© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Moderne Oper: Zwei scheußliche Weltpremieren in Franken
Kampf um Kultur und Kapital
Peter Knoll

Als volksfremd und dekadent beurteilten Nationalsozialisten und Sowjetkommunisten die moderne Kunst. Vielleicht sind ihre Vorurteile doch begründet?

Beispiel Eins: Weltpremiere von "Der lächelnde Kadaver" im Stadttheater Fürth (offizieller Titel: "The smiling carcass. The opera"). Das Publikum wird durch einen Seiteneingang auf die Bühne gedrängt. Nach längerem Warten beginnt das Spektakel. Schauspieler schlagen je zwei faustgroße Steine aneinander. Monoton, minutenlang. Dann geht es hinüber in das City Center, ein Einkaufszentrum in Fürth, vorbei an den Sprüchen des Sprücheklopfers Toscani, Skandalfotograf der Modekette Benetton, der den sterbenden Christus für einen pfiffigen Werbetrick der Kirche hält und in Claudia Schiffer ein arisches Model der Hitler-Jugend erblickt. "Schön, daß Sie da sind", säuselt die Lautsprecherstimme im Hintergrund. Modepuppen tanzen auf den Rolltreppen, ein Saxophonspieler hebt die Stimmung. Gleichzeitig rempeln Rollstuhlfahrer und andere Behinderte die Zuschauer an, und softer Werbesingsang folgt auf fernöstliche Töne.

Beispiel Zwei: Weltpremiere von "Recherche" in München und Nürnberg. Filmrollen hängen wie Girlanden von der Decke. Unverständlicher Gesang in mehreren Sprachen, auf Französisch, dann Spanisch, Griechisch, Hebräisch, undsoweiter – zum Glück ist der Sprechtext zuweilen auf Deutsch. Schließlich spürt man, daß es eine inhaltliche Botschaft nicht gibt. Nur Stimmungen und Geräusche, Blitz, Donner, babylonisches Sprachgewirr. Sechs Bildschirme zeigen einzelne Worte – und bieten Ablenkung statt Aufklärung. Modellflugzeuge tuckern entlang der Bühnendecke. Und die Musik ist zeitweise romantisch, dann wieder purer Radau. Das Programmheft hilft ein wenig, bemüht den populistischen Mythos der stets verfolgten Juden.

Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es kann nicht um die Verfolgung oder Unterdrückung sogenannter Künstler gehen (von Schadenersatzklagen wegen zugefügten Ohrenschmerzen einmal abgesehen). Doch eine Frage muß schon erlaubt sein: Warum muß so etwas durch Staat oder Wirtschaft unterstützt werden? Warum müssen die Menschen in Fabriken und Büros für solch’ quere Kopfgeburten Zwangsarbeit in Form von Steuern leisten?

Nichts einzuwenden wäre, wenn die beiden Musikstücke als Sieger bei den basisdemokratischen Volksabstimmungen an der Theaterkasse glänzten. Das Gegenteil war der Fall: In Fürth erzielte "Der lächelnde Kadaver" Einnahmen in Höhe von 21.000 Mark. Bei Kosten von etwa einer halben Million Mark ergibt sich ein Kostendeckungsgrad von weniger als fünf Prozent.

Und in Nürnberg sah es nicht besser aus. Zur Premiere von "Recherche" kamen gerade mal 270 Besucher, 80 Plätze blieben leer. Die Stadt Nürnberg bezahlte für diese Zumutung 240.000 Mark extra. In dieser Summe sind die Kosten für die Nutzung des existierenden Theaterbetriebs (einschließlich Werkstätten, Musiker und Dirigenten) noch nicht enthalten. Die Einnahmen beliefen sich nach drei Aufführungen auf 15.000 Mark, der Kostendeckungsgrad liegt bei etwa sechs Prozent. Weitere Vorstellungen sind nicht geplant.

Es hilft nicht weiter, sich hinter dem kulturellen Auftrag des Theaters zu verstecken, weil die Stadt Nürnberg zuerst einmal klären sollte, ob es sich überhaupt um subventionswürdige Kultur handelt – oder lediglich um modernen Unsinn. Gelegenheit dafür bietet sich am 2. Juli, wenn der Kulturausschuß des Stadtrats eine "große Theaterdebatte" führt.

Auf der Bühne stellen die Theaterleute gern die ganze Welt auf den Kopf. Zögerlich und kleinlaut werden sie jedoch, wenn es um den eigenen Theaterbetrieb geht. Da entpuppt sich mancher Bühnenrevolutionär als strukturkonservativer Bremser. Dabei verschlingt der laufende Theaterbetrieb in Nürnberg 37 Millionen Mark. Es ist schon lange an der Zeit, alle Arbeitsschritte an den Bühnen radikal unter die Lupe zu nehmen. Zum Beispiel die (umständliche und feindselige?) Zusammenarbeit zwischen Werkstätten und Regisseuren, Handwerkern und Künstlern. Abstrakt formuliert geht es um die Reform der Arbeitsabläufe, einschließlich der Informationsroutinen, des Material- und Papierflusses. Hartnäckig ist zu fragen: Was bringt dieser Handgriff oder jene Arbeitsminute für den Zuschauer? Und wieviel kostet es?

In Fürth ließe sich die Finanzsituation verbessern, wenn der lachende Dritte beim "lächelnden Kadaver" zur Kasse gebeten wird: der Modekonzern Benetton. Nur seine Werbeplakate waren in der Werbeoper zu sehen, ohne daß Benetton dafür auch nur eine Mark bezahlte. Und selbst mit Hilfe des kopflastigen Stücks "Recherche" ließe sich das Defizit verringern, wenn man es in Einzelstücke zerschlägt. Immerhin gibt es dort einige anregende, fast romantische Episoden, die für Hollywood ganz brauchbar sind. Und die Radauszenen könnten in Krimis einen diffusen Reiz erzeugen.

Informationen zum aktuellen Programm Nürnbergs gibt es unter Tel. 0911 / 2 31-38 08 und zum Fürther Stadttheater (Königsstraße 116, 90762 Fürth) unter Tel. 0911 / 9 74 24 00.


 
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