© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Europa-Wahl: Republikaner-Chef Rolf Schlierer über die Chancen seiner eurokritischen Partei
"CDU hält Kampagne nicht durch"
Dieter Stein

Herr Dr. Schlierer, welche Auswirkungen haben die Friedensgespräche zwischen der Nato und den Serben auf die Europawahl?

Schlierer: Es steht heute noch nicht fest, ob die Friedensverhandlungen überhaupt fortgeführt werden können. Es ist nicht sicher, ob es in dieser Woche zu einem wirklichen Waffenstillstand kommen wird. Ich befürchte, daß der Konflikt auf dem Balkan die Wahrnehmung der Europawahl erschwert. Es könnte dazu führen, daß wir, wie in Bremen, eine sehr niedrige Wahlbeteiligung bekommen.

Sie haben Ihren Wahlkampf ja auch gegen den Krieg auf dem Balkan gemacht.

Schlierer: Wir haben mit dem Slogan "Die Nato bombt – Deutschland zahlt" darauf hingewiesen, daß der Krieg nicht nur völkerrechtswidrig ist, sondern uns wieder einmal in die Zahlmeisterrolle manövriert, die wir ja schon in Europa innehaben. Die Ankündigungen der Bundesregierung machen deutlich, daß wir mit erheblichen finanziellen Lasten zu rechnen haben. Das ist ein Thema, welches auch im Sinne der Lastenteilung, wie sie im Amsterdamer Vertrag festgeschrieben wurde, in Europa eine Rolle spielen wird.

Wie wird diese finanzielle Belastung durch den Krieg aussehen?

Schlierer: Es wird eine Summe von rund 50 Milliarden Mark genannt. Wenn die Europäer wirklich im Sinne einer Marschall-Plan-Hilfe auf dem Balkan etwas bewegen wollen, wird es sich um eine Summe in dieser Höhe handeln. Fest steht für uns jedoch, daß dies nicht von Deutschland finanziert werden kann, sondern daß auch die europäischen Partner gefordert sind. Wir können nicht auch noch für den Balkan die Zahlmeisterrolle übernehmen.

Was ist Ihr Vorschlag zur Lösung im Kosovo?

Schlierer: Hier gibt es unsererseits zwei Vorschläge. Erstens müssen jene, die hier die Zerstörungen angerichtet haben, auch für den Wiederaufbau in die Pflicht genommen werden – das sind die USA. Zweitens wird nur dann eine Lösung denkbar sein, wenn das Kosovo aus Serbien ausgegliedert wird. Die momentanen Waffenstillstandsverhandlungen sehen eine andere Lösung vor, nämlich den Verbleib des Kosovo bei Serbien – damit wird der Konflikt jedoch auf Dauer anhalten.

Sehen Sie auch den Kosovo-Konflikt als eine Zäsur an? Hat er Ihre Sicht auf Europa geändert?

Schlierer: Der Krieg gegen Jugoslawien hat zweierlei deutlich gemacht. Erstens das Versagen der europäischen Sicherheits- und Außenpolitik. Es wurde deutlich, wie uneins die Europäer sind und unfähig, selbst im eigenen Nahbereich die Probleme anzugehen. Zweitens, und das ist das wesentlich schlimmere, führt das Eingreifen der Amerikaner an der UNO vorbei zu einem Dammbrucheffekt im Völkerrecht. Heute kann sich fast jeder aussuchen, wann er in Berufung auf die Menschenrechte irgendwo einen Krieg führen möchte.

Wie soll denn eine von den USA unabhängige, europäische Politik aussehen?

Schlierer: Europa hat in Zukunft nur dann eine Chance, wenn es sich von den USA emanzipiert. Wir müssen raus aus der Rolle der Vasallen und Tributpflichtigen und müssen eine eigenständige und selbstbewußte europäische Politik betreiben, die der Stabilisierung der Verhältnisse in Europa dient.

Was wären die Kernbestandteile dieser eigenständigen europäischen Politik?

Schlierer: Kernbestandteil einer solchen Politik muß die Einhaltung des Völkerrechtes, der Respekt vor der Souveränität der einzelnen Nationalstaaten, der Schutz der Menschenrechte, aber eben auch die Einhaltung aller jener Instrumente sein, die es im Kriegs- und Völkerrecht gibt. Vor allen Dingen auch ein frühzeitiges Eingreifen. Milosevic konnte nur handeln, weil man jahrelang zugeschaut hat und ihn hat gewähren lassen. Solange es um Kroatien und Slowenien ging, gab es keine Probleme mit Herrn Milosevic. Das zeigt die doppelte Moral unserer Partner.

An welche Institution denken Sie bei einer Alternative zur US-geführten Nato?

Schlierer: Es gibt da überhaupt nur eine Einrichtung, und das ist die Westeuropäische Union (WEU), die man stärken könnte. Dies könnte eine europäische Verteidigungsgemeinschaft sein, die sich von der Nato emanzipiert. Hierbei müßten vor allem Frankreich, Großbritannien und Deutschland an einem Strang ziehen. Wichtig wird das Verhalten des Vereinigten Königreiches sein, das sich bisher in allen sicherheitspolitischen Fragen eher an den USA orientiert als an Europa.

Sie gelten als die eurokritische Partei schlechthin. Ist der Euro noch rückgängig zu machen?

Schlierer: Wir werden das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen können. Es besteht ja nach wie vor die Möglichkeit, die endgültige Einführung des Euro als Zahlungsmittel noch einmal zu verschieben. Der freie Fall des Euro war programmiert. Es wäre jetzt im Interesse aller, die Fortführung der Umsetzung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion auszusetzen.

Würde dies auch die Freigabe der Wechselkurse bedeuten?

Schlierer: Wenn wir die Wechselkurse nicht freigeben, werden wir zu einer erheblichen Schwächung unserer Wirtschaft kommen. Dies hat mit Sicherheit auch negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Wenn wir hier nicht mehr Flexibilität zeigen, dann wird es mittel- und langfristig zu erheblichen negativen Wirkungen auf unser Wirtschaftswachstum kommen.

Sind Sie in Einzelfällen für die Stärkung europäischer Institutionen oder grundsätzlich für deren Rückbau?

Schlierer: Ich bin dafür, daß die Kompetenzen, die von den nationalen Parlamenten in den letzten Jahren in atemberaubendem Tempo an die EU- Institutionen abgegeben wurden, wieder zurückgeholt werden. Es gibt viele Bereiche, die gemäß dem Subsidiaritätsprinzip auf nationaler Ebene geregelt werden könnten. Auch müßte innerhalb der europäischen Einrichtungen die Machtkontrolle durchsichtiger gestaltet werden. Stadt mehr Kompetenzen der nationalen Parlamente auf die EU zu verlagern, müßte das EU-Parlament als Kontrollinstanz ausgebaut werden.

Wie verbessern sich die Chancen der Republikaner durch den Verzicht der DVU, bei den Europawahlen anzutreten?

Schlierer: Der Verzicht der DVU erfolgte aus freien Stücken. Die Chancen der Republikaner werden ganz entscheidend mitbestimmt durch die Wahlbeteiligung und wie sich der Konflikt im Kosovo auf das Wahlverhalten im ganzen auswirkt. Ich kann nicht abschätzen, ob die innenpolitischen Themen, also der Wahlkampf à la FDP und CDU, hier eine Rolle spielen wird. Wir sind die einzige Partei, die für eine Interessenpolitik im Sinne unseres Landes eintritt. Die Themen, die wir klipp und klar für Europa angesprochen haben, sind von den anderen Parteien schlicht totgeschwiegen worden.

Welches Wahlziel haben Sie sich gesetzt?

Schlierer: Wir wollen so gut wie möglich abschneiden – wir wollen auch das Ergebnis vom letzten Mal übertreffen. Ich will mich allerdings nicht auf eine Prozentzahl genau festlegen.

Welche Auswirkung hatte denn der Regierungswechsel von Kohl zu Schröder auf Sie als rechte Oppositionspartei? Wird es der Union aus der Oppositionsrolle heraus leichter fallen, die politischen Ränder aufzusaugen?

Schlierer: Die Erfahrungen im letzten Jahr in Bayern und auch in Hessen haben gezeigt, daß die Union verbal weiter nach rechts rückt, um auch hier Wähler einzufangen. Das ist ihr bei der Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft auch gelungen. Wir haben allerdings auch gesehen, daß die CDU solche Kampagnen gar nicht mehr durchhalten kann. Ich habe keine Furcht, das wir wie in den siebziger Jahren eine Union erleben, die alles einsammelt, was sich rechts von ihr bewegt.

Haben Sie deswegen Ihren Kurs geändert?

Schlierer: Aufgrund der jetzigen Lage haben wir bisher keine Notwendigkeit gesehen, unseren Kurs oder unsere Aussagen zu ändern. Wir werden aber sicherlich in vielen Punkten, die sich durch die rot-grüne Regierung ergeben, hart in der Sache zupacken. Die Menschen werden mitbekommen, daß das Wortgeklingel der Union nicht viel wert ist und nur bis zum nächsten Wahltermin hält.

Wie bewerten Sie das Wahlergebnis in Bremen?

Schlierer: Ich halte das Ergebnis der Wahl in Bremen weder für überraschend noch für besonders aufregend. Die SPD hat unter dem jetzigen Bürgermeister die Abspaltung der AFB (Arbeit Für Bremen) zurückgeholt. Sie hat damit wieder Wähler an sich gebunden, die ihr kurzfristig einen Denkzettel verpaßt hatten. Die Union hat dazugewonnen, das ist das einzig besondere. Erfreulich ist nur das schlechte Abschneiden der FDP, die wohl langsam von der politischen Bühne verschwindet.

Wollen Sie mit anderen europäischen Parteien zusammenarbeiten, wenn Sie ins Europaparlament kommen?

Schlierer: Sicherlich mit der FPÖ. Ich sehe auch die Möglichkeit, daß wir mit dem Front National aus Frankreich Kontakte knüpfen können. Auch bei den britischen Konservativen sehen ich Berührungspunkte.

Es geht doch auch darum, im Europäischen Parlament Fraktionen zu bilden.

Schlierer: Das Recht des Europaparlaments sieht die Möglichkeit vor, Fraktionen zu bilden. Sicherlich gibt es für uns die Möglichkeit, hier eine technische Fraktion zu bilden, denn je mehr Länder an solch einer Fraktion beteiligt sind, desto geringer kann ihre personelle Stärke sein. Es gibt ja auch noch den Vlams-Blok, so daß wir schon drei Koalitionäre hätten.

 

Dr. Rolf Schlierer wurde 1955 in Stuttgart geboren. Er studierte nach dem Abitur Medizin in Gießen und erhielt 1979 die Approbation. Nach dem Grundwehrdienst als Sanitätsoffizier finanzierte er als Arzt ein Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie in Tübingen. Seit 1991 arbeitet er als Rechtsanwalt in Stuttgart. Schlierer, von 1976 bis 1979 Mitglied im RCDS, trat 1987 den Republikanern bei und wurde 1992 Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. 1994 übernahm er als Nachfolger von Franz Schönhuber den Parteivorsitz der rechtskonservativen Partei. 1996 gelang den Republikanern mit 9,1 Prozent der Wiedereinzug in den baden-württembergischen Landtag.


 
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