© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Ausstellung: "Wege der Deutschen" im Martin-Gropius-Bau in Berlin
Zwiespältige Inszenierung
Peter Lebitsch

Im Lichthof des imposanten Baus stehen gespaltene Originalteile der Berliner Mauer. Darüber türmen sich riesige Videoleinwände in fragmentierter, dreieckiger Form. Dutzende Fernseher, die den Lichthof wie einen Kranz umgeben, sorgen für eine permanente Geräuschkulisse. Die Ausstellung erweckt den Eindruck der Monumentalität, und eben dies ist beabsichtigt.

Anläßlich des 50. Gründungsjahres der Bundesrepublik haben das Deutsche Historische Museum, das Haus der Geschichte in Bonn sowie die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland die Nachkriegszeit anschaulich dargeboten: "Einigkeit und Recht und Freiheit. Wege der Deutschen 1949-1999". Zu erwähnen ist die Tatsache, daß keine historischen Fachleute die Exposition als solche gestalteten. Letztere verfaßten offenbar nur Textkommentare, gaben die Themen vor und sammelten das Material.

Bühnenbildner, Kostümdesigner, Theaterregisseure und Architekten haben die "Wege der Deutschen" nachgezeichnet, besser wohl inszeniert. Sie alle sammelten ihre Lebenserfahrungen in Westdeutschland. Auch innerhalb der Gruppe wissenschaftlicher Berater – Helga Grebing, Jürgen Kocka und Reinhard Rürup – dominieren die Altbundesrepublikaner.

Fast durchgängig wird die jüngste Vergangenheit so offeriert, wie es dem Selbstverständnis westdeutscher Eliten entspricht. Man feiert eine Art Geburtstag. Helmut Kohl wandelte bereits im Berliner Martin-Gropius-Bau, und Kanzler Schröder verfaßte das "Grußwort" für das Begleitbuch.

Die statistischen Daten der Ausstellung imponieren. Etwa 6.000 Gegenstände werden auf 5.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche präsentiert. Hunderte von Leihgebern, von Aachen bis Zwickau, darunter Archive, Museen, wirtschaftliche und öffentliche Institutionen, Vereine und Privatleute stellten Erinnerungsstücke zur Verfügung. Fernseher und Kleinkinos zeigen alte Nachrichtensendungen, Dokumentar- und Spielfilme. Weiter sieht man Modellbauten wie ein kleinformatiges Reichstagsgebäude und die aus Legosteinen gebaute Dresdner Frauenkirche, daneben Autos und Traktoren der 50er Jahre, unzählige Fotos, Bücher, Zeitschriften und Plakate, Stasi-Utensilien, einen zertrümmerten Reichsadler, den Sprengkopf einer Pershing-Übungsrakete, Joschka Fischers Turnschuhe. Manches streift die Grenze zum Kitsch, so etwa zwei lebensgroße, ausgestopfte Kühe.

39 Räume enthalten insgesamt 15 Ausstellungskapitel. Am Anfang steht ein chronologischer Abriß der deutschen Geschichte seit 1949. Im Obergeschoß wird die Entwicklung des geteilten Deutschland dann thematisch unter verschiedenen Aspekten aufgearbeitet: Innen- und Außenpolitik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Technik, Alltag, Familie, Freizeit, Sport, Wandel der Mentalitäten. Jeder Raum trägt die individuelle Handschrift der erwähnten Designer, "bis hin zur üppigen bühnenbildnerischen Gestaltung", wie es im Begleitheft ein wenig verräterisch heißt.

Der Form widmeten die Veranstalter mehr Aufmerksamkeit als inhaltlicher Kritik und Analyse. Die Bundesrepublik, heißt es, brachte den "Erfolg der parlamentarischen Demokratie, des Sozial- und Kulturstaates". Leider fehlt ein Hinweis darauf, daß die Weimarer Verfassung mehr demokratische Rechte gewährt hatte als das Grundgesetz. Schwere Probleme wie soziale Ungleichheit, neue Armut, Arbeits- und Obdachlosigkeit interessieren höchstens am Rande. Deutlich überwiegt der unkritisch-affirmative Trend.

Sehr knapp erörtert das Ausstellungs-Management die Ursachen der deutschen Teilung. Sie resultiere unabwendbar aus verlorenem Krieg und alliierter Uneinigkeit. Den "Preis für die deutsche Kriegsschuld", notiert der Kanzler, hätten die DDR-Deutschen zahlen müssen. Dabei verkennt Schröder, daß auch westdeutsche Politik die Spaltung des Landes herbeiführte. Adenauer, leidenschaftlicher Vasall der Westmächte, realisierte Ideen, die er jahrzehntelang gehegt hatte. Die Chance, ein vereinigtes Deutschland auf der Grundlage der Neutralität dem Griff fremder Mächte zu entreißen, ist nicht einmal versuchsweise genutzt worden.

Mit deutscher Kriegsschuld hat das nichts zu tun. Ohnehin läßt Schröder die Frage unbeantwortet, wie viele Länder, die einen Krieg vom Zaun brachen, geteilt werden müßten. Warum nur Deutschland?

Deutsche Servilität gegenüber den Besatzungsmächten wird tunlichst verschwiegen. Schönfärberisch ist von einem "Land unter Einfluß" die Rede. Kriegsverbrechen begingen selbstverständlich nur Deutsche, nicht jene alliierten Halbgötter, die quasi vom Himmel herabstiegen und selbstlos eine Demokratie stifteten.

Kein Wort findet der Besucher darüber, daß Amerikaner und Briten die Vertreibung der Ostdeutschen politisch genauso zu verantworten hatten wie die Sowjets. Längst steht fest, daß vor allem die USA deshalb einen westdeutschen Staat gründen ließen, weil sie ein militärstrategisches Glacis benötigten. Zwar erwähnen die Veranstalter den Namen Marshall, unterdrücken jedoch den Morgenthauplan, welcher ursprüngliche und wahre Kriegsziele der Amerikaner zum Ausdruck brachte.

Ähnlich realitätsfremd erscheint das Ausländerproblem durch die extrem unscharfe regierungsamtliche Brille: "Fast alle sind Ausländer". Auch hier tritt naive Multikulti-Propaganda, mit der sich die Ausstellungsmacher offenbar identifizieren, an die Stelle nüchterner Reflexion. Es soll eben nicht in die Geburtstagstorte hineinregnen.

Sehenswert ist die Ausstellung dennoch, allein schon wegen der enormen Materialfülle. Allzuviel Kritik und wissenschaftliche Distanziertheit darf der Besucher allerdings nicht erwarten.


 
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