© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Tod eines Deutschen: In Frankfurt warten die Täter auf ihren Prozeß
Ein vergessenes Opfer
Ellen Kositza

Seit demselben Wochenende, an dem in Guben ein Asylbewerber aus Algerien ums Leben kam, ist für Familie E. aus Offenbach nichts mehr so, wie es einmal war. Am frühen Morgen des 14. Februar klingelte die Polizei in dem grauen Wohnblock nahe der Stadtmitte an der Wohnungstür von Larissa und David E., um den Eltern mitzuteilen, daß ihr Sohn Robert in der Nacht erstochen wurde.

Zusammen mit fünf weiteren Offenbachern im Alter zwischen 20 und 27 Jahren hatte Robert E. am Abend zuvor eine Faschingsfeier an der Frankfurter Universität besuchen wollen, das alljährliche Großereignis "Quartier Latin". Bereits in der S-Bahn war es zu einer Rangelei zwischen dem späteren Opfer und einem unbekannten Ausländer gekommen; darüber hatte es die Gruppe – jedoch nicht der fremde Beteiligte – verpaßt, an der Station "Hauptwache" auszusteigen. Auf dem folgenden Bahnhof Frankfurt-Griesheim verließ man die Bahn in der Absicht, die Gleise zu überqueren und mit der nächsten Verbindung zurück zur zentralen Hauptwache zu fahren.

In Griesheim wurden die Offenbacher jedoch bereits von einigen Jugendlichen erwartet. Die Griesheimer begannen zu pöbeln und zu schubsen, schließlich holte man mit dem Ruf "Hier sind’n paar Deutsche" tatkräftige Hilfe aus einem nahegelegenen Döner-Kebap-Stand. Deutlich war dabei, so der Mitbeteiligte Patrick S., daß man es vor allem auf den 23jährigen Robert E. abgesehen hatte. Die Verstärkung kam – bereits mit gezogenem Messer, ohne daß bisher eine Waffe aufgetaucht wäre. Als Patrick S. bemerkte, wie sich plötzlich ein Blutfleck "etwa in CD-Größe" auf dem Hemd seines Freundes ausbreitete, versuchte er gemeinsam mit dem Niedergestochenen zu fliehen – zwecklos, es wurde weiter gestochen.

Als Robert E. bereits in gekrümmter Haltung auf dem Boden kauerte, riß einer der der Täter dem Opfer noch den Kopf in den Nacken und versetzte ihm die letzten tödlichen Stiche. Robert starb im Notarztwagen, zwei seiner Freunde wurden schwer verletzt, die Täter entkamen.

In den folgenden Tagen wurden zahlreiche Verdächtige festgenommen und wieder freigelassen, schließlich konnte man dreizehn Beteiligte, teils per Identifizierung durch die Offenbacher, teils durch rechtsanwaltgestützte Geständnisse ermitteln. Unter den dreizehn Namen ist nicht ein einziger deutscher. Als mutmaßliche Mörder sitzen mittlerweile der türkischstämmige Denis T. (18) und der aus Eritrea stammende Semere T. (19) in U-Haft.

Roberts Mutter Larissa E. zeigt ihre Aktensammlung: Da ist etwa die Aussage der marokkanischen Freundin eines der Haupttäter zu lesen. Noch am Tatabend habe ihr Freund geprahlt, "ich habe ihm vier Stiche gegeben". Larissa E.: "Durch den Anwalt wissen wir, daß die Mörder unseres Sohnes mittlerweile als reuig gelten." Das kann die zu erwartende Haftstrafe weiter kürzen.

Wieviele Jahre Jugendgefängnis auf Semere T. und Denis T. warten, spielt für das Ehepaar dabei eine geringe Rolle. Robert ist tot, er hatte nach Wehrdienst und Lehre gerade angefangen in seinem Beruf als Heizungsbauer zu arbeiten. Autos waren seine Leidenschaft. Robert war ein Bastler, sagt sein Freund Patrick, kürzlich erst habe er sich zwei alte, kaputte Porsches gekauft mit dem Ehrgeiz, sie wieder aufzubauen. Die Bluttat: ein Skandal. Eine über die rein sachliche Erstinformation hinausgehende Berichterstattung: Fehlanzeige. Keine öffentliche Wut, Trauer, Betroffenheit. "Ein oder zwei ganz gute Leserbriefe" habe es in der Zeitung gegeben.

Larissa E. ist Krankenschwester, eine schöne, bewundernswerte Frau, in ihrer unermeßlichen Trauer schwankend zwischen äußerster Niedergeschlagenheit und vitalem Aufbegehren – und sie ist zäh, kämpferisch. "Man muß doch etwas tun", weint sie tränenlos, "ich muß etwas tun, das bin ich meinem Sohn schuldig."

Die Familie E. erlebt in ihrem privaten Umfeld verstärkt, daß sich eine gewisse "Ghettoisierung" immer stärker zuspitzt, daß unverhoffte, unprovozierte Auseinandersetzungen mit Fremden – mit den Moslems, sagen sie – zunehmen. "Aber das sind ja eigentlich keine Ghettos", beschreibt David E., "wenn es denn einzelne Stadtteile wären, die man eben als Deutscher zu umgehen hat, so wie in Amerika."

Die gesamte Offenbacher Innenstadt suchen die beiden schon lange zu meiden. Es ist der Islam, ist sich Roberts Vater sicher. "Wissen Sie, was diese Leute denken, an was sie glauben, wieviel denen ein Menschenleben, und sei es ihr eigenes, bedeutet?" fragt er hart. Das Messer, mit dem sein Sohn in "tierischer Weise niedergemetzelt" wurde, ist für ihn Symbol für das, was Europa in Zukunft erwartet. "Ich beneide Ihre Generation nicht, oh nein, wirklich nicht."

Was die Eltern von Robert und seine 27jährige Schwester fühlen, vermag wohl kein Außenstehender im Innersten nachzuempfinden. Einzig vielleicht Familie H., ebenfalls aus Offenbach, mit denen die E.s nun Kontakt aufgenommen haben. Ihr Sohn Timo H. wurde im Mai erstochen, nachdem er eine Gaststätte im Landkreis Offenbach verlassen hatte. Die beiden mutmaßlichen Haupttäter, zwei junge Kosovo-Albaner, sitzen in Untersuchungshaft, die weiteren Beteiligten konnten nicht ermittelt werden.

Hat es hier eine Resonanz der Medien, öffentliche, offizielle Beileidsbekundungen gegeben? "Klar gab es die Schlagzeile am nächsten Tag", sagt Rudolf H. mit blecherner Stimme, "aber sogar die war falsch". Timo H. war keineswegs in eine Massenschlägerei verwickelt gewesen, wie es die Sensationspresse verkündet hatte. Er hatte arglos eine Kneipe verlassen und wurde grundlos und kaltblütig umgebracht. "Unser Sohn war überall beliebt." Tatsächlich sprachen die zahlreichen großflächigen Traueranzeigen in der Offenbach-Post Bände. Jedoch, so Herr H., "nicht einmal über den Trauerzug hier in Rodgau mit 3.000 Teilnehmern wurde adäquat berichtet". Das wäre politisch auch nicht opportun, sagt David E. verbittert.

Die Frage nach den Staatsangehörigkeiten erweist sich jedenfalls im Falle des Mordes an Robert E. als virtuell. Das Opfer, zwar hier geboren und aufgewachsen und in Griesheim mit ausschließlich deutschen Freunden aufgetreten, besitzt keinen deutschen Paß. Robert und sein Vater sind Israelis. Die Messerstecher sind längst Deutsche.


"Während der Tod des jungen Deutschen, der vor einer Woche in Frankfurt von einem jungen Ausländer erstochen wurde, ein ’normaler‘ Mordfall blieb und nicht die geringste Spur im öffentlichen Diskurs hinterlassen hat, wurde des Todes von Omar Ben Noui in Brandenburgs Hauptstadt Potsdam höchst offiziell gedacht. Es war bequem und gänzlich unkonkret, auf diese Weise zu gedenken."

Thomas Schmid in der "Welt" vom 20. Februar 1999


 
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