© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Kosovo: Aus Kriegsbefürwortern werden Friedensengel
Nobelpreisverdächtig
Thorsten Thaler

Im Oktober wird der Weltöffentlichkeit der Name des diesjährigen Gewinners des Friedensnobelpreises bekanntgegeben. Bei dem Preisträger soll es sich um eine Persönlichkeit handeln, die in dem laufenden Jahr "am meisten oder besten für die Verbrüderung der Völker gewirkt hat und für die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen", wie es der schwedische Industrielle und Preisstifter Alfred Nobel in seinem Testament von 1895 anordnete.

In diesen Tagen nun ist die Zahl der Anwärter auf den nächsten Friedensnobelpreis sprunghaft gestiegen. Frei nach dem abgewandelten Motto "Der Frieden kennt viele Väter" stehen die potentiellen Preisträger seit der vermeintlichen Friedensstiftung im Kosovo-Krieg Schlange – angefangen von Finnlands Staatspräsidenten Ahtisaari in seiner Rolle als EU-Unterhändler über den russischen Jugoslawien-Beauftragten Viktor Tschernomyrdin und den stellvertretenden US-Außenminister Strobe Talbott bis hin selbst zum deutschen Außenminister Joschka Fischer, der während des Krieges als EU-Ratspräsident amtierte.

Was bislang noch als bloße Spekulation in der Medienberichterstattung durchscheint, könnte sich in absehbarer Zeit durchaus bewahrheiten. Ebenso augenfällig wie unerträglich ist, wie nach rund elfwöchigen Luftangriffen der Nato auf Jugoslawien die Medien von einem auf den anderen Tag voll sind von Friedenstauben, Friedensengeln und sonstigen Friedensbringern. Überall wimmelt es auf einmal von Friedensmachern und Friedensstiftern, eifrige Journalisten wollen sogar schon "Manager des Friedens" (Die Welt) aufgespürt haben. Gemeint sind jene Spitzenbeamte im Bonner Außen- und Verteidigungsministerium sowie im Kanzleramt, die "hinter den Kulissen" in der "politischen Schaltzentrale des Friedensprozesses" die diplomatischen Strippen gezogen haben.

Es sind nur einige wenige Außenseiter im veröffentlichten Diskurs, ewige Nörgler und Quertreiber nach vorherrschender Lesart, die sich dem kollektiven Friedenstaumel verweigern und der medial verstärkten Selbstbeweihräucherung der classe politique der "westlichen Wertegemeinschaft" widersprechen. So hat der unvermeidliche Peter Handke in einer grausam gestammelten, als Reisebericht verkleideten Medienschelte in der Süddeutschen Zeitung bereits am 5./6. Juni bemerkt: "Ihr Medien entwirklicht oder, besser, verformt jedes Mitgefühl, indem ihr zuerst mitbombt und dann die Stories der Gebombten verkauft, so wie eure Staaten, deren Spießgesellen ihr seid, zuerst Zerstörer waren und dann die Friedensrichter spielen." Und von PDS-Fraktionschef Gregor Gysi stammt die im Bundestag vorvergangenen Dienstag ungehört verhallte Mahnung: "Wer aktiv am Krieg beteiligt gewesen ist, sollte danach nicht als Friedensengel zurückkehren."

Inzwischen aber ist das Kläffen der Kritiker verstummt, die Karawane mit ihren Friedenssoldaten, Friedenspanzern und Friedenshubschraubern im Kosovo einmarschiert und Außenminister Joschka Fischer auf dem besten Weg zum nobelpreisverdächtigen Friedensapostel. In dieses Bild paßt auch, daß ein Antrag auf Parteiausschluß von Fischer und anderen Grünen-Spitzenpolitikern, die "öffentlich den Krieg befürwortet haben", in Parteikreisen als "seltsames Ansinnen" abgebügelt wird. Ein entsprechender Antrag von 40 Gegnern des Nato-Einsatzes bei den Grünen liegt dem Schiedsgericht der Partei zwar seit Ende vergangener Woche vor, hat jedoch nicht die geringste Aussicht auf Erfolg.

So wächst der "Feuerball der Narreteien" (Botho Strauß) weiter und erinnert zunehmend an die Diktion der Ozeanischen Neusprache bei Orwell, in der Krieg zum Frieden umgedeutet wird und Kriegsangelegenheiten von einem Friedensministerium wahrgenommen werden.

Die rabulistische Friedenslitanei kriegsbefürwortender Politiker und ihrer nacheilend folgsamen Lautsprecher in einem Großteil der Medien entspringt dabei exakt jener Logik, in der militärische Einsätze wahlweise als friedenserhaltende, friedensschaffende oder friedenserzwingende Maßnahmen firmieren; einer Logik, in der die ehedem pazifistischen Grünen zu Apologeten eines Einsatzes deutscher Soldaten in aller Welt werden; und nicht zuletzt auch einer Logik, in der in Schutt und Asche gebombte zivile Einrichtungen und unschuldige Todesopfer zu "Kollateralschäden" herabgestuft werden. Warum sollten da die Kriegsbefürworter von gestern nicht schon morgen Anwärter auf den Friedensnobelpreis sein?

Die Nichteinverstandenen, die Einzelgänger und Abgesonderten aber sehen sich weiterhin von den "Gewalten des Blödsinns" (Botho Srauß) umgeben und bedrängt.


 
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