© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Brüssel: Der einstige Vorzeigeliberale gerät in die Bredouille
Europäische Dekadenz
Karl-Peter Gerigk

Seine Erscheinung ist die eines gut genährten Wohlstandsdeutschen. Er demonstriert die Finanzkraft und den Reichtum der erfolgreichen und wirtschaftlich einflußreichen deutschen Nachkriegsrepublik nicht zuletzt durch seine Leibesfülle. Seine Kommissionspolitik für die Industrie bestand auch eher aus Geschäftsessen mit Größen der Wirtschaft als in preußischer Akribie für Kleinigkeiten. Getrost kann man den 64jährigen Martin Bangemann aus Wanzleben bei Magdeburg als klugen Lobbyisten auch in eigener Sache bezeichnen. Daß er sich jetzt ein künftiges Jahreseinkommen von schätzungsweise zwei Millionen Mark gesichert hat, ist da wenig verwunderlich.

Nachdem aber der deutsche Industriekommissar in der Europäischen Union seine künftige Tätigkeit für den spanischen Telekommunikationskonzern Telefonica öffentlich gemacht hat, wurde er von der Kommission aufgefordert, seine Tätigkeit für die EU sofort zu beenden. Die Sprecherin von Kommissionspräsident Jacques Santer, Martine Reicherts, sagte in Brüssel, die Kommission habe mit "Überraschung" und Befremden Bangemanns Wunsch zur Kenntnis genommen, so bald wie möglich in den Aufsichtsrat von Telefonica zu wechseln. In seinem Amt als Kommissar war er wesentlich für Fragen des europäischen Telekommunikationsmarktes zuständig. Hierdurch und durch seine besonderen Aufgaben gerade für die Privatisierungen im Telekommunikationsmarkt besitzt er eine Vielzahl an exklusiven Insider-Informationen über alle europäischen und viele internationale Telekommunikationsunternehmen.

Ein Kommissar ist verpflichtet, sich auch nach dem Ausscheiden aus seinem Amt "ehrenhaft" zu verhalten und Informationen und Kenntnisse aus seiner Tätigkeit nicht zu mißbrauchen. Dies schreibt der Artikel 213 des EU-Vertrages vor. Werden diese Pflichten verletzt, kann der Europäische Gerichtshof auf Antrag des Rates oder der Kommission einem Kommissar zum Beispiel seine Ruhegeldansprüche aberkennen. Wie der finnische EU-Botschafter Antti Satuli berichtete, sei dies im Rat der Ständigen Vertreter zur Sprache gekommen.

Bangemanns Sprecher in Brüssel hat versichert, daß sich der scheidende Kommissar aus Deutschland im Sinne des Artikel 23 verhalten habe und verhalten werde und keine Informationen aus seiner Tätigket als EU-Kommissar bei der Telefonica verwenden will. Der Sprecher Bangemanns betonte, daß der Kommissar mit sofortiger Wirkung sich nicht mehr an Sitzungen und Entscheidungen der Kommission beteiligen werde. Sein offizielles Ausscheiden aus der Kommission ist jedoch erst für September geplant. Bangemann habe zu keiner Zeit Informationen aus seiner Tätigkeit als Kommissar zum eigenen Nutzen mißbraucht, und zudem werde er bei Telefonica nicht für Fragen der EU, sondern für die neuen Märkte verantwortlich sein. Unklar ist zur Zeit, ob Bangemann sein Gehalt aus Brüssel bis zu seinem offiziellen Ausscheiden im September weiterbezieht und ob er nach Antritt seiner Aufsichtsratsposition in Spanien auch Pensionszahlungen von der EU erhält.

Honorarvertrag mit der spanischen Firma

Nachdem Bangemann seinen Kommissionsposten über zehn Jahre lang bekleidet hat, besitzt er Anrecht auf rund 60 Prozent seines letzten Gehaltes als Übergangsgeld und 40,5 Prozent als Pension. Kommissare erhalten eine Gesamtvergütung von mehr als 40.000 Mark. Ihr Gehalt beläuft sich auf etwa 30.000 Mark. Die Pensionsbezüge können jedoch bei der Übernahme einer neuen Beschäftigung gekürzt werden.

Die Kommission hat sich nach Bekanntwerden der Wechselpläne Bangemanns in einem informellen Treffen mit dessen Berufsplänen befaßt. Dabei ging es unter anderem auch darum, ob Bangemann die Verhaltensregeln für Kommissare verletzt habe, als er die Telefonica beriet und sich um einen Aufsichtsratposten bei der spanischen Firma bemühte, da er in seinen Kommissionsaufgaben mit dem Tätigkeitsbereich von Telefonica befaßt war.

Der Wechsel Bangemanns liegt jedoch durchaus im eigenen Ermessen, genauso wie Beratertätigkeiten, die er parallel zu seinem Kommissionsposten ausüben kann. Hierzu zählte auch der Honorarvertrag mit Telefonica in Höhe von 20.000 Mark, berichtet ein informierter EU-Mitarbeiter. Eine gerichtliche Belangung Bangemanns für sein Verhalten sei eher unwahrscheinlich. EU-Kommissare genießen Immunität, die nur in wirklich schwerwiegenden Fällen aufgehoben wird.

Ehemaligen Mitarbeitern aus seinem Stab und informierten Kreisen in Brüssel ist die wirkliche Aufgabe Bangemanns in Spanien eher unklar. In Brüssel habe Bangemann eher die großen Entscheidungen getroffen und nach genau ausgearbeiteten Vorlagen gearbeitet. Bangemann hatte einen qualifizierten und umfangreichen Stab von Zuarbeitern. Er selbst sei lieber auf unterhaltender Ebene tätig gewesen. Er sei ein exzellenter und brillanter Gesellschafter, der über Humor und Witz verfüge, was seinen Unterhaltungswert steigere. Bangemann lebe nach der Devise: "Lieber ein faules Genie als ein fleißiger Idiot".

Ob der Wechsel Bangemanns weitere Auswirkungen auf die Entwicklung des europäischen Kommunikationsmarktes habe, konnte von dem Hauptkonkurrenten der Telefonica, der Deutschen Telekom, offiziell nicht erfahren werden. Jedoch wolle man die Situation auf Konkurrenzverschiebungen hin prüfen und die künftigen Entwicklungen genau beobachten. Natürlich stelle sich die Frage von weiteren Kooperationen im europäischen Telekommunikationsmarkt. Eine Interessenpolitik im deutschen Sinne erwarte man jedoch von Bangemann nicht.

Bundesregierung und auch FDP kritisierten massiv den Stil des Wechsel Bangemanns. Regierungssprecher Heye sagte, Bangemann hätte Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen. Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Daniel Bahr, sieht hierin eine negative Wirkung auf das Image der FDP.

Die Art und Weise, wie Bangemann der EU den Rücken kehrt, kennzeichnet ein besonderes Selbstbewußtsein. Ähnlich wie Lafontaine verläßt der FDP-Politiker seinen Chef fluchtartig. Es scheint, als wolle er der diskreditierten und von Vorwürfen der Korruption und Vetternwirtschaft geplagten Kommission die Sachen hinschmeißen, nachdem er nicht alle seiner Ziele auf europäischer Ebene erreicht hat.

1989 kam er mit dem Willen nach Brüssel, einmal den Kommissionschef Jacques Delors zu beerben. Jedoch schien er sich schnell mit den "Zwängen" fehlender Tugenden in der Kommission arrangieren zu können und konzentrierte sich auf sein Ressort, in dem er durch ausgesuchte Kontaktpflege und durch gute Information richtige Entscheidungen zu treffen schien. Er vetrat als erster mit Nachdruck die Forderung nach Privatisierung der Telefon- und Telekommunikationsmärkte. Die Verhinderung der Decoder-Verordnung, die alle EU-Bürger gezwungen hätte, diese für viel Geld anzuschaffen, ist eines seiner Verdienste. Mit dem entsprechenden Engagement und weniger barocker Lebensphilosophie hätte Bangemann in der EU und in der Kommission sicherlich mehr erreichen können.


 
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