© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


CD: Pop
Wortkonzentration
Holger Stürenburg

Der britische Sänger, Gitarrist und Liederschreiber John Watts blickt auf eine 20jähige Karriere als zynischer Chronist von Zeit und Geist im musikalischen wie gesellschaftlichen Leben seiner Heimat zurück. Zwischen 1979 und 1981 steuerte er mit seiner Band Fischer Z nicht nur einen der kreativsten Beiträge zur damaligen New-Wave-Hochphase bei, sondern auch unvergeßliche Gitarrenrock-stücke wie "Marliese", "Room Service" oder "Pretty Paracetamol". Später kam er solo daher mit Ohrwürmern wie "I smell Roses (in the Undergound)" oder avantgardistischen Klangspielereien wie "The Iceberg Model". Er gründete 1984 das Einmalprojekt The Cry, reformierte 1987 Fischer Z (mit denen er bis 1992 vier grandiose, aber gnadenlos unterbewerte Alben veröffentlichte), nannte sich 1996 J.M. Watts, scheiterte mit Grunge-Anleihen, und kommt 1999 nur noch als Watts daher – und zwar wiederum vor einem ganz anderen musikalischen Hintergrund.

Zwar bearbeitet Watts auf seinem aktuellen Album "Big Beat Poetry"ab und zu noch zaghaft seine Gitarre, und auch seine eindringliche, gepreßte, hohe Stimme ist unverkennbar, doch das Erkennungsmerkmal von "Big Beat Poetry" hat sein aktueller Kompagnon Ingo Woerner zu verantworten. Der Stuttgarter DJ verbindet gekonnt Watts’ traditionelle Wave-Kompositionen mit aktueller Groove-Orientierung und Computerbeats, basierend auf schwarzen Hip Hop-Rhythmen. Watts legt darauf Wert, daß er seine Texte – trotz aller Dancefloor-Ausrichung der Arrangements – weiterhin im Vordergrund sehen möchte. So besteht in Liedern wie "Positive Voodoo", "Kharmasandra" oder der aktuellen, sehr eingängigen Single "Walking the Doberman" eine hohe gesungene oder gesprochene Wortkonzentration. Und das ist auch gut so, denn Watts’ Texte waren schon immer etwas besonderes. War seine frühere Fischer Z-Lyrik noch stark von seinem (später abgebrochenen) Psychologiestudium beeinflußt, so erzählt der hochintelligente Kopf heutzutage simple Geschichten aus dem Leben – dies jedoch in einer oft satirisch-zynischen Art und Weise in bester Ray Davies- oder Paul Weller-Tradition.

Sämtliche Texte von John Watts aus den Jahren 1976 bis 1996 wurden vor knapp zwei Jahren von seinem Münchner Freund Armin Pongs in dessen Buch "Von A bis Fischer Z" nicht nur vollständig abgedruckt, sondern auch – mit örtlichem, zeitlichem und gesellschaftlichem Hintergrund – gekonnt analysiert.

Natürlich könnte man auch die aktuellen Songs nicht nur im gewohnten New-Wave-Sound arrangieren, mit Gitarren und Synthesizer, sondern – wie Watts sagt – gar mit Big Band oder Orchester. Aber die Präsentation in jenem Stil erlaubt den beiden Musikern ein Höchstmaß an Flexibillität: Woerner legt die vorproduzierten Vinyl-Platten mit den Hintergrund-Rhythmen, Bässen und Keyboard-Sequenzen auf die Turntables, Watts hängt sich seine Gitarre um – und schon kann es auch live auf der Bühne losgehen.

Nur stellt sich bei John Watts das gleiche Problem wie bei vielen anderen: Die früheren Fans von Fischer Z sind längst über 30, und die eigentlich Dancefloor-begeisterten Jugendlichen kennen Watts einfach nicht. Somit dürfte auch "Big Beat Poetry" ein Geheimtip bleiben, auch wenn Watts auf seine alten Tage durchaus ein Charterfolg zu wünschen wäre und das aktuelle Album dazu alle Chancen bietet.


 
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