© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Cottbusser Rede
von Dieter Stein

Ein Saal, gefüllt mit dreitausend deutschen Bauern. Die Luft ist angefüllt mit Flüchen, Pfeifen, Schreien. Mit einer Handsirene macht ein Einzelner auf sich aufmerksam. Bundeskanzler Schröder will ein Grußwort sprechen. Daraus wird nichts. Er legt das Manuskript beiseite und liest den Landwirten die Leviten. "Ich bin nicht hierher gekommen, um eine einzige angekündigte Maßnahme zurückzunehmen." Seinen Parteifreund Stolpe, der im Herbst eine Wahl zu gewinnen hat und der den Bauern mehr versprochen hat, kanzelt er vor versammelter Menge ab: "Wenn der Ministerpräsident dieses Landes etwas anderes verspricht, dann irrt er."

Der Staat ist pleite, und nun mußte gekürzt werden. Die Regierungen drücken sich schon seit Jahren davor, das Problem der explodierenden Staatsausgaben anzupacken. Es wird von Wahlperiode zu Wahlperiode aufgeschoben. Die Zeche sollen die nächsten Generationen bezahlen. Statt dessen wird das Geld zum Fenster rausgeworfen, daß die Schwarte kracht. Jüngstes Beispiel: das Milliarden verschlingende Kosovo-Abenteuer der Nato.

Jeder ahnt, daß eines Tages der Punkt kommen wird, an dem der Gürtel enger geschnallt werden muß. Die Menschen begrüßen es aber, wenn man sie mit negativen Nachrichten verschont. Die Rechnung für die desolaten Staatsfinanzen möchte man nicht brutal wie ein Strafmandat hinter dem Scheibenwischer präsentiert bekommen. Virtuose Finanzminister sind gehalten, das großflächige Abschöpfen des Volksvermögens hinter Mehrwertsteueranpassungen in Trippelschritten, Miniökosteuern und dem zisellierten Frisieren von Subventiönchen zu verschleiern. Überzuckert wird die Massenenteignung noch durch das sanfte Einschmelzen der D-Mark unter Euro-Narkose. So schwinden sie, die Milliarden auf dem Schuldenkonto des Staates und die Millionen auf den Sparkonten der braven Bürger.

Schröder sorgte mit seiner Cottbusser Rede für ein Wetterleuchten. Die Rede hinterließ eine Ahnung, was möglich ist, wenn ein politischer Chef eines Landes sagt, was Sache ist. Die ungeplante "Blut-, Schweiß- und Tränenrede" hielt er vor den Bauern – keine sozialdemokratischen Stammwähler und der denkbar schwächste und oft geprügelte Gegner des markigen Kanzlers. Wenn er sie demnächst vor Konzernchefs und Gewerkschaftsbossen wiederholen sollte, wäre dies wirklich eine politische Wende. Dies ist aber kaum zu erwarten, insbesondere nach dem Kniefall vor der Autolobby in der Altautoverwertung. So wird man wohl das unter makabrem Druck beim "kleinen Mann" zusammengesparte Geld auch weiterhin in großem Stil für abenteuerliche Prestigeprojekte und Scheckbuchdiplomatie verschleudern.


 
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