© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Europawahl: Union strotzt vor Selbstbewußtsein / Flügelschlagen bei SPD und Grünen
Denkzettel für mißratene Politik
Richard Stoltz

Nach dem erdrutschartigen Erfolg bei der Europawahl strotzt die Union vor Selbstbewußtsein. CDU-Chef Wolfgang Schäuble sprach am Sonntag vor begeisterten Parteifreunden von einem "großartigen Wahlsieg" und einer "desaströsen Niederlage" für die rot-grüne Regierungskoalition. Die Wähler hätten Rot-Grün für das niedrige Wirtschaftswachstum und die anhaltende Arbeitslosigkeit einen Denkzettel verpaßt, erklärten die Vorsitzenden von CDU und CSU, Schäuble und Stoiber, am Montag in Bonn. Der CDU-Vorsitzende beanspruchte für die Union einen der beiden Posten in der EU-Kommission. Bei der Europawahl konnten die Unionsparteien zusammen ihr Ergebnis um fast zehn Prozent auf 48,7 Prozent hochschrauben. Die Sozialdemokraten fielen auf ein historisches Rekordtief von 30,7 Prozent. Bündnis 90/Die Grünen schafften trotz Einbußen mit 6,4 Prozent den Wiedereinzug ins Europaparlament, die PDS kam auf 5,8 Prozent und eroberte sechs Sitze in Straßburg. FDP und Republikaner scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde (siehe Tabelle).

Während die Union ihren Wahlerfolg genüßlich auskostete, herrschte bei den Sozialdemokraten zunächst Katerstimmung. "Die Wähler haben uns eine Ermahnung gegeben, wir haben verstanden", sagte der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder. Er kündigte noch am Wahlabend Konsequenzen aus den Verlusten seiner Partei an und erklärte, jetzt "müssen wir in der Innen- und Wirtschaftspolitik so gut werden, wie wir in der Außenpolitik waren und sind". Dabei bezog er sich unausgesprochen auf das vom ihm und dem britischen Premierminister Tony Blair in der vergangenen Woche in London vorgestellte Positionspapier zur Modernisierung sozialdemokratischer Politik.

Das 18 Seiten umfassende Papier unter dem Titel "Der Weg nach vorn für Europas Sozialdemokraten" stieß bei SPD-Linken allerdings auf heftige Kritik. So kündigte der Sprecher des linken "Frankfurter Kreises", Detlev von Larcher, am Dienstag bereits Widerstand gegen die von Schröder gewollte Kurskorrektur an.

Bei den Grünen warnte Umweltminister Jürgen Trittin seine Partei nach den Wählereinbußen bei den Landtagswahlen in Hessen und Bremen sowie jetzt erneut bei der Europawahl vor einem Rechtsruck. Der Versuch, grüne Stammwähler "links liegen zu lassen und nach rechts auszuscheren", sei zum Scheitern verurteilt.

Der Vorsitzende der Republikaner, Rolf Schlierer, führte das schlechte Abschneiden seiner Partei vor allem auf die Resignation der eurokritischen Wähler zurück. "Die Euroskeptiker sind zu Hause geblieben. Wir haben es nicht geschafft, unsere Wähler zu mobilisieren", räumte Schlierer ein. Den Wahlerfolg der Union bezeichnete der Republikaner-Chef als "Triumph der Volksverdummung". Es sei eine grausame Ironie, daß ausgerechnet die Unionsparteien als Hauptverantwortliche für die Zahlmeisterrolle Deutschlands in der EU bei dieser Wahl von innenpolitischen Fehlern der Regierung profitieren konnten, erklärte Schlierer.


 
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