© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Michaele Schreyer
Motiviert mit Löwenmähne
von Annegret Reelitz

Der Schatten der Europawahl vom Sonntag hängt noch düster und unerbittlich über Zimmer 486 im Abgeordnetenhaus in Berlin. Hier oben auf dem Dach hatte einmal der größte Imker Berlins seine Bienenkörbe stehen – doch ist dies lange her, und es gibt auch keinen Zusammenhang. Die Grünen sind zwar immer noch ökologisch, so wird versichert, doch sind sie eben eine politische Partei. Auch die Löwin Michaele Schreyer, geboren am 9. August 1951, hat hier noch ihre Höhle, doch will sie bald nach Brüssel. Kaum nominiert wird sie nach der Wahlschlappe der Partei wieder in Frage gestellt.

"In Berlin sind wir Opposition – das ist ein hartes Brot," so Michaele Schreyer. Warum man Michaele Schreyer den Vorzug vor zum Beispiel Jürgen Trittin geben will, wird bei den Grünen nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Jürgen sei zu launisch, zu arrogant und außerdem depressiv. Doch was Frau Schreyer auszuzeichnen scheint, ist vor allem der Satz :"Der Parteivorstand hat es so beschlossen."

Mit 6,4 Prozent der Wählerstimmen verschlechtern sich die Aussichten für die Partei, ihre Kommissionskandidatin bei Gerhard Schröder durchzusetzen. Die CDU hat mit 48,7 Prozent aller Wählerstimmen in Deutschland zu Recht Anspruch auf einen Posten in der Kommission erhoben. Und das Ergebnis der Grünen kennzeichnet die Lage der Partei. Seit dem Bielefelder Parteitag existieren Lager von "Siegern" und "Verlierern". Einige Bezirke in Berlin wollten zur Europawahl gar keinen Wahlkampf machen. Alles nichts, was die Position von Frau Schreyer verbessern könnte.

Im Gespräch überrascht die gebürtige Kölnerin dann jedoch mit Optimismus und ist erstaunlich undramatisch. "Das Selbstbewußtsein plustert sich nicht in einem Vorher und Nachher auf, sondern ist zur Stelle". Dieser Satz von André Glucksmann könnte für die promovierte Volkswirtin erfunden worden sein. Durch die Frauenbewegung ist sie zur Politik gekommen, während ihrer Zeit als Assistentin an der FU. Von ihren 48 Jahren lebte sie ein Viertel der Zeit mit einem grünen Parteibuch.

Hochmotiviert, mit Löwenmähne und entsprechendem Mut wurde sie mit der ersten grünen Bundestagsfraktion aktiv. Sie leistete Pionierarbeit, als es darum ging, Bestehendes bei Steuern und Finanzen grün zu definieren. Von 1989 bis 1990 wirkte sie als Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz und wurde erste grüne Umweltministerin des ab Mai 1990 existierenden Senats für Gesamt-Berlin. Seit 1991 baggert sie im Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses und versucht, unsoziale und zukunftsfeindliche Entscheidungen zu verhindern oder wenigstens abzufedern, Verschwendungen und Filz einzudämmen. Eine notwendige Haltung für Brüssel.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen