© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Südtirol: Die Europawahl bringt Vertreter ohne eigenen Wahlkreis nach Brüssel
Listenverbindungen erfolgreich
Jakob Kaufmann

Südtirol wird nach vier Jahren erstmals wieder mit zwei Vertretern im Europäischen Parlament präsent sein. Seit 1979 werden die Südtiroler durch einen Abgeordneten der Südtiroler Volkspartei (SVP), der dort der EVP-Fraktion angehört, vertreten. Auch heuer gilt die Wiederwahl des derzeitigen SVP-Abgeordneten Michel Ebner als sicher. Der SVP ist auch in dieser zu Ende gehenden Legislaturperiode des Europäischen Parlaments keine Wahlrechtsänderung gelungen. Nachdem die deutsche Volksgruppe nicht stark genug ist, eines der 87 Mandate für Italien zu erringen, fordert die SVP die Schaffung eines eigenen Südtiroler Wahlkreises für die Europawahlen. Aufgrund ihrer Stärke wäre ihr das Mandat sicher. So mußte sie, wie bereits bei vergangenen Wahlen für Europa, eine Listenverbindung mit einer gesamtstaatlichen italienischen Partei eingehen. Eine eigene Klausel im Europawahlrecht erlaubt dies der deutschen, slowenischen und französischen Minderheit. Konkret anwendbar ist sie allerdings nur in Südtirol. Solange die DC, die italienische Christdemokratie, existierte, war eine Listenverbindung unter Schwesterparteien geradezu selbstverständlich. Dies galt auch noch 1994 mit dem PPI, der italienischen Volkspartei, die offizielle Nachfolgerin der DC. 1999 erfolgte nun eine entsprechende Wahlvereinbarung mit den Demokraten des neuen EU-Kommissionsvorsitzenden und ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi. Zumindest ein gewisses Risiko, da man, mit Ausnahme der demoskopischen Erhebungen, keinerlei Anhaltspunkte über die Wählerakzeptanz dieser neuen Partei hat. Auch parteiintern findet diese Verbindung mit einer linkskatholischen Partei Widerspruch. Nachdem die SVP aber unter ihrem eigenen Listenzeichen antreten kann, stellt die Partei ideologische Bedenken zurück.

Von 1989 bis 1995 waren schon einmal zwei Südtiroler Mitglieder des Europäischen Parlaments. Neben dem SVP-Abgeordneten Joachim Dalsass gelang dem grünalternativen und linksintellektuellen Alexander Langer, dank einer ausgezeichneten Plazierung auf der gesamtitalienischen Liste der Grünen und damit durch Stimmen außerhalb Südtirols, der Sprung nach Straßburg. Knapp ein Jahr nach seiner Wiederwahl beging Langer jedoch in der Nähe von Florenz Selbstmord. Von 1989 bis 1994 war auch die italienische Sprachgruppe in Südtirol mit dem neofaschistischen Abgeordneten Pietro Mitolo durch einen aussichtsreichen Platz auf der Liste des Movimento Sociale Italiano (MSI) auf europäischem Parkett präsent.

Ab dem 13. Juni wird den SVP-Vertreter nun auch der bekannte Bergsteiger und "Jetiforscher" Reinhold Messner nach Straßburg und Brüssel begleiten. Der einstige Mitstreiter Langers wird, wie sein Vorgänger, als Zugpferd auf der gesamtitalienischen Liste der Grünen in ganz Norditalien als Spitzenkandidat antreten. Das Mandat dürfte ihm sicher sein. Nachdem sich der eigenwillige Gipfelstürmer nach dem Tod Langers von den Südtiroler Grünen abwandte und Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) annäherte, stieß seine Nominierung auf Protest in Südtirols linker Ökopartei. Verhindern konnte sie sie nicht.

Kurzzeitig schien sogar eine vierköpfige Vertretung der Südtiroler nicht ausgeschlossen. Eine bemerkenswerte Überrepräsentation, bedenkt man, daß das kleine Land keinen eigenen Wahlkreis bildet. Österreichs Sozialdemokraten (SPÖ) unternahmen einen gewagten Vorstoß. Sie boten dem stellvertretenden Landeshauptmann und Vertreter des linken SVP-Flügels, Otto Saurer, eine Europakandidatur auf sicherem Listenplatz an. Das Europawahlrecht macht es möglich. Jeder EU-Bürger kann beliebig in einem der 15 Mitgliedsstaaten kandidieren. Er darf sich allerdings nur in einem Land um ein Mandat bewerben. Die Verhandlungen waren unter Ausschluß der Öffentlichkeit erfolgt. Letztlich kam es nicht dazu, da Saurer selbst abgelehnt habe. Die SVP atmete auf. Diese Aktion hätte zur Folge gehabt, daß ein SVP-Vertreter in Straßburg in der EVP-Fraktion und ein anderer in der Sozialistischen Fraktion Platz genommen hätte. Es hätte der erste Schritt zur Spaltung der SVP und der Gründung einer eigenen sozialdemokratischen Partei mit SPÖ-Unterstützung in Südtirol sein können. Möglicherweise verzichtete Saurer, weil er diese Konsequenz fürchtete. Eventuell hatten die sozialdemokratischen Strategen nördlich und südlich des Brenners eine Klausel im österreichischen Europawahlrecht entdeckt, die eine Kandidatur Saurers verhinderte.

Die Südtiroler Freiheitlichen haben sich jedenfalls im Paragraphendschungel verfangen. Zunächst schien die Kandidatur eines Südtirolers an sicherer Stelle auf der Liste der FPÖ in Österreich möglich. Parteiinterne Meinungsverschiedenheiten bei den Freiheitlichen in Bozen führten jedoch zum Parteiaustritt des stellvertretenden Landesvorsitzenden Rainer Paul Kirchler, der für die FPÖ kandidieren sollte. Mit einem Europamandat wollten die Südtiroler Freiheitlichen einen Neuanfang nach den starken Verlusten bei den Landtagswahlen im vergangenen November machen. Schließlich wurde auf einer Pressekonferenz in Bozen die symbolische Kandidatur des Parteiobmannes und Landtagsabgeordneten Pius Leitner auf dem aussichtslosen 15. Platz der FPÖ-Liste bekanntgegeben. Noch am selben Tag erfolgte ein peinlicher Rückzieher, da gemäß österreichischem Wahlrecht nur EU-Bürger für Straßburg kandidieren dürfen, die in Österreich einen Wohnsitz haben. Weder Leitner noch Saurer hätten diese Voraussetzung erfüllt. Vielleicht haben die Sozialisten diese Klausel noch rechtzeitig erkannt und diskret den Rückzug angetreten. Die Freiheitlichen jedenfalls nicht, und dies obwohl schon 1996 bei der österreichischen EP-Nachwahl dieselbe Frage auf der Tagesordnung stand.

Zumindest für einen Augenblick schien das etablierte Vierparteiensystem im Österreichischen Nationalrat und im Deutschen Bundestag über Straßburg auch in Südtirol umsetzbar. Nach dem Wahltag hätte im Europaparlament je ein Südtiroler Christdemokrat, ein Sozialdemokrat, ein Freiheitlicher und ein Grüner sitzen können.

Abgesehen von dem gescheiterten Versuch der Freiheitlichen, fristet die deutsche Opposition bei den Europawahlen stets ein Außenseiterdasein. Da schon die starke SVP nur über eine besondere und komplizierte Listenverbindung den Einzug in den Glaspalast am oberen Rhein schafft, ist es der Opposition trotz verschiedener Anläufe nie gelungen, die Wähler – über die Kernwählerschichten hinaus – anzusprechen. Die bisherigen Direktwahlen machten deutlich, daß die Bürger die Chancenlosigkeit erkennen und ihre Stimme nicht verschenken wollen. Viele gehen erst gar nicht zur Wahl. Bei den Landtagswahlen 1993 konnte die volkstumspolitische Opposition aus Freiheitlichen und Union für Südtirol mit über 11 Prozent einen großen Erfolg erzielen. Nur knapp ein halbes Jahr später traten beide Gruppen gemeinsam auf einer Liste der ethnischen Minderheiten in Italien zu den Europawahlen an und erreichten dennoch nur wenig mehr als vier Prozent, was der volkstumspolitischen Kernwählerschicht entspricht.

Für die kommenden Europawahlen konnte weder eine Einigung unter den deutschen Oppositionsparteien, noch eine gemeinsame Liste der ethnischen Minderheiten (Deutsche, Franzosen, Slowenen, Sarden, Friulaner und regionalistische Parteien) erreicht werden. Die Union für Südtirol, seit den Landtagswahlen von 1998 mit über fünf Prozent stärkste deutsche Oppositionskraft, kandidiert ihr Aushängeschild, die Landtagsabgeordnete Eva Klotz, auf der Liste der Liga Veneta. Dabei handelt es sich um eine kleine, auf Venetien beschränkte, 1998 erfolgte Abspaltung von der Lega Nord. Eine gemeinsame Absprache mit den Südtiroler Freiheitlichen, die sich um eine solche bemühten, wurde explizit ausgeschlossen. Eine Wahl der Tochter des ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfers Georg Klotz, ist höchst unwahrscheinlich. Inhaltliche Unterschiede bestehen zwischen Freiheitlichen und Union kaum. Beide vertreten die Forderung nach Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes und nach Verwirklichung der Tiroler Landeseinheit. Meinungsverschiedenheiten beschränken sich primär auf Fragen der politischen Kultur und Strategie.


 
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