© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Pankraz,
J. von Eichendorff und die Heimat als Klamotte

Die Kirche im Meerschweinchendorf des Hamburger Hagenbeck-Zoos ist nach dreißig Jahren wieder geöffnet. Eifernde Metaphysiker hatten einst für ihre Schließung gesorgt. Meerschweinchen, argumentierten sie, haben keine Religion und brauchen keine Kirche, sie pinkeln nur hinein, entweihen sie.

Haben Anhänger von Multikulti einen Heimat-Begriff? Brauchen sie einen? Solche Fragen treiben den Berliner Journalisten Thomas E. Schmidt um. In einem Büchlein mit dem Titel "Heimat. Leichtigkeit und Last des Herkommens" (Aufbau-Verlag) erzählt er treuherzig von seinen Freunden aus der Multikulti-Szene in München und Ffm, von Verena, Sabine, Roland, die allesamt gewisse Schwierigkeiten hätten mit der "Heimat".

Roland beispielsweise habe seine neue Freundin nichtsahnend zu einer Reise in seine schöne Heimat Passau eingeladen, um sie ihr ausführlich zu zeigen und zu preisen. Aber die Freundin habe anschließend nichts Eiligeres zu tun gehabt, als das in der Szene herumzuerzählen, woraufhin es dort ein homerisches Gelächter gab und Roland als hoffnungsloser Provinzler abgestempelt war.

"Was hat Roland falsch gemacht?" fragt nun Thomas E. Schmidt. Und gibt sich selbst zur Antwort: "Er hat etwas getan, was am Anfang einer Partnerschaft beinahe noch gefährlicher ist, als seine Liebste zu früh auf ein Familientreffen mitzunehmen … Diese Art, Bodenständigkeit zu demonstrieren, gilt, zumindest unter Menschen, die wie Verena leben, beinahe als anstößig. Ein hoher Wert ist dagegen, um seine Individualität besorgt zu sein."

Trotzdem plädiert Schmidt dafür, daß sich die Multikultis endlich irgendwie mit dem Heimat-Begriff anfreunden. Es sei ja zu ihrem eigenen Nutzen! Heimatgefühle vorzuzeigen, seine Rede mit Heimatdialekt ein wenig einzufärben, seinen Klamottenschrank mit (modisch aufgepeppten) heimatlichen Trachten zu komplettieren – all das sei ja höchst geeignet, die Individualität zu steigern. Man könne sich durch solche Accessoires gewissermaßen eine ganz und gar eigene Heimat zulegen.

Freilich ist die angestrebte Verklamottung des Heimat-Begriffs nur möglich, indem man diesen rigoros von aller Politik, von allen in die große Politik hineinreichenden Kulturbewegungen und Interessenkämpfen abtrennt. Und genau das ist das Anliegen des Buches von Schmidt. Da wird tranchiert und filettiert, gewogen und in Klarsichtfolie eingewickelt, daß es nur so eine Art ist. Der Leser glaubt sich in einem Fleischerladen.

Man kann aus der Heimat nicht vertrieben werden, konstatiert Schmidt, und das ist natürlich richtig insofern, als Heimat ein zeitliches Phänomen ist, der Bezirk unserer Kindheit, der uns unwiderruflich prägt und unsere Erinnerungen teuer macht. Aber sie ist darüber hinaus natürlich auch und vor allem ein räumliches Phänomen, der Raum, in dem sich Traditionen bilden und zu behaupten trachten, Völker mit ihren Interessen und Leidenschaften, Gesänge, Poesien. All das wird von Schmidt in einer fast schon obszönen Weise geleugnet oder weggewischt.

Ja, räumt er ein, selbstverständlich birgt die Heimat "Ressourcen", die knapp werden können, woraus dann bittere Verteilungs- und Vertreibungskämpfe entstehen mögen. Doch so etwas passiert gottlob weit weg von uns, irgendwo hinten in der Türkei, es muß unseren Gedankengang nicht beeinflussen.

Bei uns im entwickelten Westen nämlich ist, wie bereits der amerikanische Soziologe Robert Bellah festgestellt hat, genügend Platz für "Lebensstil-Enklaven", und es kann sich deshalb, wie ein weiterer amerikanischer Soziologe, Irving Goffman, geschrieben hat, in aller Gemütlichkeit zwischen den Gruppen ein "Ethos höflicher Nichtbeachtung" herausbilden. Das "Erlebnis einer Heimat" wird zu einem bloßen Mittel gegen die "Verflüchtigung in einer globalen Kultur, gegen die Standardisierungen des Meinens, Fühlens, Handelns, Heimat ist eine Denkfigur des Innehaltens".

Ist Schmidt wirklich so harmlos, wie er sich gibt, oder ist die Harmlosigkeit gespielt? Gewisse Passagen gegen die deutschen Heimatvertriebenen oder etwa die merkwürdige Behauptung, daß seit der Romantik, seit Joseph von Eichendorff, gar keine Literarisierung der Heimat in vaterländisch-erzieherischer Absicht mehr möglich sei, legen die Vermutung nahe, daß hier durchaus eine Art politischer Auftrag erfüllt wird, ein Versuch unternommen wird, zur Schleifung von Positionen beizutragen, die vom herrschenden Zeitgeist als hinderlich empfunden werden.

Dem entspräche dann eine gewisse Wurstigkeit gegenüber Tatbeständen, sofern diese nicht ausdrücklich von amerikanischen Soziologen bestätigt werden. Eichendorffs Schloß Lubowitz und seine Kreisstadt Ratibor werden von Schmidt schlankweg in "Niederschlesien" angesiedelt – wirklich nur eine Nachlässigkeit des Lektorats? Oder vielleicht doch ein bewußt eingesetztes Mittel, um die Gleichgültigkeit des Autors gegenüber jeglicher Örtlichkeit in Bezug auf die Heimat zu demonstrieren, seinen Hohn auf die "Folkloristen", die Heimat nun einmal nicht einfach auf eine Denkfigur des Innehaltens reduzieren wollen oder können?

Noch einmal: Raum und Zeit, Außen und Innen, Ort und Erinnerung sind im Begriff der Heimat unauflösbar miteinander verschlungen. Auch wer nicht in der Heimat wohnt, wird immer um das reale Bild dieser Heimat und um ihre Zugänglichkeit und ferne Vertrautheit besorgt sein, gegebenenfalls um sie kämpfen. Das beweisen nicht zuletzt im aktuellen Kosovo-Konflikt die vielen leidenschaftlich beteiligten Auslandsserben bzw. Auslandsalbaner.

Die wollen eben nicht wie jene Meerschweinchen bei Hagenbeck in Hamburg sein, denen es völlig gleichgültig ist, ob die Kirche ihres Dorfes geschlossen oder offen ist. Und ob ein Journalist über diese Kirche ein Buch schreibt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen