© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Früherer US-Botschafter Vernon Walters geehrt
Ines Steding

BERLIN. Wenn es bei einer Preisverleihung um die Vision von der Wiedervereinigung geht und Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl die Laudatio auf den Preisträger, den Visionär und ehemaligen US-Botschafter Vernon Walters hält, dann dürfte jeder Gedanke an eine beschauliche Feuilleton-Veranstaltung verfliegen. Der "Dr. Leo-Goodman-Preis" wird jährlich für Verdienste um die deutsch-amerianischen Beziehungen verliehen, der Namensgeber war in der Nachkriegszeit Mitglied des Obersten Gerichtshofs der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland. Er erhielt hohe deutsche Auszeichnungen und wird Münchner Studenten wegen der nach ihm benannten Bibliothek ebenso ein Begriff sein wie den Aachenern, die ihm den "Orden wider den tierischen Ernst" verliehen.

In Berlin wurde einmal mehr offensichtlich, daß der Goodman-Schuh für den vitalen, anscheinend eher zufällig 82 Jahre alten Vernon Walters keineswegs zu groß ist. Und wem bis dahin sein Buch von 1994 "Die Vereinigung war voraussehbar" noch nicht geläufig war, dem vermittelte der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Eberhard Diepgen, eine erste Ahnung: Er habe den im März 1989 akkreditierten US-Botschafter "immer bewundert, vor allem dessen von großer Erfahrung geprägten klaren Blick". Für Diepgen hat der Preisträger entscheidenden Anteil an den Ereignissen in Folge von 1989, denn Walters’ Bewertungen und Urteile seien nicht zuletzt für den damaligen Präsidenten George Bush maßgeblich gewesen.

Helmut Kohl gelang das Kunststück, in Anbetracht der historischen Schnittmenge die Würdigung für Walters nicht zugleich zu seiner eigenen zu machen. Der "Glücksfall Walters" paßte, so Kohl, nicht ins Konzept des US-Außenministeriums. Walters selber räumte ein, daß seine Berichte, wonach die deutsche Einheit nach dem Fall der Mauer kommen würde und sollte, in Washington mit großem Mißfallen registriert wurden. Der Ex-General wäre nicht ins geteilte Deutschland entsandt worden, wenn er nicht ein Berufsleben lang als Militärattache gearbeitet hätte und dabei mit allen Präsidenten seit Truman in engem dienstlichen Kontakt gestanden hätte. Aufgrund seiner so gewonnenen politischen Erfahrungen und Einsichten habe er von Anfang an den Verbleib eines wiedervereinigten Deutschlands in der Nato unterstützt und sich zu einer Zeit, als es nicht selbstverständlich war, so Kohl, gegen ein Modell vom "neutralen Deutschland" ausgesprochen.

Walters revanchierte sich in fließendem Deutsch und hob hervor, daß Kohl, im Gegensatz zu vielen anderen Politikern, auf seine Vision von der Wiedervereinigung Mitte 1989 antwortete, daß "diese jene ist, wofür wir arbeiten und auch planen".

Wenn Visionäre die wahren Realisten sind (Kohl), dann machen sie ihre unerschütterlichen Überzeugungen auch schon mal am Detail fest: Bei einem deprimierenden Besuch im zerstörten Deutschland gleich nach Kriegsende sah Walters "in einem Keller einen Tisch mit Blumen. Ein solches Land gibt sich nicht auf", und er fügte hinzu, daß er 44 Jahre danach den "aufregendsten Teil meines Lebens" hierzulande zubrachte.


 
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