© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Stefan Karner / Gerald Schöpfer (Hrsg.): Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941 bis 1945
Um objektive Bewältigung bemüht
Götz Eberbach

Das Buch ist ein Sammelband, der alle Beiträge eines Symposions an der Universität Graz umfaßt, das 1997/98 im Zusammenhang mit der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–45" veranstaltet wurde. Die verschiedenen Aufsätze sind recht unterschiedlich zu bewerten. Vorbehaltlos bejahen kann man interessanterweise nur die Aufsätze der ausländischen Autoren, die oft erheblich mehr Verständnis und Wertschätzung für die Deutschen zeigen als deutsche Historiker.

Der russische Autor Nikita Petrov schreibt über die Verurteilungen deutscher und österreichischer Kriegsverbrecher in der Sowjetunion. Er beweist eindeutig, daß die verhängten Urteile mit "Gerechtigkeit" nicht das geringste zu tun hatten, sondern ein Teil der staatlichen Propaganda waren. Die Untersuchungsmethoden des NKWD werden verhalten, aber deutlich geschildert. Über die Schauprozesse (Petrov selbst bezeichnet sie so) nach dem Krieg schreibt er, daß zum Beispiel die Prozesse von Minsk und Kiew die Bevölkerung von ihrer elenden Situation ablenken sollten, indem die dann öffentlich gehängten deutschen Soldaten und Offiziere als die Schuldigen an der wirtschaftlichen Misere dargestellt wurden. Zusammenfassend meint er, daß es natürlich unter den Verurteilten wirkliche Verbrecher gab, daß das sowjetische System aber unfähig war, diese Personen rechtlich einwandfrei zu verurteilen. Dazu sei das System, das auf der massiven Verletzung der Menschenrechte basierte, nicht imstande gewesen; da es selbst verbrecherisch gewesen sei, sei es auch moralisch dazu nicht berechtigt gewesen.

Vladimir I. Karpec schreibt über die Rehabilitierungen von verurteilten Deutschen und Österreichern seit 1991, die erst durch das Ende des Sowjetsystems möglich wurde. Seit den ersten Tagen des Sowjetstaates habe dieser mit Zwang und Willkür gearbeitet, keinesfalls erst unter Stalin, wie deutsche Apologeten gerne behaupten. Er gibt einen kurzen Überblick über die staatlichen Repressalien im Zweiten Weltkrieg, zum Beispiel die Morde an der polnischen Führungsschicht (Katyn!) und die Deportationen ganzer Völker. Heute können in- und ausländische Häftlinge sich rehabilitieren lassen. Er schildert dann die Fälle einiger österreichischer Verurteilter, darunter auch zweier Kinder, die von 1945 bis 1953 als "verurteilte Spione" in Lagern in Rußland leiden mußten.

Der bekannte US-Völkerrechtler Alfred M. de Zayas schreibt über die völkerrechtlichen Grundlagen des Kampfes gegen die Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Er legt dar, daß auch die Nürnberger Prozesse nicht in Frage stellten, daß Partisanen nicht den Schutz der Haager Landkriegsordnung und vor allem der Genfer Konvention in Anspruch nehmen konnten, die ja auch von der UdSSR nicht anerkannt wurde. Auch er bestreitet nicht, daß von Deutschen bei der Bekämpfung der Partisanen Kriegsverbrechen begangen wurden – wie auch von Russen, Polen, Amerikanern, Engländern und anderen, daß aber Verallgemeinerungen, wie sie die berüchtigte "Heer"-Schau pflegt, nicht begründet seien. De Zayas gibt zu verstehen, daß diese Verallgemeinerungen eine Verletzung der Menschenwürde (des höchsten Gutes unserer Verfassung!) der deutschen Soldaten darstellen.

Erschütternd sind die Berichte über das Massaker an Juden in Baby Jar, die Peter Uray zusammengstellt hat (leider ist er der einzige Autor, über den im Autorenverzeichnis berichtet wird). Er weist aber darauf hin, daß bei Baby Jar die Gewaltopfer zweier menschenverachtender Regime liegen, denn auch "Kollaborateure" und andere politische Gegner des Kommunismus wie zum Beispiel Kämpfer der "UPA" (= Ukrainische Aufständische Armee) liegen dort begraben – ermordet vom sowjetischen Geheimdienst NKWD. (Die UPA kämpfte gegen die Sowjetunion und wegen der verbrecherischen Besatzungspolitik von Heinrich Himmler und Ernst Koch auch gegen die deutschen "Goldfasanen", das heißt die "Reichskommisariatsverwaltung".)

Die übrigen Beiträge – auch die "Podiumsdiskussion" und das "Streitgespräch" über die Ausstellung – sind ziemlich "zeitgeistgemäß". Wolfgang Etschmann gibt einen Überblick über den Krieg gegen die Sowjetunion. Er verwirft die Ansicht, daß der deutsche Angriff ein Präventivkrieg gewesen sei, obwohl er selbst am Schluß seiner Ausführungen schreibt, daß Stalin wohl an ein späteres Eingreifen in den Krieg gedacht habe. Auch die Konzentration starker sowjetischer Panzerverbände im Bialystoker und Lemberger Frontbogen erwähnt er, die doch aber nur einen Sinn machen, wenn aus diesem Bogen ein Angriff geplant war. Er führt zwar einige Literatur zur Frage "Präventivkrieg oder nicht" an, es fehlen dabei aber so wesentliche Bücher wie die Werke von Viktor Suworow ("Der Eisbrecher" und "Der Tag M"), Joachim Hoffmann ("Stalins Vernichtungskrieg") und Ernst Topitsch ("Stalins Krieg"). Auch sonst sind einige Fragezeichen bei ihm angebracht. Das gilt auch für den Aufsatz von Schmidt über die "Wehrmacht, Waffen-SS, Polizei und bewaffnete Formationen im III. Reich". Die von ihm bei den Ostfronttruppen erwähnten drei "Deutsch-Kroatischen Divisionen" standen nie an der Ostfront (jedoch ein kleiner rein kroatischer Verband), ebenso waren keine bulgarischen Truppen an der Ostfront, da Bulgarien sich nicht am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligte. Der Verfasser scheint auch der Ansicht zu sein, daß die "Leibstandarte" nicht zur SS-Verfügungstruppe gezählt habe, und er scheint nicht zu wissen, daß die SS-Verfügungstruppe bei offiziellen Anlässen die schwarze Uniform trug. Die Waffen-SS bestand auch nicht, wie er meint, ausschließlich aus Freiwilligen. Zum Beispiel wurden die Volksdeutschen aus dem Südostraum und die Esten und Letten einfach jahrgangsmäßig einberufen. Mindestens gegen Kriegsende wurden aber auch "Reichsdeutsche" zur Waffen-SS eingezogen.

Über "Nachkriegsprozesse gegen Kriegsverbrecher in der Steiermark" schreibt schließlich Martin F. Polla-scheck. Es handelt sich hier um Prozesse vor österreichischen Sondergerichten, für die der etwas anrüchige Name "Volksgericht" verwendet wurde. Sie bestanden aus jeweils zwei Juristen und drei Laienrichtern. Von diesen Schöffen wurden mindestens am Anfang je einer von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Sozialistischen (SPÖ) und der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) gestellt. Die Strafandrohungen waren hoch, auch gegen bereits Verstorbene konnte zwecks Einziehung des Vermögens noch verhandelt werden. Zum Teil wurde auch aufgrund von nachträglich erlassenen Gesetzen geurteilt. Solche Art von Sondergerichten sind natürlich immer eine zweifelhafte Sache.

Abschließend kann man sagen, daß der Sammelband "Der Krieg gegen die Sowjetunion" für den historisch interessierten Leser eine lohnende Lektüre ist und daß man trotz aller Einwände der Stadt Graz und der Universität zubilligen muß, daß sie – anders als bei vielen "Parallelveranstaltungen" in der Bundesrepublik Deutschland – sich doch um eine objektive "Bewältigung" bemüht hat.

 

Stefan Karner und Gerald Schöpfer (Hrsg.): Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941 bis 1945. Verlag Leykam, Graz 1998, 205 Seiten, 41 Mark


 
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