© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Handelsstreit: Die USA und Kanada beharren auf die Freigabe von "Hormonfleisch"
Kriegserklärung an die Verbraucher
Gerhard Quast

Auch diesmal haben die USA nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem bereits vor wenigen Wochen im "Bananenstreit" zwischen der EU und den USA empfindliche Strafen zu Lasten der EU-Staaten verhängt wurden, droht Washington nun erneut mit der Verhängung von 100prozentigen Strafzöllen auf EU-Waren. Wie der US-Landwirtschaftminister Dan Glickman unmittelbar nach dem Verstreichen einer von der Welthandelsorganisation (WTO) gesetzten Frist erklärte, seien die USA zu Vergeltungsmaßnahmen fest entschlossen. Hintergrund des Streits ist das seit über zehn Jahren bestehende Importverbot der EU für Fleisch nordamerikanischer Rinder, die mit Wachstumshormonen gezüchtet wurden. Die EU-Kommission erklärte noch kurz vor dem Verstreichen des WTO-Ultimatums, sie könne das Verbot bis zu der von der WTO gesetzten Frist am 13. Mai nicht aufheben, solange sie von der Unbedenklichkeit von hormonbehandeltem Fleisch nicht überzeugt sei, so EU-Handelskommissar Leon Brittan. Und EU-Kommissionssprecher Nigel Gardner betonte, daß eine Aufhebung des Einfuhrverbots auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht möglich sei.

Genau darum geht der Streit aber: Die USA und Kanada vertreten die Ansicht, die Verwendung von natürlichen und künstlichen Wachstumshormonen in der Kälbermast sei völlig unbedenklich. In beiden Staaten gehört dementsprechend die Verwendung von Wachstumshormonen seit zwei Jahrzehnten zur täglichen Praxis der Rinderzüchter. Schätzungsweise 70 Prozent der Rinder werden über ein Hormon-Depot im Ohr des Tieres gleichmäßig mit geringsten Mengen einer Mixtur verschiedener Hormone versorgt. Wenige millionstel Gramm des Hormongemisches gelangen über das Implantat in die Blutbahn des Tieres. Zugelassen sind in den USA dafür sechs Wirkstoffe: die drei natürlichen Sexualhormone Östradiol, Progesteron und Testosteron sowie die synthetisch hergestellten Anabolika Trenbolon, Zeranol und Melengestrolacetat. Diese wirken wie Östrogene: sie steigern den Muskelaufbau. Das Tier wächst erheblich schneller und bringt innerhalb von wenigen Monaten mehr als zehn Prozent Mehrgewicht auf die Waage. Außerdem benötigen diese Rinder ein Zehntel weniger Futter, denn die zugeführten Nährstoffe können durch die Hormone besser verwertet werden.

In den USA wird das Fleisch hormonbehandelter Rinder seit über zwanzig Jahren gegessen, während in der EU der Einsatz von Hormonen in der Rindermast seit 1988 untersagt ist, in Österreich sogar seit 1975. Auslöser für das Verbot des Einsatzes sämtlicher Hormone in der Rinderzucht war die Erkenntnis, daß das bis zu diesem Zeitpunkt auch in Europa verwendete synthetische Hormon DES Krebs auslösen könne. Bereits ein Jahr später wurde das Verbot auch auf den Import von nordamerikanischem Rindfleisch ausgedehnt. Für die betroffenen Rinderzüchter – die damals jährlich Rindfleisch im Wert von rund 200 Millionen Mark nach Europa exportierten – besteht jedoch kein Zweifel daran, daß "Hormonfleisch" keine gesundheitlichen Nebenwirkungen verursacht. Die USA und Kanada werten deshalb das Importverbot als einen Verstoß gegen die Regeln des Freihandels und klagten vor der WTO. Solange die EU keine stichhaltigen Risikostudien vorlegen könne, sei von einer Unbedenklichkeit des "Hormonfleisches" auszugehen, argumentierten die Betroffenen. Die WTO gab den Klägern im vergangenen Jahr Recht und setzte der EU eine 15monatige Frist, bis zu deren Ablauf sie stichhaltige Beweise für die krebserregende Wirkung des "Hormonfleisches", mögliche Wachstumsstörungen und Erbgutschädigungen vorzulegen hätten, ansonsten seien die Handelshemmnisse sofort aufzuheben. Gleich 17 Gutachten wurden für diesen Nachweis in Auftrag gegeben – bis heute liegen jedoch nur vage Zwischenberichte vor, abgeschlossen werden die Forschungen frühestens zum Jahresende sein.

Eindeutige Ergebnisse sind aber ohnehin nicht zu erwarten. Bereits jetzt zeichnet sich ab, daß ein wissenschaftlicher Konsens weder in der einen noch in der anderen Richtung zustandekommen wird. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin hält beispielsweise den Konsum von "Hormonfleisch" für unbedenklich. "Die Hormonmengen im US-Fleisch stellen kein Risiko für den Verbraucher dar", erklärt BgVV-Sprecher Jürgen Kundke unter Berufung auf eine Untersuchung der Weltgesundheits- (WHO) und Welternährungsorganisation (FAO). Diese hatten eine internationale Expertengruppe damit beauftragt, eine Tabelle über Lebensmittelzusatzstoffe und deren akzeptable tägliche Aufnahmemengen zu erstellen. Danach sind die in den USA verabreichten Hormonmengen kein Grund zur Beanstandung.

Doch es mehren sich die Stimmen, die von einer Unbedenklichkeit der Wachstumshormone keineswegs überzeugt sind. Nicht nur, daß die Präparate frei verkäuflich sind und ohne tierärztliche Aufsicht verabreicht werden und damit eine mißbräuchliche Anwendung nicht ausgeschlossen werden kann, auch Grenzwerte lassen sich kaum eindeutig bestimmen, da Hormone auf Frauen, Männer, Kinder und Alte ziemlich unterschiedlich wirken. Besonders gefährdet seien Jungen vor der Pubertät, weil das weibliche Sexualhormon Östradiol-17-Beta zu einer Erhöhung des Krebsrisikos führe, da es durch Anreicherung im Fettgewebe stabile Depotformen bilde. Zunehmend zeige sich auch, "wie fragil das hormonelle Gleichgewicht des menschlichen und tierischen Organismus ist. Von außen zugeführte Hormone können diese Balance leicht durcheinanderbringen", heißt es in einer an der Universität Utrecht angefertigten Studie. Auch wird bei der Zunahme von Brust-, Prostata- und Hodenkrebs ein kausaler Zusammenhang mit einem erhöhten Hormonspiegel gesehen. Zudem gebe es ernstzunehmende Hinweise, daß Östradiol DNA-Schäden hervorrufen könne. Zwar lassen sich die Bedenken gegen den Einsatz von Hormonen derzeit noch nicht eindeutig untermauern, die Risiken für die Verbraucher will jedoch kein europäischer Politiker auf sich nehmen. Das sei kein Protektionismus gegenüber den USA, widersprechen die Europäer wie mit einer Stimme, das sei vorbeugender Gesundheitsschutz. Die Anwendung dieses Vorsorgeprinzips sei wiederum nach den Regeln der WTO erlaubt. Auch wenn die WTO die Aufhebung des seit fast elf Jahren geltenden Einfuhrverbots fordert, wollen die europäischen Institutionen daran festhalten.

Die USA, die unentwegt unterstreichen, daß ein "Handelskrieg" keineswegs beabsichtigt sei, beraten unterdessen, welche Waren mit Strafzöllen belegt werden. Die endgültige Liste wird voraussichtlich in zwei Monaten vorliegen. Gleichzeitig betonen sie, daß sie mit einer Kennzeichnung von Importfleisch durchaus einverstanden wären. "Wenn die Europäer dieses Rindfleisch nicht essen wollen", so Peter Scher, US-Unterhändler für Agrarfragen, "dann müssen sie es nicht kaufen". Wie allerdings Fleischkäufer das "Hormonfleisch" in Gaststätten, an der Würstchenbude oder im Babybrei erkennen können, bleibt Schers Geheimnis.


 
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