© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Oper: Händel-Festspiele in Göttingen
Fünf starke Frauen
Julia Poser

Bis heute gelten die meisten Fürstinnen und Prinzessinen der Barockzeit als adelsstolze Verschwenderinnen, die sich nur um ihr Vergnügen, nie aber um ihre darbenden Untertanen kümmerten. Aber gerade im 18. Jahrhundert gab es erstaunlich tatkräftige Regentinnen: Maria Theresia von Habsburg, Elisabeth von Rußland und Caroline von England. Im Festvortrag "Die Last der Krone", passend zum diesjährigen Thema "Frauengestalten bei Händel", machte Dorothea Schöder klar, daß zwar Prinzessinnen als Handelsware dem dynastischen Staatskalkül geopfert wurden, Händels Frauenfiguren aber keine schablonenhaften Typen wie in den meisten Barockopern, sondern facettenreiche Persönlichkeiten sind.

So auch Händels "Arianna in Creta" (Ariadne auf Kreta), die mutig und listenreich dem athenischen Helden Theseus beisteht, das Labyrinth des Minotaurus mit Hilfe des Ariadnefadens wieder zu verlassen. Diesem Untier mußten alljährlich sieben Jungfrauen und sieben Jünglinge geopfert werden.

Wie es sich für eine echte Barockoper gehört, gibt es auch noch ein zweites Paar mit Konflikten, Eifersüchteleien, Liebesschwüren, Haß und Versöhnung. "Arianna in Creta" wurde 1734 erfolgreich in London uraufgeführt. Erst 1946 feierten die Göttinger Händel-Festspiele die Wiederentdeckung dieser Oper, wobei Händels Musik im ersten Nachkriegsjahr als ein Mittel zur Versöhnung zwischen den Völkern verstanden wurde.

Die Arien in "Arianna" gleichen wahren Edelsteinen in verschiedenen Fassungen: liebliche Naturschilderungen, zärtliche Liebesgesänge, aber auch wie im Fall des rachsüchtigen Tauris brutale Kraftausbrüche. Von zwei kleineren männlichen Partien abgesehen, beherrschten fünf starke Frauen die Göttinger Bühne, da drei Männerrollen von Frauenstimmen gesungen wurden. Sophie Daneman als Arianna begeisterte das Premierenpublikum besonders durch das beseelte Aufblühen ihres hellen silbrigen Soprans. In schönem Kontrast dazu der kraftvolle, höhensichere Mezzo von Wilke te Brummelstroete in der Rolle des siegreichen Theseus. Dessen Freund Alkestis wurde von Christine Brandes mit dem funkelnden Glanz ihres klaren Mezzos gesungen. Den bösartigen Tauris gestaltete Cecile van de sant mit dunkel schattiertem, glutvollen Mezzo.

Jennifer Lane als Ariannas Freundin Carilda machte schließlich das grandiose Quintett exquisiter Frauenstimmen vollkommen. Die beiden guten Männerstimmen von Philip Cutlip als König von Kreta und Tilmann Prautzsch als Gott des Schlafes waren dagegen bedeutungslos.

Scott Blake schuf herrliche Bühnenbilder mit geheimnisvoller Tiefenwirkung: Da schaukelte die Flotte der athenischen Schiffe vor der Abreise nach Kreta, in einem idyllischen Hain trafen sich die Paare und – Höhepunkt der Aufführung – tötet Theseus im schaurigen Labyrinth den Minotaurus. Berauschend in ihrer Farbenpracht die kostbaren Kostüme von Bonnie Kruger. Catherine Turocy sorgte durch ihre stilechte, tänzerische Regie dafür, daß die Trägerinnen und ihre üppigen Roben voll zur Geltung kamen.

Nicholas McGegan, künstlerischer Leiter der Festspiele, musizierte mit seinem Philharmonia Baroque Orchestra aus Francisco vier Stunden lang musikalisch präzis, temperamentvoll und kontrastreich.


 
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