© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Balkankrise: Die Lehren von Rambouillet
Am Katzentisch
Michael Wiesberg

Das Zentralorgan des politisch-korrekten Denkens in Deutschland, die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, wirft in ihrer Ausgabe vom vergangenen Donnerstag einen Blick hinter die diplomatischen Kulissen der Auseinandersetzungen um das Kosovo.

Dieser Blick, basierend auf den Kosovo-Akten des Auswärtigen Amtes und den Aussagen deutscher Unterhändler, ist insbesondere aus deutscher Sicht aufschlußreich. Das Zeit-Dossier verdeutlicht nämlich, daß die Deutschen noch nicht einmal am Katzentisch sitzen, wenn die wirklich relevanten Entscheidungen fallen. Beispiel: Die Verhandlungen von Rambouillet.

Von Kinkel bis Fischer ist von deutscher Seite auf diese Konferenz hingearbeitet worden. Als diese schließlich zustandekommt, hatten sich Briten und Franzosen in der Nacht vor Verhandlungsbeginn darüber verständigt, daß Deutschland, das derzeit immerhin die EU-Ratspräsidentschaft innehat, nicht mehr als eine Zuschauerrolle zugebilligt bekommt. Außenminister Fischer gelingt es immerhin noch, den EU-Beauftragten für das Kosovo, den Österreicher Wolfgang Petritsch, an den Verhandlungstisch zu bringen. Dieser wird jedoch bestenfalls geduldet.

Wer in der "westlichen Wertegemeinschaft" wirklich den Ton angibt, zeigt sich, als die Verhandlungen in die Krise geraten. Zu diesem Zeitpunkt verhandeln nur noch US-Außenministerin Albright und Jugoslawiens Staatspräsident Milosevic unter Ausschluß der Europäer.

Christopher Hill, der Vertraute des US-Sonderbotschafters Holbrooke, entscheidet, direkt nach Belgrad zu fliegen. Hill nimmt zwar die französischen und die englischen Vertreter mit, nicht aber Petritsch, der Hill und seine Begleiter im Taxi vergeblich einzuholen versucht. Die Herren wollen unter sich bleiben. Petritsch und der russische Verhandler Boris Majorskij sind die Düpierten in dieser Groteske. Von den Deutschen redet sowieso niemand.

Als Hill aus Belgrad zurück ist, kommt zum ersten Mal die militärische Option ins Spiel. Die Verhandlungen nehmen ihren bekannten Verlauf. Für deren Scheitern sind, das belegen die Ausführungen von Pedrag Simic, der als Berater des damaligen Vizepremierministers Vuk Draskovic an den Verhandlungen von Rambouillet teilnahm, insbesondere die Amerikaner verantwortlich.

Diese konfrontierten die serbische Verhandlungsdelegation in der Endphase mit einem in weiten Teilen völlig neuen Abkommen, in dessen Mittelpunkt eine Militärpräsenz von Nato-Soldaten im Kosovo steht. Simic wörtlich: "Wir (die serbische Verhandlungsdelegation, d.V.) waren zu der Überzeugung gelangt, daß es den Amerikanern nur um die Militärpräsenz ging und um sonst nichts." Man muß hinzufügen: Dies gilt bis zum heutigen Tage.

Von europäischen Interessen ist in der entscheidenden Phase der Verhandlungen längst keine Rede mehr.Die EU ist ein politischer Torso, der für die Amerikaner keine Rolle spielt.Deutlicher als in dem Zeit-Dossier kann nicht mehr demonstriert werden, daß die raison d’etre der EU vorrangig die Einbindung Deutschlands ist.

Die Rolle, die von den Deutschen erwartet wird, ist klar und eindeutig: Deutschland hat die Gelder für die Beseitigung der Kriegspolitik der "westlichen Wertegemeinschaft" bereitzustellen und sich ansonsten zu fügen. Dies war 1991 nach dem Golfkrieg der Fall, als Deutschland die unverhältnismäßig hohe Summe von 17 Milliarden Mark an die USA abzuführen hatte. Das war im Bosnienkrieg so, als Deutschland Hunderttausende von Bosnien-Flüchtlingen aufnahm. Und dies wird auch diesmal so sein, wenn die USA die Rechnung für den Kosovo-Krieg aufmachen. Keiner dieser Kriege diente deutschen Interessen. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Die Fragen, die der Kosovo-Krieg aus deutscher Sicht aufwirft, lauten: Wo sind die Grenzen der deutschen Selbsterniedrigung? Soll es nach diesem Krieg, dessen wahre Motive sicher nicht "humanitärer" Natur sind, so weitergehen wie vorher? Wo werden uns unsere westlichen Bündnispartner, insbesondere aber die USA, das nächste Mal hindelegieren? Wieviele Rechnungen für die Kriege der USA werden uns noch aufgemacht werden? Soll die EU weiter vorrangig dem Zweck dienen, die Deutschen im Zustand der politischen Verzwergung zu halten?

Deutschland steht, dies zeigt der Krieg im Kosovo mit aller Härte, vor schicksalhaften Weichenstellungen. Wenn es nicht bald gelingt, in Zusammenarbeit mit Frankreich ein europäisches Gegengewicht zur angloamerikanischen Dominanz in der "westlichen Wertegemeinschaft" zu bilden, dann scheidet Europa als eigenständige politische Größe aus dem Geschehen aus.

Dieses Gegengewicht kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn Frankreich Deutschland als gleichberechtigten Partner in der EU akzeptiert. Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, bleibt die EU nichts anderes als eine Umverteilungsveranstaltung zu Lasten Deutschlands. Die deutschen Politiker sind daher aufgefordert, diesen Zustand endlich zu beenden. Genau dies ist die Lehre, die Deutschland aus dem Kosovo-Krieg zu ziehen hat.


 
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