© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Holocaust-Mahnmal: Kritiker sollen auf Linie gebracht werden
Der Geschichte entledigt
Thorsten Thaler

"Das Dritte Reich erweist sich als ein unerschöpflicher Steinbruch, aus dem große Quader rausgehauen, fachmännisch in kleine Stücke zerlegt und dann über den Einzelhandel zum Kauf angeboten werden. Die Branche ist so weit gefächert wie die Produkte, die von ihr vermarktet werden. Sie beschäftigt Forscher und Historiker, Verleger und Journalisten, Maler und Filmemacher, Dokumentaristen und Essayisten, Gedenkstättenplaner und Gedenkstättenleiter, Politologen und Pädagogen, Didaktiker und Dialektiker. Zu jeder dieser Sub-Sparten gehört ein Troß von Kritikern, die den jeweils Produktiven bzw. Reproduktiven sagen, was diese alles falsch machen und wie sie es besser machen könnten. Es handelt sich garantiert um überkonfessionelle, grenzüberschreitende und interdisziplinäre Projekte, die bei Auschwitz anfangen und im Unendlichen aufhören. (…) Nachdem es kaum noch etwas zu dokumentieren gibt, weil auch die letzte Kinderzeichnung ausgestellt, die allerletzten unbekannten Fotos entdeckt und alle Gedichte, die in den Ghettos entstanden sind, veröffentlicht wurden, kann die Beschäftigung mit dem Holocaust in eine neue Stufe eintreten: Der Historisierung folgt die Akademisierung und Ritualisierung."

Eine neue Walser-Rede? Mitnichten. Das Zitat stammt von Henryk M. Broder aus seinem bereits 1993 erschienenen Buch "Erbarmen mit den Deutschen", und es belegt die Glaubwürdigkeit eines sperrigen Intellektuellen, der sich nicht erst seit gestern dem kulturellen Mehrheitsdiskurs verweigert. So kann es nicht verwundern, daß Broder auch nicht vor jener parlamentarischen Mehrheit eingeknickt ist, die am vergangenen Freitag für ein zentrales Holocaust-Mahnmal in Berlin stimmte.

Die Abgeordneten hatten sich in einer ersten Abstimmung mit 439 gegen 115 Stimmen grundsätzlich für den Bau eines solchen Mahnmals ausgesprochen. In einem weiteren Wahlgang entschieden sich 325 Abgeordnete dafür, das Mahnmal ausschließlich den von den Nationalsozialisten ermordeten Juden Europas zu widmen. 218 Parlamentarier wollten aller Opfer der NS-Zeit gedenken. Schließlich stimmten die Abgeordneten mit einer Mehrheit von 314 zu 209 für den Entwurf eines Stelenfeldes des amerikanischen Architekten Peter Eisenman.

"Die Entscheidung ist, um es vornehm auszudrücken, politisch ein Skandal und moralisch eine Katastrophe, sie setzt die Sonderbehandlung der Juden unter einem positiven Vorzeichen fort", kritisierte Broder im Berliner Tagesspiegel den Beschluß des Bundestages. Und einmal in Fahrt, versetzte er auch gleich noch den offziellen Vertretern der Juden in Deutschland einen Tritt vors Schienbein. "Es macht die ganze Sache nicht koscher, daß ein paar jüdische Funktionsträger mit der Sonderbehandlung einverstanden sind und das Privileg, von den Erben der Täter hofiert zu werden, mit niemandem teilen möchten. Wobei sie nicht einmal merken, daß sie nur Mittel zum Zweck sind." Für die Polemik Broders wählte der Tagesspiegel die überaus treffende Überschrift "Alle feiern den Beschluß für das Holocaust-Mahnmal, doch einer bleibt unversöhnlich".

Das zeigte sich auch am Montag abend während einer Fernseh-Diskussion auf N3. Gleich mehrere Mahnmals-Befürworter versuchten Broder weichzukochen. In der Pose moralischer Erhabenheit und mit dem Rückhalt einer Parlamentsentscheidung redeten die Initiatorin des privaten Förderkreises zur Errichtung eines Holocaust-Denkmals, Lea Rosh, Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland, Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) und die Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages, Elke Leonhard (SPD), auf den unbeugsamen Broder ein. Als müßten sie post festum auch noch den letzten Kritikern ihre Ansicht oktroyieren, wüteten sie gegen Broders angeblich starrsinnige Haltung. Der ließ sich indes nicht beeindrucken, zitierte die Süddeutsche Zeitung, die vom Mahnmal als einer "steingewordenen Staatsräson" geschrieben hatte, und konfrontierte die Mahnmals-Verfechter mit dem Vorwurf: "Statt von den Tätern zu reden, suchen sie sich ein warmes Plätzchen bei den Opfern." Dazu aber taugten die ermordeten Juden nicht.

Wäre es nicht ziemlich weit hergeholt, ließe sich annehmen, gerade die so engagierten Befürworter eines Holocaust-Mahnmals wollten sich damit auch vor der Geschichte entlasten. Mehr noch: Ihr Bemühen, die Debatte jetzt abzuwürgen, mindestens aber alle Zweifler auf Linie zu bringen, setzt sie dem Verdacht aus, sie wollten sich der Geschichte "entledigen" – ein Vorwurf, den sie selbst seit Jahren gegen Kritiker des Denkmals erheben.

Die Verbissenheit, mit der auch nach der "Entscheidung ohne Wenn und Aber" (Elke Leonhard) auf weiterhin abweichende Meinungen reagiert wird, läßt aufhorchen. Das Fehlen jedweder souveränen Gelassenheit der Mehrheit gegenüber der Minderheitenposition erweckt zumindest den Anschein, als seien sich die Befürworter trotz allem ihrer Sache nicht sicher. Thorsten Thaler


 
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