© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Bombenstimmung: Pazifistische Neigungen vereinen Linke und Rechte
"Ganz schön mutig"
Manuel Ochsenreiter

"Nato-Kriegsverbrecher, Nato-Bombenterror, Nato-Kriegsverbrecher…". Die debil anmutende ältere Frau mit der Aldi-Tüte skandiert seit Stunden diesen Spruch und durchschreitet zum x-ten mal die Gänge der Humboldt-Universität in Berlin. Schließlich erbarmt sich ihrer der Pförtner und beendet diese Peinlichkeit.

Mit glasigen Augen und voller autistischem Elan setzt sie ihren "Protest" draußen fort. Das einzige, was von ihr in den Gängen bleibt, ist ein penetranter Alkohol-Geruch und ein tiefer Eindruck bei einigen anerkennend nickenden Studenten. "Ganz schön mutig". "Toll, daß sie sich so engagiert!". "Sie zeigt Flagge!". Nur eine Studentin nuschelte kopfschüttelnd was von "Klapsmühle" – strafende Gutmensch-Blicke! Deutschland 1999 – sind wir komplett übergeschnappt?

Seit die westliche Wertegemeinschaft für Bombenstimmung in der Bundesrepublik Jugoslawien sorgt, scheint das ganze Land an einer Psychose zu leiden. An allen Ecken und Enden treibt die so oft herbeigesehnte "Normalität" neue verrückte Blüten.

Nein, es ist nicht mehr der bis zum Erbrechen zitierte Ausspruch des "großen Treppenwitzes deutscher Geschichte", daß ausgerechnet eine rot-grüne "Pazifistenregierung" wieder deutsche Soldaten in den Krieg schickte. Darüber haben sich die möchtegernkritischen Mode-Journalisten nun schon über sechs Wochen die Finger wund geschrieben.

Klar, es ist gewohnheitsbedürftig, wenn Schlaftablette Rudolf "Brutto-Netto" Scharping plötzlich Kriegsreden voller Pathos vor dem Bundestag schmettert. Klar sieht es komisch aus, wenn Fischer artig Shake-Hands mit lamettenbehangenen Nato-Generälen macht, denen er vor gar nicht allzu langer Zeit noch Rinderblut über die Uniform gekippt hätte. Aber das ist nun mal Politik, das ist die Normalität im Auslaufmodell der Bonner Republik.

Sich weiter medienwirksam darüber zu wundern, stiehlt nur die wertvolle Zeit der Konsumenten. Viel interessanter ist, was sich sonst in diesem Zusammenhang abspielt. Nicht nur, daß angehende Akademiker psychisch angeschlagene Rentnerinnen interessant und mutig finden. In der Kriegsgegnerfront finden sich eingefleischte Prinzipienbrecher, egal ob rechts oder links.

Das sozialistische Brüdertreffen von Gregor und Slobodan in Belgrad schoß wohl den Vogel ab. Oder die "Schwerter zu Pflugscharen"-Menschen die Friedenslieder, die singend nach Belgrad pilgern, um dort für die "gute Sache" zu demonstrieren und denen es nicht mal zu peinlich war, sich dabei von Spiegel- TV begleiten zu lassen.

Doch auch gerade auf der sogenannten rechten oder nationalen Seite sammelten sich Prachtexemplare. Plötzlich demonstrierten alte und junge Haudegen, die gerne noch einmal den Zweiten Weltkrieg verbal gewinnen würden, die Engländer und Russen noch liebevoll "Tommy" und "Ivan" rufen, engagiert gegen den Einsatz deutscher Soldaten "auf fremdem Boden". Denn wer die Wehrmacht gerne vor Moskau sah, erfreut sich noch lange nicht an der Bundeswehr in Mazedonien. Doch auch bislang völlig vernachlässigte Sekten finden im Kosovo-Krieg ihren Humus. "Nationale Anarchisten" grüßen in Flugblättern das "heldenhaft ringende serbische Volk" und fühlen sich vor der heimischen Mattscheibe total am "Volksbefreiungskampf" beteiligt. Keine Frage, zwischendurch bleibt noch Zeit, den ebenfalls heftig ringenden Nordkoreanern eine Grußbotschaft zu übermitteln. Statt rationiertem Schimmelreis mit abgestandenem Regenwasser zieht man dennoch die Boulette mit Pils vor.

Doch auch Solidarität hat ihre Grenzen! Die Lächerlichkeit vom rechten Pazifismus bleibt keinem verborgen. Denn wer abends noch mit hochgezogenen Augenbrauen Ernst Jünger zitiert und den "Kampf als inneres Erlebnis" herbeisehnt, kann sich am nächsten Morgen ohne weiteres für "gewaltfreie Konfliktlösungen" einsetzen.

Selbst die nicht zu knappen Freunde der Hobby-Geopolitik bringen es fertig, ein entrüstetes Gesicht zu machen, wenn sie das Wort "Interessensphäre" vernehmen. Wie weit ist da noch der Schritt zum aufgeklebten "Target"-Schild? Wann organisieren die Republikaner ihren Demo-Bus nach Belgrad? Wann schunkelt NPD-Chef Udo Voigt mit Uta Ranke-Heinemann auf einer Donau-Brücke?

Ganz egal, denn inzwischen heiraten in Hamburg Homosexuelle, und das neue Staatsbürgerschaftsgesetz wurde ohne nennenswerten "rechten" Protest eingeführt. Toll gemacht!


 
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