© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Machtkampf in Sachsen 1947: Intrigen zwischen Ministerpräsident Friedrichs und seinem Innenminister Fischer
Tödliche Konkurrenz unter Genossen
Uwe Ullrich

Am 13. Juni 1997 trafen sich Vertreter der sächsischen Landesregierung zu einer Feierstunde, um des 50. Todestages von Rudolf Friedrichs zu gedenken. Der erste sächsische Ministerpräsident war damals, im Frühsommer 1947, plötzlich und unerwartet verstorben. Seitdem kursieren Gerüchte und Vermutungen durch das Land und die Landeshauptstadt, ob Friedrichs eines natürlichen Todes starb oder Opfer eines hinterlistigen Mordanschlages wurde.

Auf diesen Umstand verwies in seiner Gedenkrede Wolfgang Leonhard. Obwohl allgemein bekannt war, daß Friedrichs an einer Herzkrankheit litt, sprechen einige Argumente für ein Komplott. Am 2. Juni 1947 wurde er von seinem sowjetischen Arzt wegen eines Herzanfalls behandelt. Damit konnte er nicht wie geplant an der einige Tage später beginnenden gesamtdeutschen Ministerpräsidentenkonferenz in München teilnehmen.

Sein Stellvertreter Fischer leitete aus diesem Grund die Delegation aus dem mitteldeutschen Raum. Er galt den Sowjets als sicherer Interessenvertreter. Ein weiterer Hinweis: Fischer strebte nach dem Posten seines Vorgesetzten. Außerdem wußte er von der Dokumentensammlung, die der Ministerpräsident über ihn angelegt haben soll. Im Mittelpunkt der Akten vermutete Fischer die Aufdeckung seiner moralischen Verfehlungen und die kriminellen Machenschaften während seiner Amtszeit im Zuge der begonnenen Bodenreform.

Die Mord-These läßt sich nicht beweisen

Um nach dieser langen Zeit endlich Licht in das Dunkel der Spekulationen zu bringen, gaben der amtierende sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und der SPD-Landesvorsitzende Karl-Heinz Kunkel eine Expertise in Auftrag. Mit der Ausfertigung des Gutachtens wurde das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden beauftragt. Nachdem Mitte vorigen Jahres die Studie der Sächsischen Staatskanzlei übergeben worden war, entschlossen sich die beteiligten Seiten, das geringfügig überarbeitete Gutachten als Buch zu drucken. Unter dem Titel "Einer von beiden muß so bald wie möglich entfernt werden" ist das Werk vor kurzem im Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig, erschienen und kann außer über den Buchhandel auch über die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung bezogen werden.

Die Autoren, Michael Richter und Mike Schmeitzner, legen darin einige Ungereimtheiten offen und benennen politische oder persönliche Motive, die auf einen kriminellen Hintergrund schließen lassen. Doch selbst nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Dokumente, Zeugenaussagen und Expertenmeinungen bleibt die Frage nach den konkreten Schuldigen offen, läßt sich die Mord-These nicht beweisen. Dennoch: "Wie in der Zeitgeschichtsforschung häufig, so dient auch diese Studie wissenschaftlicher Klärung und politischer Aufklärung zugleich", erläuterte Professor Henke, Direktor des Hannah-Arendt-Institutes.

Die Lebensläufe der Kontrahenten Friedrichs und Fischer könnten nicht gegensätzlicher sein. Sie sind beredte Beispiele für die Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte dieses Jahrhundert. Während Rudolf Friedrichs über die SPD im Jahr 1946 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei, deren Entstehen er begrüßt, wurde, war Kurz Fischer langjähriger Berufsrevolutionär der KPD.

Im März 1892 wurde Fürchtegott Rudolf Friedrichs in Plauen/Vogtland in die Familie eines Kaufmanns hineingeboren. 1905 siedelte die Familie nach Dresden um, und Friedrichs besuchte das Gymnasium der Kreuzschule. Nach dessen Abschluß begann er ein Studium an der juristischen Fakultät der Leipziger Universität, welches durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen und erst 1920 beendet wurde. Bis 1933 schlägt Friedrichs die kommunale Verwaltungslaufbahn ein, die in jenem Jahr nach seiner kurzzeitigen Inhaftierung wegen "politischer Unzuverlässigkeit" endete. Zwischen 1933 und 1938 betrieb er einen Lebensmittelladen. Anschließend arbeitete Friedrichs in seiner Rechtsanwaltspraxis. Nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht beriefen die sowjetischen Besatzungsorgane den Sozialdemokraten, Parteimitglied seit 1922, zum Oberbürgermeister Dresdens, danach zum Präsidenten des neugebildeten Landesverwaltung Sachsen. Im Dezember 1946 wurde er zum Ministerpräsidenten gewählt. Sein Stellvertreter seit Mai 1945 war stets – Kurt Fischer.

Fischer starb unter ungeklärten Umständen

Der 1900 in Halle/Saale Geborene begann nach der Volksschule ein Lehrerseminar. Wegen seiner Zugehörigkeit zum Spartakusbund/ KPD ließ man ihn nicht zum Examen zu. Anschließend wirkte er als Redakteur, politischer Organisator und Lehrer in Deutschland, der Sowjetunion, Japan und China. Anfang Mai 1945 begann Fischers Tätigkeit für die neuen Machthaber in Dresden, immer als zweiter Mann hinter Friedrichs.

Seine Träume als sächsischer Ministerpräsident erfüllten sich nicht. Aber ein Jahr nach dem Tod seines früheren Vorgesetzten berief man ihn nach Berlin. Zuerst fungierte Fischer als Präsident der Deutschen Verwaltung des Inneren, um nach der Gründung der DDR im November 1949 als Chef der Hauptverwaltung der deutschen Volkspolizei seine Karriere fortzusetzen. Kurz vor Vollendung seines 50. Lebensjahres starb Kurt Fischer unter bis heute ungeklärten Umständen im Juni 1950 an Herzversagen. Hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan, oder war Kurt Fischer wegen seiner Verfehlungen nicht mehr tragbar?

Als im Frühjahr 1947 der offene Konflikt zwischen Friedrichs und Fischer ausbrach, beschäftigten sich sowohl die Parteiorgane der SED als auch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) mit den Auseinandersetzungen. Zur Sprache kamen die von Fischer zur verantwortenden Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Bodenreform, dabei die persönliche Bereicherung des Innenministers, Entlassungen (Säuberung des Partei- und Landesapparates der SED) von Sozialdemokraten sowie der Fraktionsbildungsvorwurf und die Diskreditierung Friedrichs.

Beide Politiker sammelten nachweisbar belastende Unterlagen, um den persönlichen Gegner bloßstellen zu können. Nach den von Richter/Schmeitzner anhand von Gesprächsprotokollen und unveröffentlichten Manuskripten recherchierten Fakten warf Fischer seinem Vorgesetzten Fraktionsbildung vor – damals ein schwerwiegendes, politisch zu ahndendes Delikt. Friedrichs soll seinem Stellvertreter kriminelle und moralische Verfehlungen mit der Aktensammlung nachgewiesen haben. Die Dokumente sind heute bis auf einen geringen Teil verschwunden.

Stolz verkündete der sächsische SED-Landesvorstand im Herbst 1947, daß die Partei wachse und gedeihe. Die Genossen bestätigten sich die Richtigkeit der agitatorischen und organistorischen Arbeit, zählten in einem reichlichen Jahr 164.864 Neueintritte; das entsprach einem Zuwachs um 40 Prozent. "Was die Mitgliederneuzugänge bis August 1947 betraf, so war wohl ein beträchtlicher Teil zur SED als neuer Staatspartei geströmt, und zwar mit allen möglichen Vorteilsbestrebungen, die man sich vom Beitritt zu dieser neu etablierten Macht versprach", schreiben Richter/ Schmeitzer in ihrem Buch. Der Preis für diese Parteimitgliedschaft war hoch, vor allem für diejenigen, denen eine demokratische Neuordnung am Herzen lag. Konsequent verdrängten die früheren Funktionäre der kommunistischen Kaderpartei das sozialdemokratische Element aus der Parteipolitik, nahmen systematische Säuberungen im Parteikader vor und bespitzelten die eigenen Genossen.

Der Gedanke kam auf, die SPD in der Sowjetischen Besatzungszone neu zu gründen. Frühere SPD-Mitglieder bildeten illegale Organisationen, wie zum Beispiel in Freital, knüpften Kontakte, scheiterten aber später.

Im September 1945 beschloß die Landesverwaltung Sachsen mit Billigung des "antifaschistisch-demokratischen" Blocks, eine Bodenreform durchzuführen. Dieser Maßnahme fiel die Aufgabe zu, "die Liquidierung des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzers" als "Bastion der Reaktion und des Faschismus" zu verwirklichen sowie den "jahrhundertealten Traum der landlosen und landarmen Bauern und Landarbeiter von der Übergabe des Großgrundbeseitzers in ihre Hände" zu vewirklichen.

In die entschädigungslose Enteignung schloß man allen "feudal-junkerlichen Boden und den Großgrundbeseitzer über 100 Hektar, mit allen Bauten, lebenden und totem Inventar, allen Nebenbetrieben und sämtlichem landwirtshaftlichem Vermögen" ein. Den Vorsitz der eigens gebildeten Landesbodenkommission übernahm Kurt Fischer. Eingesetzte Verwalter für die zu enteignenden Objekte sollten Inventar und Gebäude sichern und registrieren.

Kriegstrophäen wurden in die Sowjetunion gebracht

Allerdings konnten diese staatlichen Vewalter gegen Plünderungen durch Angehörige sowjetischer Dienststellen, Aneignungen durch eigene Dienststellen oder Diebstahl nur wenig ausrichten. Die verursachten "Bodenreformverluste" belaufen sich auf unschätzbare materielle und immaterielle Werte. Die "Kriegstrophäen" wie Geld, wertvolle Kunstwerke, Möbelgarnituren, Autos, Porzellanservice, Gemälde, Sammlerwaffen und vieles andere wurden in die Sowjetunion gebracht oder wechselten auf kriminelle Art und Weise im Land den Besitzer.

Selbst die Arbeit des von Friedrichs eingesetzten Intendanten der Staatlichen Museen, Hans Geller, behinderten die Fischer unterstellten Dienststellen massiv. Nach dem Tod von Ministerpräsident Rudolf Friedrichs entband man Geller seiner Aufgabe und setzte Wilhelm Grothaus ein. Unter dessen Verantwortung riß man kunsthistorisch wertvolle Herrenhäuser und Schlösser ab. Im Jahr 1950 fiel auch Grothaus in Ungnade und wurde zur Bewährung in die Produktion geschickt. Am 17. Juni 1953 war er einer der Führer des Volksaufstandes in der sächsischen Landeshauptstadt.

Ministerpräsident Friedrichs galt bei der SMAD und den Blockparteipolitikern der LDP und CDU als eine um Ausgleich und konstruktive Zusammenarbeit bemühte Persönlichkeit. Der sächsische Landwirtschaftsminiter Reinhard Uhle (LDP) charakterisierte ihn in seinem Nachruf für das Sächsische Tageblatt: "Seit mehr als anderthalb Jahren habe ich fast jedes Wochenende mit ihm zusammen im kleinsten Kreise außerhalb Dresdens verbracht, und es war bezeichnend für ihn, daß zu diesem kleinen Kreise von Regierungsmitgliedern Angehörige aller drei antifaschistischen Parteien gehörten."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen