© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Tod eines Ausländers: In Cottbus stehen elf deutsche Jugendliche vor Gericht
Die Öffentlichkeit nimmt Anteil
Thorsten Thaler

Einige hundert Einwohner der brandenburgischen Kleinstadt Guben waren dem Aufruf ihres parteilosen Bürgermeisters Gottfried Hain gefolgt, "betroffen" und "fassungslos" reihten sie sich am 14. Februar dieses Jahres in den Demonstrationszug ein und marschierten zu dem Wohnhaus in der Hugo-Jentsch-Straße 14. Im Treppenhaus des schmucklosen Plattenbaus war in der Nacht zum 13. Februar der algerische Asylbewerber Farid Gouendoul verblutet, nachdem er die Glastür eingetreten hatte – "in Todesangst" vor seinen vermeintlichen Verfolgern, wie die für den Fall zuständige Staatsanwaltschaft in Cottbus annimmt.

Die Verfolger – das sind elf Jugendliche im Alter zwischen 17 und 20 Jahren, denen seit Donnerstag voriger Woche vor dem Landgericht Cottbus der Prozeß gemacht wird. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung, gefährliche Körperverletzung und Volksverhetzung vor. Den Anklagepunkt des Landfriedensbruchs hat das Gericht am ersten Verhandlungstag zurückgewiesen; dafür sei die elfköpfige Gruppe nicht groß genug gewesen, wie ein Gerichtssprecher mitteilte.

Für die angeklagten jungen Männer, die von Staatsanwaltschaft und Medien unisono der rechten Szene in Guben zugerechnet werden, wiegt der Vorwurf der fahrlässigen Tötung am schwersten; die Höchststrafe beträgt fünf Jahre Jugendhaft. Laut Anklage sollen die elf Jugendlichen den unter dem falschen Namen "Omar Ben Noui" in Deutschland lebenden Algerier in den frühen Morgenstunden des 13. Februar aus Rache in den Tod gehetzt haben.

Den Ermittlungen zufolge waren einige der Angeklagten zuvor in der Diskothek "Dance Club" in eine Auseinandersetzung mit Vietnamesen und Kubanern verwickelt. Während der Rempelei verletzt ein Kubaner einen der Jugendlichen mit einem Metallgegenstand – Beteiligte werden später von einer Machete sprechen –, daraufhin fliehen die Deutschen zu einer nahegelegenen Tankstelle, wo sie auf Freunde und Bekannte treffen. Bei der Polizei erstatten sie Anzeige gegen den Kubaner, bei dem es sich um einen stadtbekannten Drogendealer handeln soll.

Aus Rache für ihren verletzten Kumpel, so die Staatsanwaltschaft, fährt die inzwischen elfköpfige Gruppe in drei Autos durch die Stadt, sammelt an einer Baustelle Pflastersteine auf, die durch die Scheiben eines Asia-Shops fliegen. Auf ihrer Tour stoßen die Jugendlichen dann auf drei Ausländer. Der 28jährige Farid Gouendoul und zwei weitere Asylbewerber rennen davon, drei Deutsche steigen aus den Autos aus und nehmen die Verfolgung auf. Sie holen den Algerier Khaled Bensaha ein, treten und schlagen ihn. Gouendoul und der dritte Ausländer sind schneller, die deutschen Jugendlichen verlieren sie aus den Augen, doch die Flüchtenden bemerken das nicht. Unbedrängt, aber "in Todesangst", so die Staatsanwaltschaft, zertrümmert Farid Gouendoul die Glasscheibe der Eingangstür in der Hugo-Jentsch-Straße 14, verletzt sich die Schlagader und verblutet wenige Minuten später im Treppenhaus.

Der Tod Farid Gouendouls löste bundesweit heftige Reaktionen aus. Gubens Bürgermeister Gottfried Hain initiierte eine Unterschriftenaktion gegen "Ausländerfeindlichkeit", an einer Trauerfeier der brandenburgischen Landesregierung in Potsdam nahmen neben Ministerpräsident Manfred Stolpe, weiteren Kabinettsmitgliedern und der Ausländerbeauftragten Almuth Berger Vertreter aller Parteien und selbst der Bundesregierung teil. Die Medien berichteten tagelang.

Für den Prozeß, in dem sich die Angeklagten bislang noch nicht äußern konnten, hat das Landgericht Cottbus 31 Verhandlungstage angesetzt. Dabei sollen 60 Zeugen und Sachverständige vernommen werden. Ein Urteil wird frühestens für November erwartet.


 
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