© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Claude Martin
Politischer Vermittler
von Jean-Jacques Mourreau

Claude Martin, der François Scheer in der Funktion eines französischen Botschafters mit Sondervollmachten in der Bundesrepublik Deutschland ablöst, ist 55 Jahre alt. Sein Name, den er mit Tausenden von Franzosen teilt, ist der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Laut einer Biographie, die das französische Außenministerium in Paris veröffentlicht hat, besuchte er von 1966 bis 1968 die École nationale d’administration (Nationale Verwaltungsschule) und schloß das Institut díetudes politiques mit einem Diplom ab. Ist er demnach den Achtundsechzigern zuzuordnen und hat er Gedanken wie einst der französische Studentenführer Daniel Cohn-Bendit? Wohl kaum.

Sein Berufseinstieg hätte klassischer nicht sein können, und seine Laufbahn entspricht der Bilderbuchkarriere eines französischen Diplomaten und Politikers: Von 1968 bis 1973 war er bei der Zentralverwaltung (Wirtschaft und Finanzen), im November 1973 als technischer Berater im Ministerkabinett. Dieselbe Funktion übte er von März bis Mai 1974, im August 1976 und von März 1977 bis April 1978 aus.

Seine Ernennung zum ersten Berater an der französischen Botschaft in Peking 1979 markierte jedoch eine Wende auf seinem Weg. Seine künftige Karriere war mehr die eines Diplomaten denn eines Politikers. Er blieb allein fünf Jahre lang in dieser Position. Die folgenden sechs Jahre verbrachte er als ständiger Vertreter Frankreichs bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel (1984 bis 1986) sowie als Verantwortlicher für Asien und Ozeanien bei der Pariser Regierung (1986 bis 1990). Nach dieser Unterbrechung sollte Claude Martin, der fließend chinesisch spricht, als Botschafter mit Sondervollmachten wieder nach Peking gehen und dort die Interessen Frankreichs vertreten. Nach seiner Rückkehr nach Europa wurde er Generalsekretär bei der Zentralverwaltung und Generaldirektor für europäische und wirtschaftliche Angelegenheiten (November 1993 bis September 1998). Seit Oktober 1998 arbeitet er in einem Dauerauftrag für das Bureau Français in der deutschen Hauptstadt.

Claude Martin spricht außer Chinesich mehrere andere Sprachen, was für einen Franzosen eher ungewöhnlich ist. Seine Fähigkeiten umfassen Russisch, Englisch und Deutsch. Da er der Ansicht ist, ein Botschafter müsse der Sprache des Landes mächtig sein, in dem er Frankreich repräsentiert, hat er sich ein rigoroses Trainingsprogramm auferlegt, um sein Deutsch aufzufrischen. Dieser Diplomat der "neuen Welle" dürfte darum bemüht sein, die Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Volk voranzutreiben. In Claude Martin werden die Deutschen voraussichtlich einen Vermittler finden, der der neuen Stellung Deutschlands eine größer Offenheit entgegenbringt als seine Vorgänger.


 
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