© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Lebensschutz: Der Brief des Papstes sorgt für Unruhe
Auf der Seite des Lebens
Lothar Groppe S.J.

Die Pressemitteilung, der Papst habe den deutschen Bischöfen auf ihre Schwangerschaftskonfliktberatung einen Brief geschrieben, führte erwartungsgemäß zu Spekulationen und vorschnellen Schlüssen. Da erst am 23. Juni das Ergebnis der Beratungen der Bischöfe bekanntgegeben werden soll, erscheint es gewagt, Prognosen zu stellen. Etliche Medienleute und Politiker ließen sich jedoch trotzdem zu nicht gerade sachgerechten Urteilen hinreißen. Bei der bekannten "Vorliebe" des Spiegels für die katholische Kirche und den Papst verwundert es nicht, daß er schlagzeilenhaft behauptet: "Beratung von Schwangeren verboten". Hier ist offenkundig nicht Unkenntnis im Spiel, sondern das Bestreben, die ungeliebte Kirche in Mißkredit zu bringen.

Wie jeder weiß, der den Brief des Papstes vom vergangenen Jahr kennt, forderte dieser die Bischöfe vielmehr auf, die Beratung von Frauen zu intensivieren, aber Wege zu finden, daß ein Beratungsschein, der "faktisch eine Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibung" ist, "in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen nicht mehr ausgestellt wird". Es handelt sich darum, eine mit dem christlichen Sittengesetz vereinbare Lösung zu finden, die zwar den Frauen hilft, aber nicht den anstößigen Schein ausstellt, den Erzbischof Johannes Dyba "Tötungslizenz" nennt. Wie in der JUNGEN FREIHEIT schon früher berichtet, wird in der Fuldaer Diözese die Beratung verstärkt fortgesetzt. Obwohl kein Beratungsschein ausgestellt wird, ließen sich mehr Frauen beraten als in den beiden größeren hessischen Diözesen zusammengenommen. Für die Mentalität nicht weniger Journalisten ist bezeichnend, daß insinuiert wird, die Bischöfe müßten aus der Schwangerschaftsberatung aussteigen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist.

Wie geht es weiter? Niemand bezweifelt bei diesem Papst, daß er sich nicht mit dem "immer noch andauernden Holocaust unschuldigen Lebens" abfinden wird, wie er in einem Brief vom vergangenen Jahr an die amerikanischen Bischöfe schrieb. Es ist nicht zu übersehen, daß die in unserem Land vorherrschende Abtreibungsmentalität bereits einen tiefen Dammbruch im sittlichen Empfinden bewirkt hat. Der jahrzehntelange "Massenmord im Mutterleib", wie Kardinal Höffner sagte, hat verheerende Auswirkungen im moralischen Bewußtsein. Die wachsende Aggression gegen Alte und Behinderte, Ausländer und Asylanten dürfte die uneingestandene Folge dieses Dammbruchs sein.

Es scheint denjenigen Vertretern der katholischen Kirche, die lauthals den Verbleib in der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung mit "Tötungslizenz" fordern, aus dem Gedächtnis entschwunden zu sein, daß das II. Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution sagt: "Das Leben ist daher von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen". Und die Deklaration des Weltärzteverbundes von 1948 formuliert: "Ich werde die höchste Achtung vor dem menschlichen Leben bewahren, vom Beginn der Empfängnis an; auch unter Drohungen werde ich meine medizinischen Kenntnisse nicht im Gegensatz zu den Gesetzen der Menschlichkeit anwenden".

Die kirchenpolitische Sprecherin der Grünen, Christa Nickels, rief die Bischöfe auf, den Interessen der Gläubigen mehr zu gehorchen als Rom: "Die dogmatische Lehre darf nicht heiliger sein als das Leben". Nur übersieht sie, daß das Bundesverfassungsgericht 1975 festgestellt hat, daß "das sich im Mutterleib entwickelnde Leben (…) als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung steht". Natürlich ist nicht auszuschließen, daß Katholiken eigene Beratungsstellen einrichten. Die Möglichkeit hierzu haben sie. Sie verlieren aber das Recht, diese "katholisch" zu nennen.

Und was ist mit den Bischöfen? Berlins Kardinal Georg Sterzinsky ließ durch seinen Sprecher erklären, wenn der Papst den Ausstieg aus der Scheinvergabe fordern sollte, werde er diese nicht fortsetzen. Der als "dickköpfiger Westfale" bekannte Limburger Bischof Franz Kamphaus ließ wissen, falls die anderen Bischöfe der Bitte des Papstes folgten, werde er sich "weder zum Märtyrer, noch zur Galionsfigur gegen Rom" machen. Der auch bei Nichtkatholiken geschätzte Erzbischof Dyba sieht im anstehenden Streit keine Zerreißprobe: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß es deutsche Bischöfe gibt, die die Einbindung in das deutsche Abtreibungssystem der Einbindung in die Weltkirche vorziehen."

In einem Kommentar hieß es, dem Papst sei klar, daß er schon bald vor seinem himmlischen Herrn Rechenschaft ablegen müsse. Wenngleich dieser Zeitpunkt natürlich unbestimmt ist, hat die Autorin recht. Sie übersieht aber, daß jedermann, auch der Befürworter der Abtreibung, vor Gott Rechenschaft ablegen muß. Daran sollten wir denken und unser Tun und Lassen danach ausrichten. Dann wird es uns gelingen, eine sachgerechte und zugleich sittlich verantwortbare Entscheidung zu treffen.

Die katholische Kirche dürfte mit der Entscheidung, künftig keine Scheine mehr auszustellen, ein Stück der verlorengegangenen Glaubwürdigkeit wiedergewinnen.


 
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