© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Kommunalwahlen: ÖDP gewinnt Klage gegen Sperrklausel in Nordrhein-Westfalen
Die Suche nach Sündenböcken
Volker Kempf

Der Verfassungsgerichtshof in Münster entsprach bei seiner Urteilsverkündung am 6. Juli der Klage der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) gegen die kommunale Fünf-Prozent-Hürde in Nordrhein-Westfalen. Jetzt ist der Landtag in Zugzwang. Er muß erstmals seit 25 Jahren während einer Sommerpause eine Sondersitzung einberufen, hierzu seine Abgeordneten – auf Kosten des Landes – aus dem Urlaub zurückbeordern und dann rasch das Kommunalwahlgesetz für die Wahlen am 12. September reparieren. Dies wirft kein gutes Licht auf die Arbeit des Landtages, zumal dieser mit dem Fall fünf Jahre lang betraut war.

Die Suche nach Verantwortlichen und Sündenböcken hat unterdessen längst eingesetzt. Der Rechtsvertreter des Landtags, der Kölner Jura-Professor Willi Wimmer, hat schon nach der mündlichen Verhandlung Mitte Juni seinen Hut nehmen müssen. Dann geriet selbst bei Parteigenossen Landtagsdirektor Große-Sender von der SPD in die Schußlinie. Denn dieser habe in Absprache mit Wimmer das richterliche Angebot, weitere Argumente für den Beibehalt der Hürde am 14. September, also nach den Kommunalwahlen nachzureichen, abgelehnt. Es gäbe nichts mehr zu vertiefen, da der Argumentationsgrund erreicht sei. Die Gremien hatten ihre Arbeit gemacht und alle Argumente vollständig vorgelegt, so Wimmer.

Die nordrhein-westfälische ÖDP hält Wimmer und gegebenenfalls auch Große-Sender für die sprichwörtlichen Bauernopfer. Schließlich trage der Landtagspräsident Ulrich Schmidt (SPD) die Verantwortung. Der habe mit der 1994 vom Gericht aufgelegten Überprüfungsfrist der Hürde keine entsprechenden Schritte für die jetzt eingetretenen Eventualitäten eingeleitet, sondern nachweislich auf Zeit gespielt, um vollendete Tatsachen für die Kommunalwahlen am 12. September 1999 zu schaffen. Entsprechend forderte die ÖDP nach der Urteilsverkündung gegenüber der Presse den Rücktritt des Landtagspräsidenten Schmidt.

Wie immer sich das Personalkarussell des Landtags in der Sommerpause noch drehen wird: In der beklagten Sache hat die nordrhein-westfälische ÖDP ihr Ziel erreicht. Sie wollte, daß sich kommunalpolitisches Engagement für Menschen auch außerhalb der großen Parteien lohnt. Das gefährdet natürlich absolute SPD-Mehrheiten in den Rathäusern, so der Landesgeschäftsführer der ÖDP, Volker Bochnia, in einer Stellungnahme. Denn einige Mandate werden an freie Wählergruppen, die FDP, auch PDS, Republikaner und andere gehen, die die Fünf-Prozent-Marke vor Ort nicht überspringen. Auch werden diese Gruppierungen dazu ermuntert, sich in die Kommunalpolitik überhaupt erst einzubringen, da ihre Kandidatur meist nur ohne Hürde erfolgversprechend ist. Daß die Kompetenz nicht immer bei gut bezahlten Profipolitikern liegen muß, sondern durchaus bei ehrenamtlich Engagierten, das hat die Klage der ÖDP außerdem gezeigt.


 
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