© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Europawahl III: Die Entwicklung der ÖDP zu einer politisch korrekten Partei
Im Schatten der großen Schwester
Volker Kempf

Unter den drei Parteien Bündnis 90/Die Grünen, Tierschutzpartei und Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die allesamt zur Europawahl unter dem Anspruch antreten, grüne Politik zu betreiben, ist letztere die älteste. Ihre Wurzeln liegen bei der CDU. Denn ohne den einstigen CDU-Politiker Herbert Gruhl (1921–1993) gäbe es die Öko-Partei gar nicht. Gruhl war von 1969 bis 1978 Bundestagsabgeordneter sowie Sprecher der Bundestagsfraktion in Umweltfragen und Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Umweltvorsorge seiner Partei. Er geriet mit seinen Ketzereien gegenüber dem Glauben an ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum in Konflikt mit der Unionsfraktion. Sein im September 1975 veröffentlichtes Buch "Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik" avancierte zu einem Bestseller. Nach seinem Austritt aus der CDU im Jahre 1978 war Gruhl zwei Jahre lang fraktionsloser Bundestagsabgeordneter. Unter dem Eindruck der hohen Verkaufszahlen seines Ökobilanz – über 200.000 Exemplare binnen zweieinhalb Jahren – initiierte er 1978 die Grüne Aktion Zukunft (GAZ), die erste bundesweite Umweltpartei. Zuvor scheiterte er mit seinem Ansinnen, den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem er seit 1975 vorstand, in eine Umweltpartei umzuwandeln.

Die besten Ergebnisse erzielte die ÖDP in Bayern

Die Erfolge der GAZ blieben aber bescheiden, kam sie schließlich bei keiner Wahl über die Ein-Prozent-Marke hinaus. Ihr vorübergehendes Zusammengehen mit "Die Grünen" im Jahre 1980 scheiterte nach nur einem halben Jahr, obwohl die "Grüne Bremer Liste", die grüne Politik im Sinne der GAZ vertrat, in die Bürgerschaft einzog.

Die Linken und "K-Gruppen" gewannen bei den Grünen die Oberhand, und es erfolgte 1982 die Umbenennung der GAZ in Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Neben dem Vorsitzenden Gruhl gehörte dem Bundesvorstand auch der Bio-Bauer Baldur Springmann an. Im Jahr 1984 trat die ÖDP zur Europawahl an und erreichte 0,3 Prozent. Gruhl und andere dachten ans Aufhören, bestätigte das damalige Bundesvorstandsmitglied Edgar Guhde gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Doch es ging weiter. 1988 gelang bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg mit 1,4 Prozentpunkten sogar noch ein Achtungserfolg und erstmals das Erreichen der Wahlkampfkostenrückerstattung. Das beste Ergebnis erzielte der Landesverband Bayern 1994 mit 2,1 Prozent der Wählerstimmen. Von da an waren die Ergebnisse stets rückläufig, obwohl die Partei 1998 in Bayern mit dem erfolgreichen, von ihr initiierten Volksbegehren zur Abschaffung des Senats über die Landesgrenzen des Freistaates hinaus für Schlagzeilen sorgte. Auch bei der Landtagswahl in Hessen diesen Jahres konnte die ÖDP nicht vom schlechten Abschneiden der Bündnisgrünen profitieren; ihr Ergebnis halbierte sich erneut von 0,2 Prozent (1995) auf 0,1 Prozent (1999) – 1991 waren es noch 0,4 Prozent.

Verlor die CDU mit Herbert Gruhl und anderen Konservativen, die ihm folgten, den Anschluß an die in den 80er Jahren besonders starke Umweltbewegung, so die Grünen mit dem Ausscheren der GAZ ihren grünen Flügel. Dieser lebt dort aber bis heute als grüner Gründungsmythos fort. Doch auch die ÖDP selbst hat im Verlauf ihrer 21 Jahre währenden Geschichte eine Wandlung durchlaufen. Auch hier ist der Name Herbert Gruhl von Bedeutung. Denn der stand für Wertkonservatismus und Liebe zu Deutschland. An der Option der Wiedervereinigung des geteilten Landes hielt Gruhl, obwohl dies in den späten 80er Jahren aus der Mode gekommen war, immer vehement fest. Doch wer nationale Fragen zu einem Kernanliegen in der ÖDP mache, der solle sich in einer anderen Partei eine politische Heimat suchen, beschloß die ÖDP sinngemäß im April 1989 auf ihrem Saabrücker Parteitag, also wenige Monate vor den Umbrüchen in der DDR. Mit Thesen, daß nicht nur Hitler, sondern auch Stalin Millionen von Menschen auf dem Gewissen hätte, machte sich Gruhl nicht nur bei Otto Schily unbeliebt – wie in Gruhls Erinnerungen "Überleben ist alles" nachzulesen ist –, sondern auch bei Vertretern der Restbestände der 68er Bewegung generell. Gruhl und die ÖDP wurden Zielscheibe für Faschismus-Vorwürfe und anderes mehr. Daran zerbrach die Partei 1989 in zwei Teile. Viele der demgemäßen Aggressionen, die von außen kamen, wurden nach innen an den Flügel um Gruhl weitergegeben, der sich sodann abspaltete und heute noch als Unabhändige Ökologen Deutschlands (UÖD) fortbesteht. Ein Unvereinbarkeitsbeschluß der ÖDP verbietet eine gleichzeitige Mitgliedschaft bei den UÖD. Gruhl selbst trat keiner Partei mehr bei, unterstützte aber zuletzt Kurt Biedenkopf bei der ersten Landtagswahl in Sachsen mit einem Auftritt in seiner Heimatstadt Bautzen, bestätigte Heinz-Siegfried Strelow von den Unabhängigen Ökologen dieser Zeitung.

Die Unterschriftensammlung der CDU wird verurteilt

Mit zwei Problemen hat die 7.000 Mitglieder zählende ÖDP heute zu kämpfen. Das Theme Ökologie erlebt eine depressive Phase. Der Versuch, sich anderweitig zu profilieren, ist schwierig, da für anderweitige Schwerpunkte bereits anderweitig Parteien existieren – in Bayern etwa die zur Landtagswahl 1998 angetretenen Freien Wähler (FW). Auch stehen die Bündnisgrünen nicht mehr ganz so weit politisch links wie noch vor zehn Jahren, als beispielsweise der Austritt aus der Nato noch Programmpunkt war. Andererseits hat sich die ÖDP den Grünen angenähert, indem sie ihren konservativen Flügel bis auf wenige Restbestände zurechtgestutzt hat und auch ihren einzig markigen Unterscheidungspunkt zu ihrer Öko-Konkurrentin, nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens, in jüngster Zeit nicht mehr sonderlich vehement vertritt. Und die CDU-Unterschriftenkampane zur Ablehnung einer generellen doppelten Staatsbürgerschaft wird in Werbemitteln zur Europawahl als "rechtspopulistisch" verurteilt. Was man aber auf Parteitagen der ÖDP nicht erlebt, sind kleine lautstarke Minderheiten, die sich mit Farbbeuteln Gehör verschaffen oder aus Protest nackt herumlaufen.

Ob das reicht, um das Europawahlergebnis von 1994 (0,8 Prozent) zu verbessern? Rechtzeitig zur Europawahl hat sich die Öko-Partei auf ihrem Parteitag im April für ein Kinderwahlrecht ausgesprochen. Dabei ist aber noch offen, ab welchem Alter dieses gelten und ab wann ein Elternvertreterwahlrecht greifen soll. Auf dem Parteitag hat man auch gegen den Einsatz von mit Uran angereicherten Kampfstoffen im Krieges um das Kosovo plädiert.

Die Stärke der kleinen Öko-Partei liegt in der Verbindung von ökologischen mit wirtschaftspolitischen Fragen, was den Journalisten und Buchautor Franz Alt jüngst zu der Aussage veranlaßt hat, die ÖDP habe "das einzig zukunftsfähige politische Programm in Deutschland". Europapolitisch will man denn auch laut Programm vor allem "ökologische und soziale Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige EU-Wirtschaft" schaffen sowie dem Filz und der Käuflichkeit den Kampf ansagen. Mit gutem Beispiel voran verzichtet die ÖDP auf Firmenspenden, um ihre Unabhängigkeit im Prozeß der politischen Willensbildung zu wahren.

In dieser Reihe erschienen bereits Beiträge über die Partei "Mensch Umwelt Tierschutz" ("Hanffelder statt Nerzfolter", JF 22/99) und die Bündnisgrünen ("Ökologie? Da war doch mal was", JF 23/99).

 

Volker Kempf war Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Studierenden (ÖDS) und von 1988 bis 1998 Mitglied der ÖDP.


 
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