© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Bodo Morshäuser: Liebeserklärung an eine häßliche Stadt. Berliner Gefühle
Mehr Dissonanzen als Harmonie
Holger von Dobeneck

Bodo Morshäuser kennt diese Stadt, ihre Szenen und Befindlichkeiten, und er beschreibt die Gefühle, die in Berlin herrschen. Seit den achtziger Jahren steigt die Kurve seines Bekanntheitsgrades unaufhörlich. In den Essays seiner "Liebeserklärung" beschreibt er den Zustand dieser Stadt, schlendert durch die Straßen, geht in die Kneipen und Cafés und kennt den Jargon. Ganz genau schaut er hin, und es schert ihn einen Teufel, ob seine Aperçus politisch korrekt sind, ob er in die rechte oder linke Schublade gehört. Zwei Essays widmet er der Gruppe Rammstein. Er mag ihre knappen, unsentimentalen Texte, und wenn sie ihn deshalb als Rechten schelten, ist es ihm auch recht. Im Innern denkt er, die Etikettenkleber spinnen.

Besonders hat ihm das Ambiente von Charlottenburg angetan. Er beobachtet den baulichen und soziologischen Wandel. Als er sich hier niederließ, war zwischen guter Bürgerlichkeit vor allem "alternative" Jugendlichkeit. Nun senkt sich ein Grauschleier über die Häupter, der Stadtteil vergreist zusehends. Doch es sind Greise, die in ihrer Jugend summten, "We never get old". Heute sind sie in der Mehrzahl verarmte Exzentriker.

Morshäuser beobachtet den Stilwandel, vor allem nach dem Fall der Mauer. Im Osten sieht er eine proletarische Kultur nachleben, wie sie im Westen längst ausgestorben ist. Als Stadtsoziologe beobachtet er das Verhalten "der Stämme", die hier nebeneinanderleben, ohne sich etwas zu sagen zu haben: Die ledigen deutschen Mütter zerren ihre Kinder vom Sandkasten, wenn das Kopftuchgeschwader der türkischen Mütter zu später Stunde erscheint. In den Hinterhöfen findet ein musikalischer Kleinkrieg statt. Jeder fühlt sich von der Balzmusik des anderen genervt. Von wegen Multi-kulti-high-fidelity.

Morshäuser beobachtet genau und nicht mit geschönter Brille. Er sieht mehr Zwietracht als Eintracht, mehr Dissonanzen als Harmonie in den Stammespartituren. Eine gewisse Ähnlichkeit entdeckt er auch in dem Verhalten der Revierkatze und der Spottvögel, die sich um den gleichen Raum streiten. Doch es ist ein Blick mit einem gewissen liebevollen Einverständnis: C’est la vie. Ganz hervorragend passen dazu die Spraykoloraturen von Miss Tie. Sie illustrieren auf den mausgrauen Wänden die Macht der Phantasie. Berlin ist eine häßliche Stadt, man muß sie sich schönreden oder -trinken, konstatiert er. Doch um nichts in der Welt möchte er beispielsweise mit dem ästhetischen Kitsch von Venedig tauschen, auf dessen Kanälen der Müll rottet. Es ist trotz alledem eine heimliche Liebeserklärung an Berlin, und er ist fest überzeugt, daß die Stadt voller Menschen ist, die nur nicht zugeben wollen, daß sie sich mögen. In Berlin wird es nie aussehen wie in den europäischen Puppenstuben, ist sein Resümee. Also fordert er alle auf, nach Berlin zu kommen, hier spielt die schräge Hymne. Wer Freude daran hat, keine faden, politisch korrekt gestylten Texte zu lesen, ist bei Morshäuser gut aufgehoben.

 

Bodo Morshäuser: Liebeserklärung an eine häßliche Stadt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1998, 155 Seiten, 12,80 Mark


 
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