© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Biographie: "Opernwahrheiten" von Ileana Cotrubas
Aufrichtige Abrechnung
Julia Poser

Endlich sagt einmal eine der großen Singschauspielerinnen ihre ungeschminkte Meinung über den heutigen Opernbetrieb. Ileana Cotrubas, die zwanzig Jahre lang ihr Publikum mit ihrem seelenvollen Gesang und ihrer großen Darstellungskunst beglückt hat, weiß, wovon sie spricht. In ihrem Buch "Opernwahrheiten" nimmt sie kein Blatt vor den Mund und nennt schonungslos Freund und Feind beim Namen.

Es ist keine der üblichen Künstlerbiographien. Über ihre Anfängerjahre in Bukarest, Wien, Frankfurt und München berichtet die 1939 in Galatz geborene Sängerin eher beiläufig. Der Leser erfährt auch, warum Ileana Cotrubas sich schon mit 51 Jahren von der Bühne verabschiedete: Streptokokken hatten der kleinen Ileana in den schlimmen Nachkriegsjahren eine Herzklappe angefressen. Vielleicht konnte deshalb auch niemand ergreifender und schöner als schwindsüchtige Violetta oder Mimi sterben, als es die zierliche Rumänin vermochte.

Allerdings ließ sich die intelligente Künstlerein nie für unverständliche, ja geradezu verantwortungslose Inszenierungen einspannen, wie sie in der Geschichte um den Züricher "La Traviata-Skandal" bewies. Denn ihr künstlerisches Credo war stets, niemals an der Verfälschung eines Meisterwerkes schuldig zu werden.

So wendet sie sich mutig, aber auch voll Zorn gegen jene eitlen Regisseure, die jede Oper "zeitgemäß", "aktuell" und "innovativ" – also um jeden Preis "anders" inszenieren. Partiturtreue sei bei diesen Machern nicht mehr gefragt, "obwohl in der Partitur doch alles drin steht". Man muß sie allerdings lesen können. Auch die Dirigenten klagt Ileana Cotrubas, die mit dem deutschen Dirigenten Manfred Ramin verheiratet ist, an, die auf die Verwirklichung des Gesamtkunstwerkes verzichten und – wie Wolfgang Sawallisch bekennt – "am liebsten gar nicht mehr nach oben auf die Bühne schauen". So überlassen sie einer sensationslüsternen Intendanz und der Regie kampflos das Feld.

Vehement wehrt sie sich dagegen, die Opfer als ein kulturelles "Auslaufmodell" zu sehen. Haben zum Beispiel Parteipolitiker das Recht, durch die Berufung eines ihnen genehmen Intendanten etwas zugrunde zu richten, was einige der größten Genies geschaffen haben? fragt Ileana Cotrubas und antwortet zugleich "Nein, die Oper ist unsterblich, nur muß man sie richtig inszenieren". Als leuchtende Beispiele nennt sie Regisseure wie Ponnelle, Strehler und Schenk.

Dem Sängernachwuchs gibt Ileana Cotrubas viele wertvolle Hinweise, warnt aber zugleich vor falschen Hoffnungen und zu frühem Verschleiß der Stimme. Auch als heute anerkannte Gesangslehrerin weiß sie, wovon sie spricht. Dabei verfällt sie nie in einen dozierten Fachjargon, so daß ihre "Opernwahrheiten" für jeden Leser eine aufschlußreiche, amüsante, oft zum Schmunzeln reizende Lektüre sind, aber auch zum Nachdenken über die heutige Kulturpolitik zwingen.

Ihre Sorge gilt dabei vor allem der Jugend, die nicht mehr die Opern kennenlernt, wie sie sind, sondern nur noch in der verschandelten Interpretation eines Nicht-Musiker-Regisseurs.

Nie kehrt die Cotrubas die "Primadonna" heraus, die sie ohne Zweifel war. Vom Scheitern bei der Aufnahme ins Konservatorium erzählt sie genauso ehrlich wie von einer verpatzten Note. Sie schwärmt von Plattenaufnahmen mit Carlos Kleiber, mit dem sie die wohl schönste "La Traviata" einspielte, oder von einem abenteuerlichen Flug von England nach Mailand, wo sie als Mimi schließlich Furore machte.

Ein liebenswertes, kluges und herzerfrischendes Buch einer Künstlerin, die auszusprechen wagt, wozu vielen der Mut fehlt.

 

Ileana Cotrubas: "Opernwahrheiten", Holzhausen Verlag, Wien 1998, 257 Seiten, 83 s/w- und Farbfotos, 64 DM


 
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