© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


CD: Pop
Überraschungen
Peter Bosßdorf

An Jay Kay wurde ein Exempel statuiert, es gelang, ihn aus der Furore machenden Crossover-Band Weissglut noch rechtzeitig herauszuschießen, bevor deren ökonomischer Erfolg ihm eine Immunität hätte verleihen können. Der rechtsstaatlich gehegte Jakobinismus hat damit seine Kontrollansprüche in einem jugendkulturellen Milieu unterstrichen, dessen Mentalität ihm als Ganzes zuwider ist. Deswegen muß Jay Kay stellvertretend für viele das Objekt für den Sadismus der Canaille abgeben.

Spuren der Kampagne sind in seiner Musik wahrnehmbar. Die Attitüde, als Einzelner oder als kleine Schar einer großen, finsteren, anonymen Macht gegenüberzustehen, war zwar auch früher schon nahezu konstituierend für die Stimmung, die seine Band Forthcoming Fire transportierte, doch Mordor war weit und das beschworene Feuer nicht nur Hoffnungsanker, sondern Metapher der Siegesgewißheit.

Heute, nach der Feindberührung, ist alles viel konkreter und daher banal und trist. Die schwarzen Reiter sind bloß Schießbudenfiguren, es schmerzt, sich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Der Kraftakt liegt nun darin, das künstlerische Schaffen nicht zur Chiffre für das eigene, doch eher ernüchternde Erleben werden zu lassen, die Intrigen des Alltags nicht in die eschatologischen Bilder einzuzeichnen.

Jay Kay legt hier eine imponierende Besonnenheit an den Tag. "Watching Rome Burn" (VAWS, Postfach 10 13 50, 47013 Duisburg), die neue unverhofft erschienene CD von Forthcoming Fire, hält nicht nur Distanz, sondern wahrt sogar einen Rest an Zuversicht, einen Mut zur Verkündigung, der singulär ist. Insofern ist Jay Kay tatsächlich untypisch für das Milieu, mit dem er identifiziert wird, da er nicht die Faszination der Dekadenz beschwört.

Die neue CD umfaßt Material aus den vergangenen vier Jahren, ein Einblick in die musikalischen Möglichkeiten, die in der Band steckten (und in ihren verbliebenen Mitgliedern noch stecken dürften) – bis hin zu Anknüpfungspunkten zum Apocalyptic Folk. Überraschend sind die beiden Stücke, die unplugged daherkommen: "Europa Calling" – das klingt fast wie Leonard Cohen – und "Outside Metropolis" – dies wäre auch als ein Beitrag zu Nature And Organisation denkbar. Nachgelassene Werke hören sich anders an.

Die Metamorphosen von Paradise Lost hingegen sind unergründlich: Eine Band, die irgendwo im exzentrischen "Deathmetal" beginnt, landet nach trendverstärkenden Berührungen mit Gitarrenrock der Marke "Gothic" bei einer Popmusik, die klingt, als hätte Depeche Mode noch einmal alle Kräfte zusammengenommen und den Glauben an etwas wiedergefunden, das jenseits der eigenen Geschichte liegt. "Host" (EMI Electrola) reiht eine eingängige, so kühle wie kraftvolle Melodie an die andere: Das ist schwarz, das ist schick, das ist abgeklärt und traurig, das ist Musik für den Lebensabschnitt, in dem der Kostümzwang wieder verfliegt und das Bedürfnis nach Körperschmuck einer neuen Orientierung an George Michael Platz macht.

In Deutschland wird so eine Seelenreifung nach der Methode Blumfeld zur Versöhnung von Karikatur und Wahrheit. In England besitzt man genügend ästhetische Routine und Markterfahrung, um durch echte Lebenshilfe das ganze strategische Potential der Altersfurcht ausschöpfen zu können. Dies ist die erbauliche Seite der Melancholie, die Paradise Lost empfiehlt.


 
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