© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Frankreich: Die Europawahlen haben die Parteienlandschaft umgepflügt
Die Expansion der Linken
Charles Brant

In Frankreich ist die gesamte politische Landschaft verwüstet. Die Linke, die weiterhin die Mehrheit stellt, muß zusehen, wie die Grünen an den Kommunisten vorbeiziehen und die extreme Linke wieder die Führung übernimmt. Auf der Rechten passierte ein regelrechtes Erdbeben. Das Zweiergespann Pasqua-Villiers übernimmt die Führung und setzt das Paar Sarkozy-Madelin außer Gefecht. Doch nach dem guten Abschneiden seiner Liste bei der Europawahl hat der EU-Gegner und frühere französische Innenminister Charles Pasqua sein Ausscheiden aus der Partei der oppositionellen Gaullisten (RPR) bekanntgegeben. Pasqua kündigte im französischen Fernsehen die Gründung einer neuen Bewegung RPF (Rassemblement pour la France) an, von der er hoffe, daß sie "eine große politische Kraft" werden würde.Was Le Pen und Mégret betrifft, so haben ihre Streitereien sie ins Abseits gedrängt.

Im Gegensatz zu den anderen europäischen Völkern haben die Franzosen mehrheitlich links gewählt. Sicher ist der Wahlsieg François Hollands, der die Liste PS-MRG-MDC anführt (Sozialisten, Linksradikale und Anhänger von Außenminister Chevènement), mit 21,96 Prozent nicht gerade spektakulär zu nennen. Laurent Fabius erzielte 1989 ein besseres Ergebnis (23,61Prozent). Wenn das Resultat dennoch ein Erfolg ist, dann wegen des miserablen Abschneidens der Rechten. Das überraschendste Ergebnis auf der Linken ist der Wahlerfolg der Liste, die Daniel Cohn-Bendit und Dominique Voynet gemeinsam anführten. Mit um die zehn Prozent sind die Grünen zur zweitstärksten Partei auf der "mehrheitsfähigen" Linken avanciert. Daniel Cohn-Bendit verlangte auf der Stelle ein Treffen mit Lionel Jospin. Er gab zu verstehen, daß eine entsprechende personelle Angleichung der Regierung erforderlich geworden sei und er vor allem die Frage der "papierlosen" illegalen Immigranten erneut auf die Tagesordnung zu setzen wünsche. Um so auffälliger ist die Niederlage der Kommunisten. Trotz ihrer Bemühungen um "Öffnung" und "Erneuerung" kam die ehemals stalinistische Partei nur auf 6,80 Prozent. Die Stimmen, die für die Trotzkisten Arlette Laguiller und Alain Krivine abgegeben wurden (5,23 Prozent), sind Anzeichen für einen Linksruck der französischen Linken.

Auf der Rechten bestand die Überraschung in dem Erfolg der von Charles Pasqua und Philippe de Villiers angeführte Liste. Mit 13,09 Prozent der Stimmen liegt diese zwar weit hinter der sozialistischen Liste, aber zugleich vor der Liste RPR-Liberaldemokraten (12,71 Prozent), die Nicolas Sarkozy und Alain Madelin anführten, und derjenigen der UDF unter der Führung François Bayrous. Diese Rangfolge hat für ein wahres Erdbeben gesorgt. Am Sonntagabend mußte Nicolas Sarkozy seinen Mißerfolg eingestehen. Sein Rücktritt als Interimchef des RPR hat eine Krise im Herzen der Präsidentschaftspartei ausgelöst.

Drei weitere Ergebnisse sind erwähnenswert: Zunächst einmal das der Liste Jagd, Natur, Fischerei und Traditionen (CNPT) von Jean Saint-Josse, die auf 6,77 Prozent kam und damit zum ersten Mal ins Europaparlament einziehen wird. Des weiteren diejenigen, die Jean-Marie Le Pen einerseits und sein ehemaliger Leutnant Bruno Mégret andererseits erzielten. Ersterer erhielt lediglich 5,71 Prozent der Stimmen, behielt aber fünf Sitze. Mégret scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. Mit nur 3,29 Prozent fand er sich aus dem Europaparlament und von der politischen Bühne verbannt.

Von der Wählerschaft im Stich gelassen, setzen die Parteien der französischen Rechten ihren Abstieg in den politischen Orkus fort. Der RPR ist zersplittert. Nicolas Sarkozy ist trotz oder gerade wegen der offiziellen Unterstützung durch Jacques Chirac gescheitert. Daß dieses Scheitern als Abstrafung für den langen Irrweg des RPR zu sehen ist, darüber macht sich niemand Illusionen. Dieser Niedergang ist dem französischen Präsidenten zu verdanken, der allzu viel Gefallen findet an jener Bettgenossenschaft, die Philippe Séguin als "zuckersüß" bezeichnete, und sich einer wirklichen ideologischen Blindheit gegenüber der Linken strafbar gemacht hat. Handelt es sich um eine gesellschaftliche Umschichtung? Als solche interpretieren einige Kommentatoren den Sieg Charles Pasquas und Philippe de Villiers‘, die von Marie-France Garaud unterstützt werden, der ehemaligen Beraterin Georges Pompidous. Charles Pasqua kündigte sogleich die Gründung einer eigenen Partei an, des "Rassemblement pour la France" (Vereinigung für Frankreich), dessen drei Anfangsbuchstaben bewußt an Charles de Gaulles RPF erinnern sollen. Möglich ist auch, daß das erreichte Wahlergebnis keineswegs die Entstehung einer "souveränistischen Strömung" bedeutet, sondern lediglich den Sammelpunkt aller europafeindlichen Wähler bildet. Angesichts einer Linken, die ihre Dynamik virtuos beherrscht, siecht die Rechte dahin. Sie bleibt der Logik des Scheins und der unbeständigen Strategien verhaftet und hat es schon lange aufgegeben, sich ein Profil zu geben und damit in die Offensive zu gehen. Im Moment hat sie ihr Lager in den Ruinen aufgeschlagen und ist sich nicht einmal bewußt, daß ihr rein mathematisch – rechnet man die Stimmen der radikalen Rechten mit – praktisch derselbe Platz zusteht wie der "mehrheitsfähigen" Linken.

Was die Marginalisierung Jean-Marie Le Pens und Bruno Mégrets angeht, so ist diese ofensichtlich die Konsequenz ihrer Streitigkeiten. Sicherlich hat ersterer einiges aus den Flammen retten können. Das Gericht hat ihm den legitimen Anspruch auf den Front National zuerkannt, inklusive des Namens, des Parteisiegels, des Parteivermögens und der öffentlichen Gelder in Höhe von 41 Millionen Francs. Aber was bleibt ihm anderes übrig, als seine alten Reden zu schwingen? Die Strategie, die sich mit dem Erscheinen Charles de Gaulles, des Enkels des Generals, andeutete, erfolgte 15 Jahre zu spät. Charles Pasqua hatte sich schon längst als Kandidat der "Souveränisten" etabliert. Und Bruno Mégret? Der ehemalige Generaldelegierte wurde schwer dafür bestraft, daß es ihm nicht gelungen war, sein Anliegen in eine klare und offensive Identität umzusetzen. Gestern brüstete er sich noch damit, die Mehrzahl der Parteikader um sich geschart zu haben. Heute muß er zugeben, daß der schöne Schein die Wähler nicht beeindrucken konnte. Mégret errang keinen einzigen Sitz und muß sich statt dessen jetzt um die Gelder kümmern, die er in den Wahlkampf gesteckt hat.

Dazu kommt, daß ihm vermutlich lange Jahre in der politischen Isolation bevorstehen. Und davon einmal abgesehen, sieht er sich der Verbitterung der Sympathisanten und Parteigänger der radikalen Rechten ausgesetzt. Fünfzehnjährige Hoffnungen haben sich seinetwegen in Luft aufgelöst. Denn der FrontNational hätte ohne jeden Zweifel die Spitzenposition unter den rechten Listen einnehmen können, die jetzt das Tandem Pasqua-Villiers innehat, wenn es nicht zu dieser fatalen Abspaltung gekommen wäre.


 
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