekehrt. Rechnet man die unter Waffen stehenden und folglich zumeist im Ausland befindlichen Soldaten weg, so fielen zwischen Oktober 1944 und April 1945 rund 90.000 deutsche Zivilpersonen aus dem West-Banat, 80.000 aus der Batschka und etwa 25.000 aus den Gebieten Baranja, Syrmien, Slawonien, Bosnien und Kroatien, zusammen rund 195.000 Donauschwaben, dazu mehrere tausend deutsche Zivilpersonen aus Slowenien (Gottscheer, Oberkrainer und Untersteirer), somit über 200.000 Angehörige der zusammen 540.000 Personen zählenden Volksgruppen deutscher Muttersprache Jugoslawiens unter der Herrschaft der Partisanenbewegung des Josip Broz, genannt Tito.

Von den durch die Partisanen ab November 1944 internierten 170.000 deutschen Zivilpersonen gingen in den Arbeits- und Todeslagern etwa 51.000 zugrunde, das sind ein Viertel der in Jugoslawien verbliebenen Deutschen, davon 48.700 Donauschwaben und 2.300 Sloweniendeutsche.

Zählt man die rund 1.500 zwischen 1941 und 1944 von Partisanen bei Überfällen Ermordeten sowie die 9.500 von Oktober 1944 bis Juni 1945 durch Massenerschießungen Umgekommenen sowie die 2.000 Opfer der Rußlandsdeportation hinzu, dann kommt man auf die Zahl von 64.000 Toten, davon knapp 60.000 Donauschwaben und etwa 4.300 Sloweniendeutsche.

Ein Drittel der in ihrer Heimat verbliebenen deutschen Zivilpersonen verlor demnach im Zuge der antideutschen Vertreibungs-, Vernichtungs- und Deportationsmaßnahmen des Tito-Regimes grausam sein Leben. Aus diesem Grund ist die Rede vom Völkermord bzw. Genozid berechtigt.

Einberufen zum deutschen, ungarischen (die Deutschen der Batschka gehörten zwischen 1941 und 1944 zu Ungarn) und zum kroatischen Militär sowie zu den diversen Heimatschutztruppen waren rund 93.000 Donauschwaben. Exakte Unterlagen und entsprechende Hochrechnungen ergeben die Zahl von 26.000 Soldaten, die nicht mehr aus dem Krieg zurückkehrten. Vorsichtige Schätzungen lassen überdies den Schluß zu, daß etwa 5.000 von ihnen in Jugoslawien (vornehmlich in der Gefangenschaft unmittelbar nach Kriegsende) umgekommen sind. Somit bewegt sich die an der unteren Grenze angesetzte Zahl der durch die Tito-Partisanen bzw. durch das spätere Tito-Regime verübten Völkermord umgekommenen Donauschwaben bei rund 65.000.

Zählt man die 4.300 Zivilpersonen und die rund 700 ermordeten Soldaten der Sloweniendeutschen dazu, dann sind 70.000 Deutsche aus dem ehemaligen Jugoslawien von 1941 bis 1948 dem Völkermord zum Opfer gefallen.

Die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Band V: Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien, herausgegeben vom Bundesministerium für Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte unter der Federführung von Theodor Schieder, Bonn 1961, kommt auf Verlustzahlen ähnlicher Größenordnung wie die oben angeführten. Diese Dokumentation des seinerzeitigen Bundesministeriums wird gerne als Bonner Dokumentation, gelegentlich auch als Schieder-Dokumentation, bezeichnet. Es ist ihr Verdienst, in einer überzeugenden und eindrucksvollen Weise den Beweis des vorbedachten Völkermordes an der deutschen Volksgruppe erbracht zu haben. Sie läßt jedoch in ihrer einleitenden Darstellung die Frage nach den Gründen dieses Völkermordes offen und beschuldigt überdies die Donauschwaben, in Form einer "Fünften Kolonne" während des Jugoslawienfeldzugs der Deutschen und ihrer Verbündeten im April 1941 den vorzeitigen Zusammenbruch der jugoslawischen Armee mitverursacht zu haben, eine Aussage, die der Faktenlage nicht standhält.Rum

 

Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch "Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1994–1948. Stationen eines Völkermordes", hrsg. vom Arbeitskreis Dokumentation der Donauschwäbischen Kulturstiftung, München 1998.


 
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