© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Finanzpolitik: Die Sparpläne der Bundesregierung sparen in Wirklichkeit nur wenig ein
Paket ohne dauerhafte Konzeption
Bernd-Thomas Ramb

Die neue SPD entdeckt die Sekundärtugenden. Sparen ist nicht nur "in", sondern ein allseits toleriertes Gebot der Stunde, Lafontaines Ausgabenoffensive zur Ankurbelung der Wirtschaft dagegen Schnee von gestern. Neofinanzminister Hans Eichel, in Hessen als Ministerpräsident abgewählt, hält ohnedies nichts von der ökonomischen Theorie. Ihm ist nicht nur die Stärkung der Nachfrageseite abhold, auch die griffige Masche einer "linken Angebotspolitik" reizt ihn nicht als Markenzeichen seiner Finanzpolitik. Die Weisheiten der Wirtschaftswissenschaftler gehören für Eichel ins "Wolkenkuckucksheim".

In Treue zur nordhessischen Tradition der SPD-Kanalarbeit bevorzugt Finanzminister Eichel den gediegenen Kahlschlag der Sensentechnik. Jedes Ministerium wird zur Kürzung des Etatentwurfs 2000 verdonnert. Dabeisein ist alles, auch wenn der Beitrag des einen durch eine Nachkommastelle im geringsten Kürzungstitel des anderen Ministeriums auszugleichen wäre. So soll das Bundespräsidialamt drei Millionen Mark einsparen, das Arbeitsministerium dagegen den mehr als 4000fachen Betrag von 12,8 Milliarden Mark. Daß der scheidende Bundespräsident Roman Herzog seine Aufgabe nur zögerlich erfüllt und allenfalls bereit ist, den Reiseetat seines Nachfolgers um eine halbe Million zu kürzen, wird um so verständlicher, als der ehemalige Musterschüler Eichel im eigenen Haus gleich Übererfüllung der Planvorgaben vermeldet. Statt 565 Millionen spart er fast das Doppelte, nämlich 1.090,5 Millionen Mark. Bei diesem Übereifer hätte er nicht nur die wechselnden Bundespräsidenten aus der Peinlichkeit befreien, sondern auch auf die gesamten Kürzungsforderungen der Ministerien Gesundheit (119,4 Millionen Mark), Umwelt (83,6 Millionen) und Justiz (54,3 Millionen) sowie des Auswärtigen Amtes (270,4 Millionen) verzichten können.

Eichels Kürzungsmanie hat System, wenn auch wenig Sinn und Verstand. Jeder soll daran beteiligt werden, jedoch nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten, sondern im Proporz. Zu diesem ersten Kardinalfehler gesellt sich ein zweiter. Die vermeintliche Freiheit bei der Wahl der innerministeriellen Kürzungen wird zur Willkür, weil Eichel den Ressortchefs keine klaren Richtlinien vorgibt, nach denen die Kürzungen vorzunehmen sind. Was dabei herauskommt, ist ein Sammelsurium von vagen Zukunftssparversprechungen und Umverteilungen zu Lasten anderer.

Paradebeispiel ist das Familienministerium. 218 der insgesamt 880 Millionen Einsparsumme werden kurzerhand den Ländern und Gemeinden zugeschoben, die künftig einen Großteil der Unterhaltszahlungen säumiger Väter übernehmen sollen. Zur Abdeckung der restlichen Summe plant das Familienministerium rigide Einsparungen im Bereich der Zivildienstleistenden durch den Abbau von 30.000 Zivildienststellen (Einsparung 286,4 Millionen Mark), geringere Rentenzuschüsse für Zivildienstleistende (274 Millionen), Beteiligung der Dienststellen an den Abschiedsprämien (57,2 Millionen) und geringere Bundeszuschüsse für die Dienststellen der Zivildienstleistenden (44 Millionen).

Die meiste Arbeit der Zivildienstleistenden dürfen künftig hauptberufliche Pflegekräfte mit Vollzeitstellen verrichten. Deren Kostenträger, die Krankenkassen, werden aber nicht nur durch die Abschiebepraxis des Familienministeriums gebeutelt. Das Landwirtschaftsministerium will 315 Millionen Mark bei der Unfall- und Krankenversicherung der Landwirte einsparen. Das Gesundheitsministerium streckt die Finanzhilfen für die Pflegeeinrichtungen in den neuen Bundesländern um 109 Millionen Mark. Das Arbeitsministerium kürzt die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für Empfänger von Arbeitslosenhilfe, macht zusammen mit den Kürzungen der Beiträge zur Rentenversicherung 7,2 Milliarden Mark. Gleichzeitig senkt das Riestersche Ministerium die Arbeitslosenhilfe, beispielsweise für Zeitsoldaten und Referendare, um eine Milliarde Mark. Dagegen nimmt sich die breit diskutierte Verringerung der Rentenerhöhung mit Einsparungen von 3,8 Milliarden vergleichsweise gering aus.

Hauptleidtragende der Sparpläne sind demnach weniger die einzelnen Ressorts, soweit sie nicht von anderen Ministerien die Lasten zugeschanzt bekommen, sondern die nicht unmittelbar an den Sparentscheidungen Beteiligten, allen voran die staatlichen Sozialversicherungssysteme, die über Leistungskürzungen oder Beitragserhöhungen die geplante Reduktion der staatlichen Zuschüsse ausgleichen müssen. An zweiter Stelle der Geschädigten dürften die Länder und Gemeinden stehen. Das Kürzungssystem des ehemaligen Ministerpräsidenten hat nicht nur, wie im Falle der Unterhaltszahlungen säumiger Väter, eine direkte Kostenzuweisung an Land und Kommune zur Folge. Insbesondere die Kürzungen im Bereich der Arbeitslosenhilfe, aber auch andere Einsparmaßnahmen, werden einen Anstieg der Sozialhilfeempfänger zur Folge haben, der voll zu Lasten der Gemeinden geht.

Eine weitere Zielscheibe der Sparsalven sind die neuen Bundesländer. Neben der Streckung der Finanzhilfe für die Pflegeeinrichtungen müssen sie die Kürzung des Zuschusses für die Treuhand-Nachfolgeorganisation BvS in Höhe von 915,3 Millionen Mark und geringere Strukturanpassungshilfen für Ost-Unternehmen in Kauf nehmen. Zudem sind die neuen Länder von den anderen Sparentscheidungen häufig überproportional betroffen.

Es ist anzunehmen, daß sich die eigentlichen Betroffenen der Eichelschen Sparpläne erst in den kommenden Wochen lauthals zu Wort melden. Die deutschen Landwirte haben bereits Protestmaßnahmen angekündigt. Je nach Organisationsstärke und Einflußmöglichkeiten wird die eine oder andere Gruppierung vermutlich auch noch Milderungen ihrer Belastung durchsetzen. Dies ist schon deshalb wahrscheinlich, weil ein idealer Ansatzpunkt zur Durchsetzung von Gruppeninteressen gegeben ist: die Konzeptionslosigkeit des Sparprogramms. Weder wird konsequent die Subventionsmaschinerie abgebaut, noch zeigen sich Ansätze für eine systematische Revitalisierung der kränkelnden Wirtschaft. Der hektische Aktionismus der Rangeleien um die Sparliste mag zwar medienwirksam präsentabel sein, die notwendigen Strukturreformen in der Wirtschaft und in den Sozialsystemen werden dadurch nicht eingeleitet. Vielleicht gelingt es aber Eichel doch noch, die Scheu vor dem "Wolkenkuckucksheim" der ökonomischen Theorie abzulegen. Sein Kanzler ist mittlerweile so weit auf dem rechten Pfad vorangeschritten, daß er den Trippelschritt zu marktwirtschaftlichen Reformen ohne Stolpern schaffen könnte.


 
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