© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Love Parade: Polit-Promis wollen mit Parteien-Gedöns die Raver unterwandern
Guido und Christian auf Tour
Manuel Ochsenreiter

Im ausgehenden 20. Jahrhundert kann sich Europa kaum mehr vor Paraden retten. Waren es vor hundert Jahren noch schmissige Militärparaden mit viel Säbelrasseln, so überfluten jetzt Love-, Street- und sonstige Techno-Paraden die Flaniermeilen mitteleuropäischer Großstädte. Tonnenschwere Tieflader mit überdimensionalen Boxen fahren im Schneckentempo mit dem tanzenden Volk und jeder Menge Ordnern durch die Straßen, das dumpfe Bumm-Bumm der Mega-Watt-Bässe ist noch meilenweit zu vernehmen.

Doch auch hier kommt es wohl, wie es kommen mußte. Auch wenn (noch) von der Teilnehmerzahl her keine Stagnation abzusehen ist, findet aber beim äußeren Ambiente eine schleichende Normalisierung statt. Im elften Jahr der Berliner Parade haben sich Vorzeichen umgekehrt. War es bei der ersten Parade 1989 noch eine gewisse politisch-apolitische Bissigkeit, die 150 Raver veranlaßte, unter dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" eine politische Demonstration anzumelden und durchzuführen, scheint heute ein Übergang zum üblich langweiligen Soli-Charakter linksliberaler Problematiker erkennbar. Ist man doch mit dem Motto "Music is the key", das gerade noch glücklicherweise um das "to peace" verkürzt wurde, haarscharf an einer "Friedensdemo" vorbeigeschrammt. Wir erinnern uns an die Peinlichkeit, als während des Golfkrieges aus gutmenschlichem Kalkül der Karneval einfach abgesagt wurde, der Jugoslawien-Krieg kaum aber jemanden interessierte. Es scheint, als wäre solch ein Akt nur noch eine Frage der Zeit, bis sich auch die Organisatoren der Love Parade mit Friedenstauben und "Kein Mensch ist illegal"-T-Shirts verunstalten.

Denn wer sich dieses Jahr außer den angesagten Clubs und Sendern anschickt, mit einem eigenen Techno-Tieflader am 10. Juli teilzunehmen, läßt tief in die wohl solidarisch angehauchten Seelen blicken.

Da wäre zum Beispiel die Junge Union mit von der Partie. Gerüchten zufolge soll sogar CDU-Bürgermeister Diepgen zeitweilig auf dem Wagen mitfahren, praktisch Wahlkampf für die anstehenden Bürgermeisterwahlen. Dennoch wird er an Lächerlichkeit wohl kaum Christian Ströbele von den Grünen überbieten können, der auf der Schwulen- und Lesbenparade des Christopher-Street-Days (CSD) mit seinem kleinen Solar-Mobil mitgefahren ist. Und überhaupt, nimmt nicht die Politisierung der Love Parade im gleichen Maß zu wie die Entpolitisierung des CSD? Wer erkennt da noch einen Unterschied? Die Junge Union packt die Love Parade schon professioneller an, denn sie hat per bundesweitem Ausschreiben 30 "szenemäßige" Begleiter für den Wagen gesucht. Immerhin verspricht es ein unterhaltsamer Anblick zu werden, wenn 30 adrett anzusehende junge Hoffnungsträger voller christlich-demokratischem Esprit "total abtanzen". Zu allem Überfluß dürfen wir wahrscheinlich sogar diese Bilder in den kommenden CDU-Wahlkampfspots im Fernsehen sehen. Genauso inbrünstig dürften sich die Jungen Liberalen aufführen, denn ihr 24jähriger Pressesprecher Marco Mendorf meint: "Das ist die Möglichkeit, uns gleichaltrigen Jugendlichen zu präsentieren." Wie genau er die 100.000 Mark geschätzten Kosten von der nicht mehr ganz so schwerreichen Partei FDP auftreiben möchte, darüber schweigt er sich lieber aus.

Besonders fies wird allerdings der Wagen sein, der für die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) auf die Straße des 17. Juni geschickt wird. Landesverbandschef Hartmut Friedrich äußert sich zu diesem kühnen Vorhaben mit dem typisch spröden Charme eines Gewerkschaftsfunktionärs: "Wir wollen uns den Besuchern auf dem Medienspektakel als gerade jugendlichen Interessen aufgeschlossene Organisation darstellen." Besonders hip verspricht die Auswahl der Leute zu werden, die auf dem DAG-Wagen mitfahren werden. Diese müssen nämlich keine Techno-Freunde sein. Sondern viel extremer: Gewerkschafter! Es darf also geschunkelt werden! Daß der Wagen in Form einer total fetzigen Rakete sein wird, erhöht auf jeden Fall den Spaßfaktor.

Aber auch das Krankenhaus Berlin-Moabit läßt sich nicht von einem Beitrag für die Parade abbringen. Denn die Motivation ist dieselbe, wie die der Jungen Liberalen. "Wir machen mit, weil wir uns mal anders präsentieren wollen", sagte Geschäftsführerin Helga Lachmund. Eigentlich will das Krankenhaus ja damit für seinen Erhalt demonstrieren. Der völlig ausgeflippte Anästhesist Georg Gall (46)verriet sogar, wie er auf diese sagenhafte Idee kam: "Mein Sohn ist Techno Fan." Und deshalb tanzen jetzt 40 "Cyber-Docs und Dance-Nurses" auf einem 40.000 Mark teuren, gigantischen Krankenwagen ab. Na ja, zumindest auf die Krankenschwestern darf man sich freuen.

Wo soviel gute Menschen unterwegs sind, wittert natürlich auch Greenpeace Morgenluft. Dennoch wird laut Greenpeace-Mitglied Ulrike Brendel kein Wagen ins Rennen starten, statt dessen findet "eine Aktion am Brandenburger Tor" statt.

Außer den gut gemeinten Wagen fahren aber tatsächliche Originale wieder mit, wie zum Beispiel Sven Väth mit dem cocoon-Club aus Frankfurt, Treibhaus Neuss und der Hamburger Tunnel. Als Hauptsponsoren wurden dieses Jahr Fanta und Telly-D1 genannt.

Eine kleine Niederlage mußte allerdings Planetcom doch noch einstecken, denn dieses Jahr wird nichts aus der eigenen Getränkeversorgung. Der zuständige Bezirk Tiergarten lehnt ein von Planetcom eigens beantragtes Catering mit der Begründung der Kommerzialisierung ab. Und das schickt sich natürlich nach wie vor für eine politische Demonstration nicht. Planetcom wiederum argumentiert, daß der eigene Verkauf die Kommerzialisierung eindämme, denn diese fände ja gerade durch "ausschließlich gewinnorientierte Standbetreiber und Schwarzhändler" statt. Doch was wäre eine Love Parade ohne den netten Vorderasiaten mit dem geklauten Aldi-Einkaufswagen, in dem palettenweise Becks-Bier lagert. Denn auch er ist schon ein Stück Paraden-Original, welches man einfach vermissen würde.

Selbst für den bildungsreisenden Zeit-Leser ist auf der Love Parade 1999 etwas geboten. Denn dort findet ein Bildungsurlaubsseminar zum Thema Jugenkultur statt. Motto: "Spaß mit politischem Background".

Man kann also getrost abwarten, bis die Junge Union endlich auch mal beim CSD mitmacht, oder die Hanns-Seidel-Stiftung mit Guido Westerwelle und Christian Ströbele auf Tour geht, natürlich mit einem Tieflader. Wem die Politisierung so richtig auf den Keks geht, der sollte einfach noch ein paar Monate auf den kommenden Karneval warten – aber nein! Selbst den haben schon die polit-korrekten "Toten Hosen" mit ihrem Gerhard Schröder Duz-Freund Campino bevölkert. Wir sollten uns einfach etwas neues einfallen lassen ...

 

Party-Kalender

Unter dem Motto "Lovestern Galaktika is back" startet auch in diesem Jahr die größte Party zur Love Parade in Spandau: Größe heißt in diesem Fall drei Dancefloors, ein Swimmingpool und ein DJ-Set, das sich gewaschen hat: Steve Mason, Marusha, Phil Fuldner, Patrick Lindsay, Alex List Antiloop, Andy Howarth, George Acosta ... Start ist am Sa 11. Juli um 22 Uhr in Spandau, Tickets 25 bis 30 DM, Infos im Netz unter http://lovestern.avus.de 

In der Arena in Treptow steigt am Freitag Dr. Mottes Licht&Liebe Party, die man auf keinen Fall versäumen sollte! DJ’s: Dr.Motte, Hell, Marusha, DJ Dero, uva. Start 22 Uhr in der Arena, Eichenstr. 4 (S-Bf. Treptower Park), 20 DM.

Am Sonnabend ist ebenfalls die Arena allererste Wahl: auf der Lovenation sind Westbam, Afrika Bombaataa, Marc Spoon, Sharam uva. am Start. Live Christopher Just. Start 22 Uhr, 40 DM, und ziemlich voll – aber geil! Infos im Netz unter: http://www.homebase.de/lovenation 

Am Freitag startet um 23 Uhr in der Kalkscheune in Mitte (Johannisstraße 2) die General Electro–Lost in Space-Party mit vielen live-DJs. Am Sonnabend gibt es ab 23 Uhr "The Weekend of Love" mit Josh Wink, Steve Mason, Dimitri uva. live Ben Neill 35 DM


 
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