© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Griechenland: In den "Kafeneions" und Salons ist der Kosovo-Krieg umstritten
Hellas’ Sicht auf Onkel Sam
Gregor M. Manousakis

Die Meinungsumfragen in Griechenland über den Krieg in Jugoslawien ergeben eine Ablehnung, die sich zwischen 95 Prozent und 99,5 Prozent bewegt. Diese Ergebnisse haben selbst in Griechenland überrascht. Die Folge war ihre mehrmalige Wiederholung, wie es heißt, auch durch nichtgriechische Stellen. Ebenfalls überrascht, haben westliche Medien eine Erklärung dieses Phänomens gesucht. Dabei haben sich zweierlei "Theorien" herauskristallisiert. Die eine stellt die angebliche orthodoxe Solidarität heraus, die zwischen den Griechen und den Serben existiere. Diese mag es in der Tat geben, obwohl sie sehr fragil ist. Anderenfalls müßte Südwest-europa ein Paradies der zwischenstaatlichen Beziehungen sein, was es nie war.

Die andere "Theorie" besagt, durch die Ablehnung des Krieges in Jugoslawien drückten die Griechen ihren Anti-Amerikanismus aus. Auch in dieser Sicht liegt ein Körnchen Wahrheit. Die gewisse Unterstützung, die Washington der Politik Ankaras gegenüber Athen und Zypern gewährt, hat in den Augen der Griechen Kratzer auf dem Bild Amerikas verursacht. Dennoch basiert das griechisch-amerikanische Verhältnis auf einer sehr stabilen Grundlage, die sowohl historische als auch aktuelle Seiten hat. Die Vereinigten Staaten haben den griechischen Aufstand 1821 gegen das Osmanische Reich unterstützt. Beide Länder standen in Europa stets auf der gleichen Seite der Front, die kommunistische Rebellion (1945/49) wurde mit amerikanischer Hilfe niedergeschlagen. Es gibt kaum eine griechische Familie, die nicht einen amerikanischen Ausläufer hat, Tausende von Griechen studieren in den USA, in einem unverhältnismäßig hohen Maß bei amerikanischen Professoren griechischer Abstammung.

Einen Anti-Amerikanismus im herkömmlichen Sinne gibt es in Hellas nicht. Es gibt nur Widerstand gegen amerikanische Politik, wenn sie Hellas benachteiligt. Daß dies oft wegen der Haltung Washingtons gegenüber der Türkei mit Blick auf deren Politik gegenüber Griechenland und Zypern geschieht, ist nicht nur die Schuld der Griechen.

Ob im Dorf oder in der Stadt, im "Kafeneion" verkehren alle; das einfache Volk und die bessere Welt. Dort werden Regierungen gestürzt, Wahlen abgehalten, das nationale wie internationale Geschehen kommentiert. Die Diskussion findet über alle Tische hinweg statt. Dort unterhält sich das Volk.

Informationen über den Krieg direkt aus Jugoslawien

Der Fremde mag zuweilen über das Niveau der Diskussion staunen. Dahinter steht nicht mehr als der Umstand, daß alle griechischen Zeitungen Kommentare und Artikel von großen amerikanischen, britischen und französischen Zeitungen über aktuelle Themen in griechischer Übersetzung veröffentlichen, dies gilt auch für die Situation in Jugoslawien. Vollständige Kommentare aus Le Monde, New York Times, Times, Newsweek , Time Magazin, sind täglich in der griechischen Presse ebenso zu lesen wie Artikel von Solana, Kissinger oder französischen Intellektuellen.

Mit Blick auf den Krieg fließen Informationen direkt aus Jugoslawien. Es gibt keine überregionalen Zeitungen (und als solche gelten in Hellas alle politischen Zeitungen, die in Athen und Thessaloniki verlegt werden) und keine Fernsehsender, die nicht einen Korrespondenten in Belgrad, manche sogar einen weiteren im Kosovo unterhalten. Die Griechen wußten schon Anfang April, daß die Befreiungsarmee Kosovos (UÇK) die Ziele der Nato im Kosovo vorschreibt. Erst Ende April gab es die Nato zu, unterstrich aber dabei, daß sie nicht die Luftwaffe der albanischen Separatisten sei.

Die Griechen wußten schon seit Rambouillet, daß die Lage, die CNN und andere westliche Medien suggerierten, mit der Wirklichkeit wenig gemein hatte. Es war bekannt, daß das Papier, das den Serben vorgelegt wurde, wenig mit den Bedingungen zu tun hatte, die die Kontaktgruppe für Belgrad ausgearbeitet hat. Das Papier wurde auf Betreiben Washingtons und Londons geändert, bevor es den Serben vorgelegt wurde. Weitere Einzelheiten darüber wurden in Griechenland bekannt, als Holbrooke in Belgrad einen letzten unsanften Versuch unternahm, Milosevic zu zwingen, die Souveränität Jugoslawiens an die Nato abzutreten.

Unter diesen Umständen hat kaum ein Grieche den Rechtfertigungen der Nato für ihre Bombardierungen geglaubt. Dazu haben auch zwei andere Momente eine wesentliche Rolle gespielt. Die Griechen wußten, daß Milosevic Albaner aus dem Kosovo vertrieben hat, und die Medien haben es gebührend verurteilt; das sei brutal und keine Lösung. Gleichwohl wußten sie, daß die Vertreibungen gegen bestimmte Personen und Familien gerichtet waren, die der Kosovo Befreiungsarmee (UÇK) nahestanden oder schon in den achtziger Jahren sich in Terroraktionen gegen die Kosovo-Serben exponiert hatten. Ein in dieser Zeit in der internationalen Presse unterbelichteter Aspekt des jugoslawischen Dramas, der nichts rechtfertigt, jedoch einiges erklärt.

Unglaubhaft erschien den meisten Griechen auch die amerikanische Empfindlichkeit gegenüber den verletzten Menschenrechten der Kosovaren. Anderenfalls, so der vorherrschende Tenor in den Diskussionen, wäre Amerika schon längst gegen den Genozid vorgegangen, den die Türkei gegen die Kurden verübt. Dieser findet aber mit amerikanischen Waffen und zuweilen mit amerikanischen Ausbildern statt.

Die großen Flüchtlingsströme aus dem Kosovo begannen mit der Bombardierung, nach dem 24. März. In Griechenland ist bekannt, daß sie von drei Seiten ausgelöst wurden: Von den Serben selbst, auch um die Nato mit einem Problem zu konfrontieren, mit dem sie nicht gerechnet hat; von der UÇK, weil sie die Fernsehbilder brauchte, um auf die Tränendrüsen in der ganzen Welt zu drücken und so die Weltöffentlichkeit gegen Milosevic aufzubringen; und schließlich von den Bombardierungen der Nato. Alle diese Faktoren der Vertreibung wurden von der Clan-Ordnung der nordalbanischen und Kosovo-Gesellschaft potenziert; wenn der Clan beschließt zu gehen und der Beschluß von wenigen, älteren oder gebildeten Personen getroffen wird, folgen alle seine Angehörigen, Hunderte oder mehr.

Zudem wußten die Griechen, daß spätestens seit Anfang April die Nato den Begriff "militärisches Ziel" sehr weit gefaßt hat; auch alte Brücken, wie in Novi Sad, welche nur kleine, leichte Fahrzeuge benützen dürfen, Schulen, Krankenhäuser, Treibstofflager für den täglichen Gebrauch, Fabriken aller Art, gehören dazu. Es geht nicht um die unauffindbare jugoslawische Armee, sondern um die Moral des jugoslawischen Volkes.

Die orthodoxe Solidarität der Griechen ist aktiviert

Die Orwell’sche Diktion der Stellungnahmen der Sprecher der Nato und des Pentagon, Shea und Bacon, verursachen in Griechenland Zorn. Die Arroganz beider, vor allem Sheas, hat die "orthodoxe Solidarität" aktiviert. Griechische Künstler veranstalteten Pop-Konzerte auf den Plätzen aller griechischen Städte, andere fuhren nach Belgrad und übernachteten auf den Brücken dieser Stadt.

Die Bombardierung der Fernsehanstalt in Belgrad löste Entrüstung aus. Konsterniert unterhielten sich die Menschen überall darüber. Die Presse fand den für das Empfinden des Volkes richtigen Ausdruck dafür: das sei die neue Art der totalen Zensur.

Über diese Thematik diskutiert das Volk im "Kafeneion". Es werden böse Witze gerissen. Für Albright, Clark, Cohnen u.a. benutzt man abfällige Ausdrücke, Clinton, Blair, Chirac, Robinson und Scharping werden beschimpft, Schröder, D’Alema und Simitis bemitleidet, Fischer ausgelacht. Papandreou mißtraut man, er sei in Amerika geboren und besitze angeblich noch die amerikanische Staatsangehörigkeit.

Der Krieg wird in den Salons ebenso diskutiert wie in den "Kafeneions". Es gehe nicht um Jugoslawien, sondern um Europa, ist die allgemeine Ansicht. Der Krieg sei in dem Moment ausgelösr worden, in dem der Euro dabei war, sich neben dem Dollar als internationale Parallelwährung zu etablieren. Das will Washington auf keinen Fall, koste es, was es wolle. Es wird Brzeniniski zitiert: Europa sei der Brückenkopf Amerikas in Eurasien; es habe keine weitere Aufgabe, es sei denn, den Dollar zu entthronen.

Washington strebe die weitere staatliche Fragmentierung Südosteuropas an, damit die Spitze des Brückenkopfes einen ständigen Stabilisator brauche, eben Amerika. Damit werde das Abblocken Westeuropas nach Osten und Rußlands nach Westen bezweckt. So soll die Annäherung zwischen beiden verhindert werden. Viele ersetzen hier das Wort Westeuropa einfach mit Deutschland. So wird der Akkord zwischen Paris, London und Washington erklärt. Nachdem alles nichts geholfen habe, Deutschland als wichtige Macht im Zentrum Europas auszuschalten, gehe die alte Entente nun diesen Weg: es durch den ständigen Stabilisator des weiter fragmentierten Südosteuropas vom Osten abzuschneiden. In dieser Aufgabe soll sie von der Türkei unterstützt werden. Daher gilt in den Salons als ausgemacht, daß, wenn sich die Nato in Jugoslawien so durchsetzt, wie Amerika es will, eine neue Runde von Pressionen gegen die EU eingeleitet wird, die Türkei doch als Mitglied aufzunehmen.

Auch wenn die Opposition die Regierung wegen ihrer nachgiebigen Haltung gegenüber der Nato anklagt, ist jedem klar, daß Simitis keine andere Wahl hatte. Unverblümt hat ihn Clinton selbst im März vor die Alternative gestellt, entweder gegen Jugoslawien mitzumachen oder es gäbe schwere Komplikationen mit der Türkei. Simitis ist kein Kriegsheld. Sein Traum ist es, Griechenland in der EWU zu sehen. Ende des Jahres soll die Wirtschaft die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Der Krieg stört dieses Ziel, insofern ist Simitis gegen ihn, egal wer ihn ausgelöst hat oder wer ihn in die Länge zieht.

Die Griechen wissen über ihren Ministerpräsidenten Bescheid, sie bemitleiden ihn und halten ihm gegenüber still. Sie trösten sich damit, daß alle Nato-Regierungen, mit Ausnahme Großbritanniens, gegen den Krieg sind, sich jedoch dem Druck Washingtons beugen.

Wegen dem, was der Krieg gegen Jugoslawien für die einzige Macht bedeutet, glauben die Griechen nicht, daß es zum Frieden kommt, ehe Jugoslawien bedingungslos kapituliert, weiterhin fragmentiert und das serbische Volk einer Reeducation unterzogen wird oder die Nato über dem Kosovo zerschellt. Die G8, Fischer, Papandreou und Tschernomyrdin werden daher in den "Kafeneions" und den Salons ob ihrer Friedensbemühungen ausgelacht. Amerika will keinen Frieden, sondern die Kapitulation. Daher auch die Anklage gegen Milosevic: er habe zu kapitulieren. Wenn Tschernomyrdin sich in Belgrad aufhält, wird die Bombardierung besonders intensiv. Die Ohnmacht Rußlands soll aller Welt vor Augen geführt werden.


 
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