© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Bundeswehr: Der Einmarsch ins Kosovo markiert eine neu Ära
Ungewohnte Normalität
Oliver Geldzus

Bilder, an die man sich bereits gewöhnt hat: die Bundeswehr zieht mit schwerem Gerät ins Kosovo ein, deutsche Soldaten befinden sich erstmals wieder seit dem Zweiten Weltkrieg auf dem Balkan. Und die neuen Besatzer kommen vor allem als Beschützer. Von den noch verbliebenen Albanern werden die Deutschen als Befreier gefeiert; vor allem Frauen, Alte und Kinder säumen jubelnd den Weg der Bundeswehr-Fahrzeuge und streuen Blumen.

Derartige Reaktionen hat es auf einen Einmarsch deutscher Truppen lange nicht mehr gegeben. Zuletzt sind deutsche Soldaten im Sommer 1941 in der Ukraine als Sieger und Befreier vom kommunistischen Joch freudig mit Brot und Salz begrüßt worden – man weiß, wie schnell diese historische Chance durch eine ideologisch verblendete, kurzsichtige Politik verspielt worden ist. Der Rest ist ebenfalls bekannt.

In diesem Punkt liegt die Bedeutung der militärischen deutschen Präsenz auf dem Balkan. Nicht nur de facto, auch psychologisch haben sich nun endgültig die Fronten verkehrt, ist der Verlierer zweier Weltkriege in das Lager der Sieger gewechselt. War die Aufnahme der Bundeswehr in die Nato zunächst rein taktisch bedingt und die Beschwörung vom deutschen Bündnispartner lange Zeit eher nur ein Lippenbekenntnis, so hat sich die politische Lage bereits mit der Wiedervereinigung grundlegend gewandelt.

Doch der entscheidende Qualitätssprung bei der militärischen Rolle des vereinigten Deutschland wird durch die Balkanoperation markiert. Noch beim Krieg gegen den Irak hatte die Bundesregierung 1991 in gewohnter Manier die Pose des bereitwilligen Zahlmeisters vorgezogen, der mit Verweis auf die eigene Geschichte im ewigen Büßerkleid dem weiteren Verlauf der Geschichte lediglich als Zaungast beiwohnt. Diese Zeiten sind nun endgültig vorbei.

Waren die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Somalia, Kambodscha oder Bosnien in den neunziger Jahren noch unter dem Deckmantel einer rein humanitären Hilfe geführt worden, so waren die Deutschen bei der diesjährigen Strafexpedition gegen die Serben als vollwertiges Mitglied der westlichen Allianz an vorderster Front zu finden. Und die Medien waren wie immer mit dabei. Stolz präsentierten sich die Bundeswehrpiloten den aufgebauten Kamerateams nach vollzogener Bombardierung; jeder schnauzbärtige Familienvater wurde im Handumdrehen zum neuen Helden stilisiert, man kennt diese deutsche Neigung seit dem Baron von Richthofen zur Genüge.

Auch hier kündigt sich ein nachhaltiger Wechsel an: Nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg hat es in Deutschland eine derartige Begeisterung für das eigene Militär gegeben wie in diesen Tagen. Das liegt natürlich auch daran, daß den Kosovo-Einsatz selbst die Grünen mittragen und verantworten müssen, wodurch der Friedensbewegung die politische Wirksamkeit fehlt. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit sahen sich die pubertären Bundeswehrrekruten dem linken Generalvorwurf, Mörder zu sein, ausgesetzt, jetzt werden sie von der Boulevardpresse als Sieger und Friedensengel bejubelt. "Verständnis und Vernunft, wo es geht – Konsequenz und Härte, wo es nötig ist. Unsere Soldaten zeigen, daß sie im Bündnis einen Riesen-Job machen" – so der Tenor der Bild-Zeitung zur Arbeit der Bundeswehr in der deutschen Schutzzone.

Dabei ist offensichtlich, daß hinter dem neuen, ungewohnten Stolz die Befriedigung darüber steht, nach zwei verheerenden Waffengängen in diesem Jahrhundert, in denen die Deutschen jeweils gegen die halbe Welt kämpften, endlich auf der "richtigen" Seite zu stehen, auf der Seite der Sieger. Erstmals seit 1871 partizipiert Deutschland wieder an einem Krieg mit positivem Ausgang, muß weder ein Friedensdiktat noch eine Besatzung hingenommen werden. Erst damit ist im Grunde 1945 wirklich historisch, ist der Zusammenbruch, den dieses Datum bezeichnet, aktiv bewältigt.

Insofern haben die Bomben auf Belgrad auch ihr Gutes. Das soll nicht heißen, daß der Krieg dadurch richtiger geworden ist. Die Luftangriffe auf Serbien entsprachen der amerikanischen Überzeugung, Konflikte zwar militärisch, doch ohne nennenswerte eigene Verluste durch technologische Überlegenheit lösen zu können. Mit dieser tief in der anglo-amerikanischen Denktradition verankerten Logik ist nationalistisch orientierten Regierungssystemen bzw. Diktaturen jedoch ohne weiteres nicht beizukommen.

Diese schmerzliche Erfahrung haben die Amerikaner bereits in Vietnam oder im Krieg gegen Saddam Hussein machen müssen. Auch Hitler konnte nicht durch die Bombardierungen deutscher Städte besiegt werden, sondern nur durch die lange aufgeschobene Eröffnung der Westfront. Ähnlich widersetzten sich die Serben elf Wochen lang den Luftangriffen der in allen Belangen überlegenen Nato. Auch in diesem Fall versagte die rationale Überlegung angesichts des serbischen Idealismus, den angelsächsische Gesellschaften – sich selbst dabei im Blick – in der Regel unterschätzen.

Das Gegenteil wurde erreicht: die Serben verbündeten sich mit ihrem Despoten, die Opposition wurde völlig ausgeschaltet, die Jugend versammelte sich in den Nächten demonstrativ zu Pop-Konzerten oder stellte sich schützend auf die verbliebenen Brücken. Insofern war die Erleichterung der Nato-Strategen spürbar, nachdem Milosevic durch die Vermittlung der Russen den formalen Sieg doch noch ermöglichte.

Dennoch wäre der Kosovo-Konflikt aufgrund der verfehlten atavistischen Politik Milosevic‘ ohne internationales Eingreifen nicht zu lösen gewesen, es sei denn, man hätte den Genozid an der albanischen Minorität in Kauf genommen. Vermutlich wird erst eine Teilung das historisch umkämpfte Amselfeld halbwegs befrieden können – eine Lösung, die in absehbarer Zeit auch für Bosnien denkbar ist.

In all diesen Punkten wird künftig Europa, vor allem aber Deutschland als natürlicher Hegemonialstaat in Mitteleuropa eine stärkere Rolle spielen müssen. Bisher geschah lediglich das Unvermeidliche. Die Arbeit beginnt erst.

 

Mit diesem Beitrag eröffnet die JUNGE FREIHEIT eine Debatte zur künftigen außenpolitischen Rolle Deutschlands.


 
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