© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Steuerreform: Das Konzept der Bundesregierung und Hans Eichels gute Ansätze
"Aktiver Sozialstaat ist Floskel"
Karl-Peter Gerigk

Herr Professor Haegert, die von Bundesfinanzminister Hans Eichel geplante Reform soll insgesamt 30 Milliarden einsparen – quer über alle Ministerien. Das wird nicht nur von der Opposition als "Rasenmähermethode" bezeichnet. Ist dies aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Haegert: Den Vorwurf der "Rasenmähermethode" halte ich nicht für gerechtfertigt. Daß die einzelnen Ressorts Sparleistungen erbringen sollen, ist nur vernünftig. Der Umfang der Einsparungen ist nicht starr am jeweiligen Budget orientiert. Es sind gezielte Sparmaßnahmen. Den Bemühungen von Herrn Eichel wird quer durch alle politischen Lager zu Recht Respekt gezollt. Darüber, daß die Staatsausgaben gesenkt werden sollen, herrscht seit langem Einigkeit im Lande. Das "Wie" kann zu einem großen Teil nur zu Lasten der Wählerklientel der Bundesregierung gehen. Daß diese das in Kauf nimmt, muß man anerkennen. Eichel bekommt dafür Zustimmung quer durch alle Lager, auch von der Opposition.

Betrachtet man die Einsparungen im einzelnen, ist aber schwer zu verstehen, warum beim Verteidigungshaushalt gekürzt wird, angesichts der Aufgaben, welche die Bundeswehr in naher Zukunft zu realisieren hat. Auch die Bauern, die durch die Agenda 2000 Einbußen erwarten müssen, sollen bei einem Nettoeinkommen von 1.800 Mark auf Zuwendungen verzichten. Wie ist dies zu rechtfertigen?

Haegert: Der Zuschuß zum Diesel zum Beispiel ist eine schwer zu rechtfertigende Subvention, wenn man bedenkt, daß die Bauern hiermit auch ihre privaten PKW betanken. Es wird seit Jahren gefordert, Subventionen abzubauen. Die Bauern leben in einem steuerlichen Naturschutzgarten. Bauern brauchen imPrinzip die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abzuführen, und auch die Einkommensteuer für die meisten kleinen und mittleren Betriebe ist eher gering. Das Problem der Bauern ist, daß sie nicht wettbewerbsfähig sind. Die Forderungen, daß bei der Bundeswehr gespart werden muß, kommt hingegen ja vorwiegend aus der "linken Ecke". Aber der Kalte Krieg ist zu Ende, und die Aufgaben der Bundeswehr sind nicht mehr die Landesverteidigung, sondern eher Aufgaben wie zum Beispiel in Jugoslawien. Dazu braucht man eine andere Armee, die dann sicherlich auch eine andere Kostenstruktur besitzt. Es ist aber nicht einzusehen, zum Beispiel heute ein Flugzeug zu entwickeln, das im Zweikampf der russischen MiG überlegen sein muß. Dennoch bleibt dies sicherlich eine politische Entscheidung.

Die Unternehmenssteuerreform will die Nettosteuerlast um acht Milliarden Mark senken, indem die Gesamtsteuerlast von 50 Prozent auf 35 Prozent gesenkt wird. Dies soll mit veränderten Abschreibungsmöglichkeiten finanziert werden. Ist dies für Firmen denn wirklich von Nutzen, wenn sie das, was sie an Steuern einsparen, bei den Abschreibungen draufzahlen?

Haegert: Steuersatzsenkungen sind für Steuerpflichtige in der Regel mehr wert als Abschreibungsvergünstigungen. Niedrige Steuersätze bewirken eine endgültige Steuerminderung, Abschreibungsvergünstigungen nur einen zeitlichen Aufschub der Steuerzahlungen, also nur einen Zinsvorteil. Dieser kann natürlich von großem Gewicht sein. Darum geht es aber nicht in erster Linie: Für deutsche Unternehmen, die deutschen Eigentümern gehören, mag bei einiger Sachkenntnis einsichtig sein, daß per Saldo nicht viel herauskommt. Die Befürworter der Reform rechnen jedoch nicht ganz zu Unrecht damit, daß ausländische Investoren sich nicht die Mühe machen, sich mit der Vorteilhaftigkeit einzelner Regelungen des deutschen Steuerrechts auseinanderzusetzen, sondern sich einfach nur an den Steuersätzen orientieren, wenn sie vor der Frage stehen, ob sie in Deutschland investieren sollen. Diese vereinfachte Betrachtungsweise wird dadurch gefördert, daß korrekte Steuerbelastungsvergleiche zwischen gleichartigen Unternehmen in verschiedenen Ländern äußerst kompliziert sind.

Die Körperschaftsteuer soll bei einbehaltenen Gewinnen der Unternehmen von 40 Prozent auf 25 Prozent gesenkt werden. Ist die Hoffnung der Koalition berechtigt, daß die Unternehmen die Gewinne reinvestieren werden und dadurch Arbeitsplätze neu entstehen können?

Haegert: Nach dem augenblicklichen Stand der Diskussion sollen auch Einzelunternehmen, Personengesellschaften, Freiberufler und Land- und Forstwirte auf Antrag die Möglichkeit haben, einbehaltene, also nicht entnommene Gewinne wie Kapitalgesellschaften mit 25 Prozent zu versteuern. Dazu kommt, zumindest für Kapitalgesellschaften und Gewerbebetriebe, die Gewerbesteuer. Ausschüttungen und Entnahmen unterliegen dann zur Hälfte zusätzlich der normalen Einkommensteuer nach dem für alle natürlichen Personen geltenden Einkommensteuertarif. Auf diese Einkommenssteuer kann die "Unternehmensteuer" nicht angerechnet werden, auch nicht wie bisher die Körperschaftssteuer der Kapitalgesellschaften. Da jede Entnahme oder Ausschüttung zusätzliche Steuerzahlungen auslöst, besteht natürlich ein starker Anreiz, Gewinne im Unternehmen "weiterarbeiten" zu lassen. Wer nicht gerade Lohn oder Gehalt oder Rente bezieht, wird sich bemühen, seine Einkunftsquelle in ein "Unternehmen", zum Beispiel in eine "Wohnungssbau- und Verwaltungsgesellschaft" oder einen "Investmentfonds" einzubringen oder, falls er schon ein Unternehmen hat, im Unternehmen zu "sparen", soweit er keine Realinvestitionen, also zum Beispiel in Gebäude oder Maschinen, durchführen will. Der Streit mit dem Finanzamt ist wegen vieler Ausweichmöglichkeiten vorprogrammiert.

Wie ist dies denn mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Situation einzuschätzen?

Haegert: Der volkswirtschaftliche Schaden ist schlimm. Es darf sich nicht lohnen, sein Kapital in einem schlecht geführten Unternehmen zu belassen, statt auf Ausschüttungen zu drängen und die Dividende in zukunftträchtige Unternehmen mit höherer Rendite zu investieren. Daraus folgt die Gefahr von Kapitalfehlleitungen in großem Stil. Es ist nicht sichergestellt, daß die einbehaltenen Gewinne in arbeitsschaffende Realinvestitionen gesteckt werden. Es wird ein zentrales Prinzip der Marktwirtschaft torpediert, wonach Kapital dort hinfließt, wo es die höchste Rendite bringt.

Bedeutet dies nicht geradezu, daß der Konsum benachteiligt wird, also Lafontainsche Ideen über Bord geworfen wurden?

Haegert: Die Grundidee der Reform von Eichel ist gar nicht schlecht. Investiertes, also nicht konsumiertes Einkommen, wird gering oder überhaupt nicht besteuert. Ein solches System läuft auf die Besteuerung des Konsums hinaus, die durchaus progressiv gestaltet sein könnte, wie die Einkommensbesteuerung nach dem geltenden Tarif. Dann müßten auch Einkommensteile, die in der Form von Immobilien oder Wertpapieren oder bei Banken angelegt werden und entweder Realinvestitionen darstellen (z.B. Immobilien) oder deren Finanzierung dienen, ermäßigt oder gar nicht besteuert werden. Hierfür gibt es unter den Wissenschaftlern eine breite Zustimmung. Damit würde entgegen der beabsichtigten Reform berücksichtigt, daß alle Steuern letztlich Menschen bzw. deren verfügbares Einkommen treffen. Nicht Unternehmen tragen die Last der Besteuerung, sondern Menschen, denen die Gesellschaften und Einzelunternehmen gehören.

Benzin und Diesel sollen in den nächsten vier Jahren um 24 Pfennig teurer werden, und auch die Kosten für Strom sollen steigen. Dieses Geld soll dann dazu verwandt werden, die Lohnnebenkosten zu senken. Schafft das wirklich mehr Arbeitsplätze?

Haegert: Ökosteuer und Senkung der Lohnnebenkosten be- und entlasten die Unternehmen in unterschiedlichem Ausmaß. Allgemeingültige Aussagen lassen sich nicht machen. Es handelt sich um Größenordnungen, die kaum ein Unternehmen zum Verzicht auf arbeitssparende Rationalisierungsinvestitionen veranlassen werden, die der technischen Fortschritt und der Wettbewerbsdruck erzwingen, zumal auch die Wettbewerber, zumindest im Inland, mit geringeren Lohnnebenkosten kalkulieren können. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist gleichbedeutend mit kapazitätserweiternden Investitionen in neue Produkte oder in neue Märkte. Dabei wird mit Margen gerechnet, bei denen zwei Prozent Lohnnebenkosten keine entscheidende Rolle spielen.

Was halten Sie von Schröders Formel "vom fürsorgenden Sozialstaat zum aktiven Sozialstaat"?

Haegert: Wenn diese Devise bedeuten soll, daß vom Bürger mehr Eigenverantwortung verlangt wird, zum Beispiel auch bei der Vorsorge für das Alter, dann stimme ich ihr zu. Im übrigen handelt es sich bei der Bezeichnung "aktiver Sozialstaat" um eine Floskel, die nicht zu intensiver Auseinandersetzung mit ihr einlädt.

 

Prof. Dr. Lutz Haegert wurde 1936 in Berlin geboren.Er studierte Betriebswirtschaft an der Freien Universität Berlin sowie den Universitäten in München und Frankfurt (Main). Dort erreichte er den Abschluß eines Diplomkaufmanns. Seine Promotion zum Dr. rer. pol. absolvierte er wieder in Berlin. 1970 habilitierte er in Mannheim und erhielt anschließend eine Professur an der Universität Augsburg. Seit 1993 lehrt Lutz Haegert Betriebswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität Berlin und ist Direktor des Institutes für Bertriebswirtschaftliche Steuerlehre.


 
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