© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


CD: Independent
Ich, Ich, Ich!
Peter Boßdorf

Die Methode ist langweilig – immer dasselbe: Blumfeld hat trotzdem, nach über 50 Monaten, in denen lediglich oder immerhin das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume reflektiert wurde, die neuerliche Ich-Überschreitung gewagt: "Old Nobody" (Zickzack/Big Cat) glotzt jetzt von den Kauftischen des Handels, vier Herren im Freizeitlook, ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Ein Gruppenfoto ist ein Gruppenfoto: Nichts darf als unhinterfragt angenommen werden, wenn es sich um die zweitintelligenteste deutsche Popband nach den Fantastischen Vier handelt.

Blumfeld   bleibt Blumfeld – Identität, die sich rächt: Irgend jemand muß ja schließlich denken, und deshalb ist es nachvollziehbar, daß ein Ich ins Spiel kommt. Dieses Ich weiß wiederum berufen nur von sich zu berichten, alles andere ist mit Vorbehalt zu genießen: Will dem Ich da jemand etwas oktroyieren? Wie einfach wäre doch alles, hätte das Ich noch den Mut, all das andere als eine mehr oder weniger interessante Projektion seiner selbst anzusehen. Doch das Ich ist voller Mißtrauen, es zweifelt an sich: Bin Ich noch der/ die/ das, der/ die/ das Ich war? Und was bleibt überhaupt, wenn der Glaube an die Ich-Identität wankt, es sogar opportun erscheinen mag, ihn zu stoßen? Zumindest die Chance, mächtig Eindruck zu schinden: Verlassene Verse, die Liebe zu einem flüchtigen Du, lauter Vergeblichkeiten, denen gegenüber ein einziges "trotzdem" erschallt. Wer wach und ehrlich ist, braucht auf den Lebensgenuß nicht zu verzichten, er kann ihn im Gegenteil in einem Denken steigern, das um die Sinnlosigkeit des Versuches weiß, das Handeln beeinflußen zu wollen. Das gab es auch schon einmal heroisch, doch wie soll man vor Abgründen erschrecken, wenn man nicht einmal ihnen trauen kann?

Die aktuelle CD deutet jedenfalls an, daß man sich an Probleme dieser Art durchaus gewöhnen mag. Man muß nicht immer so viel Krach machen wie früher: Es könnte sich ja alles auch als ganz harmlos herausstellen. Die Jugendzimmererinnerungen sind in den Hintergrund getreten, man ist in einem Alter, in dem es nicht länger mutig wäre, sich zu ihnen zu bekennen. Die Hiphopkinderstars haben per se jeden Spaß an der bunten Mischung unvermittelter Wahrnehmungen bis auf weiteres vergällt. Auch der eigene Körper ist unterdessen bekannt, man zollt ihm Respekt, in dem man ihn der Fantasie als Objekt entzieht. Was dann noch zu sagen bleibt, ist nichts, was nicht schon mindestens ein- oder zweimal gesagt worden wäre. Nur Wandel verbürgt aber Glaubwürdigkeit, und daher, so möchte man meinen, mußten neue Klänge her, wenn schon Worte und Themen blieben. Eine Falle, vielleicht, denn ein Wandel ließe sich natürlich auch in der Rezeptionsanordnung unterstellen: Täuschte "Ich-Maschine" noch Authentizität durch Ausklammerung des Publikums vor, so bezog schon "L’etat et moi" den Zuschauerraum ein. "Old Nobody" läßt nun in jedem sogar das Gefühl um sich greifen, daß die Bühne verlassen und das Auditorium den Voyeuren ausgeliefert ist.

Das ist ironisch, das ist philosophisch, das ist spitze: Da kann die beste bürgerliche Mutter aus Hamburg gar nicht anders als zu ihrer besten bürgerlichen Freundin zu sagen: Um meinen Sohn, da mache ich mir keine Sorgen. Er ist nicht nur praktisch veranlagt, sonder er reflektiert auch. Neulich habe ich die aktuelle Blumfeld-CD in seinem Walkman gefunden. So gepflegt und sehr tief! Fast schon wie Stephan Sulke !


 
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