© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Vergessene Schriftsteller (IV): Edwin Erich Dwinger
Dem Leiden einen Sinn geben
Ulli Baumgarten

Es gibt Schriftsteller, deren Büchern man in der Jugend begegnet und die einen so beeindrucken, daß ihre Werke einen durchs Leben begleiten. Edwin Erich Dwinger, einer der bekanntesten Schriftsteller der Weimarer Republik und, neben Werner Beumelburg, der führende Literat des "Soldatischen Nationalismus", zählt heute zu den – zu Unrecht – vergessenen Schriftstellern der Zwischenkriegszeit. Obwohl einige seiner Bücher vor Jahren wieder neuaufgelegt wurden, dürfte sein Name heute selbst in der konservativen Kulturszene kaum noch ein Begriff sein – geschweige denn, daß seine Bücher gelesen werden.

Edwin Erich Dwinger wurde am 23. April 1898 in Lübeck als Sohn einer russischen Mutter und eines deutschen Offiziers geboren; dieses Zerrissensein zwischen Deutschland und Rußland wird ihn sein ganzes Leben beschäftigen. Wie bei so vielen jungen Deutschen, so wird auch für Dwinger der Erste Weltkrieg, zu dem er sich 1915 als Kriegsfreiwilliger meldet, das zentrale Ereignis seines Lebens; Jahre, die ihn so prägen werden, daß er neben seiner selbstgewählten Tätigkeit als Bauer zum Beruf des Schriftstellers greifen wird, um das Erlebte nicht nur für sich, sondern auch – stellvertretend – für Deutschland zu verarbeiten.

Nach kurzem Einsatz an der russischen Front wird der gerade 17 Jahre alte Dragonerfähnrich schwerverwundet und gerät in russische Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit seinen Kameraden kommt er in das berüchtigte Gefangenenlager Totzkoje – ein Lager, das Tausende von deutschen Soldaten nicht wieder lebend verlassen werden, da sie, bedingt durch eine unmenschliche Lagerverwaltung, an Typhus sterben werden oder schlicht und ergreifend verhungern.

Im ersten Teil seiner Trilogie "Die deutsche Passion", dem Band "Armee hinter Stacheldraht", versucht Dwinger diesem Leiden, hervorgerufen durch die gewollte Brutalität der Lagerverwaltung, einen Sinn zu geben, wenn er schreibt: "Ein Mensch, der nicht fähig ist, sich für eine Idee aufzuopfern, gleich welcher Art, ist im höheren Sinn noch kein Mensch (…) Wir tun hier das, was erst den Menschen ausmacht: Leiden für eine Idee." Die Überlebenden dieser Hölle auf Erden werden noch weiter in den Osten, an die Grenze zu China, verlegt. Obwohl der Krieg mit Rußland 1917 beendet ist, werden die deutschen Kriegsgefangenen, die mittlerweile zum Spielball zwischen Weißen und Roten geworden sind, weiter in den Lagern gehalten – die letzten werden erst 1921 freigelassen.

Dwinger selbst gelingt zwar 1919 die Flucht aus dem Lager, jedoch wird er von den Weißen, den Antibolschewisten, gefangengenommen und vor die Wahl zwischen Tod und Teilnahme am Kampf gegen die Kommunisten gestellt. Diese schlimmste und brutalste Form des Krieges, den Bürgerkrieg, stellt Dwinger im zweiten Band der Trilogie dar, dem Buch "Zwischen Weiß und Rot". Die Schilderung der von beiden Seiten begangenen Bestialitäten gehört zum Ergreifendsten, was Dwinger je schreiben wird. Die Angst und die Faszination, die Europa Anfang der 20er Jahre vor dem Bolschewismus haben wird, und die zum Entstehen radikal rechter Parteien führt, kann nur verstehen, wer um das russische Schicksal jener Jahre Bescheid weiß.

Die Niederlage der Koltschak-Armee, der Dwinger nun angehört, und damit die endgültige Zerschlagung des antibolschewistischen Widerstandes, bringt Dwinger noch einmal in Lagerhaft. Erst eine erneute Flucht führt dazu, daß er Mitte 1920 die Grenze nach Deutschland überschreiten kann. Glückliche Umstände ermöglichen es ihm, in Ostpreußen eine Stelle als Gutsverwalter zu bekommen und einigen seiner Kameraden dort später Zuflucht und eine Zukunft als Siedler zu geben. Die Wirren dieser Jahre – Abtretung deutscher Gebiete, Inflation usw. – schildert Dwinger in dem dritten Band "Wir rufen Deutschland". Diese in der Zeit von 1929 bis 1932 erscheinende Trilogie begründet Dwingers literarischen Ruhm.

Der Großteil seines Gesamtwerkes von über 30 Büchern mit einer Auflage von etwa zwei Millionen Exemplaren widmet sich dem deutsch-russischen Verhältnis, so zum Beispiel das 1935 erschienene Buch "Die letzten Reiter", in dem der Autor die Tragödie des Baltikums und seiner seit über 700 Jahren dort ansässigen deutschen Oberschicht schildert; eine Schicht, die wie kaum eine andere zur kuturellen Befruchtung, Christianisierung und wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen hat.

Ebenfalls zu den bekannteren Werken Dwingers gehört das 1936 erschienene Buch "Und Gott schweigt?". Darin schildert er die Eindrücke eines jungen Kommunisten, der 1933 nach Rußland emigriert, über die dortigen Verhältnisse aber so entsetzt ist, daß er sich langsam zum Antikommunisten wandelt und schließlich sogar nach Deutschland zurückkehrt.

Durch seine Herkunft und sein Erlebnis doppelt geprägt, ist Dwinger zwar zeit seines Lebens überzeugter Antikommunist, gehört aber während des Dritten Reiches immer zu denen, die die Slawenpolitik des NS-Staates ablehnen und statt dessen den russischen Völkern eine gleichberechtigte Rolle neben Deutschland zugestehen. Dabei ist Dwingers Verhältnis zu den nationalsozialistischen Machthabern durchaus ambivalent. Zwar zählt sich der Vertreter der literarischen Bewegung des "Soldatischen Nationalismus" eher zu den sogenannten Nationalrevolutionären als zu den Sympathisanten der Rassenpolitik, aber dem Ruf des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, kann Dwinger nicht widerstehen; während des Rußlandfeldzuges wird er nicht nur SS-Obersturmbannführer, sondern auch Himmlers persönlicher Ost-Referent.

Auch außerhalb der SS setzt sich Dwingers Karriere fort. So wird er schon 1933 Mitglied in der Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste und Reichskultursenator, ein Amt, das zwar eher als Ehrenamt anzusehen ist denn als Machtposition in der vielfältigen – und vielfältig zerstrittenen und konkurrierenden – Kulturszene des NS-Staates, aber es läßt zumindest Zweifel aufkommen an Dwingers Selbstinszenierung in der Nachkriegszeit als Widerstandskämpfer. Im Entnazifizierungsverfahren wird ihm "vielfach großer Mut" bescheinigt; Dwinger sei "an die Grenze des Möglichen" gegangen.

Im Nachkriegsdeutschland hatte Dwinger noch einmal einen literarischen Erfolg mit dem Buch "Wenn die Dämme brechen" (1950), in dem er den Untergang Ostpreußens schildert.

Mit Edwin Erich Dwinger starb am 17. Dezember 1981 ein deutscher Schriftsteller, der wie kein anderer die schicksalshafte Verbindung zwischen Deutschland und Rußland verkörperte. Sicher wäre es zu einfach, Dwinger als einen Anti-Remarque zu bezeichnen oder ihn darauf zu reduzieren, aber ohne Remarques Welterfolg "Im Westen nichts Neues" und seine einhellige Ablehnung im nationalen Lager wären die Bücher Dwingers nicht zu dem Erfolg geworden, zu dem sie dann wurden.

In der Reihe "Vergessene Schriftsteller" erschienen bisher Beiträge von Baal Müller über Ernst Bertram (7/99) und Rudolf Borchardt (17/99) sowie von Magdalena Gmehling über Ernst Wiechert (10/99).


 
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