© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Geostrategie: Der mögliche Bau einer Trans-Balkan-Pipeline und die Folgen für den Interessenausgleich
Das größte Spiel um Eurasien beginnt
Michael Wiesberg

Kaum hat sich der Pulverdampf über dem Kosovo gelichtet, werden im südlichen Balkan Entwicklungen angestoßen, die weitgehende Rückschlüsse auf die eigentlichen Motive insbesondere der USA erlauben, im Kosovo aktiv zu werden. So meldete die Nachrichtenagentur UPI am 23. Juni dieses Jahres, daß die US-Regierung Bulgarien eine halbe Million Dollar zu Verfügung gestellt hätten, um die Möglichkeit einer Pipelintrasse durch den südlichen Balkan zu untersuchen. Diese Pipeline soll die Funktion haben, das kaspische Erdöl zu den westlichen Märkten zu transportieren. Das kaspische Öl soll per Tanker von dem russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk bzw. dem georgischen Schwarzmeerhafen Suspa verschifft werden, um dann auf dem Landwege mit Pipelines durchBulgarien, Mazedonien und Albanien gepumpt zu werden.

UPI meldete weiter, daß die Entscheidung für den möglichen Bau dieser Pipeline kurz vor der Einigung zwischen der Nato und Rußland über die Modalitäten zur Beendigung des Krieges im Kosovo fiel. Diese Behauptung ist deshalb irreführend, weil die Entscheidung für dieses Projekt bereits lange vor Ausbruch des Kosovokrieges gefallen war. So führte die Regierungsinstitution Trade and Development Agency (TDA) in ihren Arbeitsschwerpunkten des Jahres 1998 bereits die Trans-Balkan Erdölpipeline auf. Diese solle, so die TDA, von dem bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas durch Mazedonien nach Vlora in Albanien führen.

Dieses Projekt sei aufgrund der Konflikte im südlichen Balkan bisher nicht durchführbar gewesen, steht in der UPI-Meldung weiter zu lesen. Jetzt aber gäbe es die Aussicht, daß die USA für eine entsprechende Sicherheit in der Region sorgten und entsprechende Garantien für Investitionen übernähmen. Damit steige die mögliche Trans-Balkan Pipeline zu einer ernsthaften Alternative zu der lange von den USA favorisierten Pipeline Baku (Aserbaidschan)- Ceyhan (Türkei) auf.

Einflußsicherung in der Region durch Investitionen

Noch weiter geht eine Pressemitteilung der TDA vom 2. Juni dieses Jahres. Dort ist davon die Rede, daß die Trans-Balkan Pipeline endgültig die Erdölreserven des Schwarzen und des Kaspischen Meeres mit Westeuropa verbinden könne. Im ganzen letzten Jahr wird TDA-Direktor Grandmaison zitiert, habe die TDA aktiv die Entwicklung verschiedener Pipelinesysteme unterstützt, um die großen Ressourcen der kaspischen Region mit den westlichen Märkten zu verbinden. Das Trans-Balkan Projekt sei ein entscheidender Schritt vorwärts im Hinblick auf die Sicherung der amerikanischen Geschäftsinteressen in dieser Region.

An den Kosten der Untersuchung beteiligt sich neben der TDA auch die im amerikanischen Besitz befindliche Erdîlfirma AMBO (Albanian-Macedonian-Bulgarian-Oil-Corporation), die laut Pressemitteilung der TDA bereits in der Vergangenheit mit allen wichtigen US-Erdölfirmen zusammengearbeitet habe, um eine Erdölpipeline zu entwickeln, die russisches, aserbaidschanisches, georgisches, turkmenisches und kasachisches Erdöl durch die oben genannten Balkanstaaten transportieren soll.

Die TDA hat auch die Federführung bei der von den USA finanzierten "Entwicklungsinitiaitve südlicher Balkan" (SBDI), die die infrastrukturelle Entwicklung des transeuropäischen Korridors Nr. 8 zum Ziel hat, der von Burgas bzw. Varna in Bulgarien zum albanischen Adriahafen Durres führt. Selbstverständlich lassen diese Pläne in der Türkei die Alarmglocken schellen.

Im gleichen Maße, wie sich die Trans-Balkan Pipeline zu einer ernsthaften Option entwickelt, werden die Chancen geringer, daß die lange Zeit von der US-Regierung favorisierte Pipeline Baku-Ceyhan gebaut wird. Die oben bereits zitierte UPI-Meldung spricht in diesem Zusammenhang wörtlich von "Schockwellen", die durch die Türkei liefen. Von der Kostenseite her war die Pipeline Baku-Ceyhan nie konkurrenzfähig. Nach Berechnungen der Weltbank würde der Transport über eine Pipeline von Baku nach Ceyhan 2,22 Dollar pro Fa· (159 Liter) kosten. Ein derartiger Preis liegt über den aller anderer Optionen. Die US-Regierung hat bisher aus geopolitischen Erwägungen heraus an diesem Projekt festgehalten, weil diese Trassierung sowohl russisches als auch iranisches Territorium ausspart.

Die amerikanischen Erdîlfirmen vor Ort haben sich allerdings stets gegen eine derartige Option ausgesprochen und scheinen sich jetzt durchgesetzt zu haben. Den letzten Anstoß dafür dürften der nach wie vor niedrige Ölpreis, die stagnierende Nachfrage, die bisher hinter den Erwartungen zurückgebliebene kaspische Erdölproduktion und der weiter schwelende aserbaidschanisch-armenische Konflikt sein.

Dazu kommt, daß die US-Regierung durch russische Aktivitäten auf dem Balkan unter Zugzwang geraten ist. Moskau plant nach Angaben der Moskauer Nachrichtenagentur Itar-Tass vom 19. Mai dieses Jahres eine Erdölpipeline von dem Schwarzmeerhafen Noworossijsk nach Burgas zum griechischen Hafen Alexandropolis am Ägäischen Meer. Diese Verbindung ist wesentlich wirtschaftlicher als die Verbindung Baku-Ceyhan. Dieser Plan ist nicht nur ein Schachzug gegen die USA, sondern vor allem gegen den russischen Hauptgegner in dieser Region, der Türkei. Denn die Türkei verfolgt mit der am 1. Juli 1994 fixierten Weigerung, mehr Erdöltanker als bisher durch den Flaschenhals Bosporus passieren zu lassen, keineswegs nur ökologische Motive.

Aufrechterhaltung der US-amerikanischen Hegemonie

Diese von der Türkei durchgesetzte Begrenzung war insbesondere gegen Rußland gerichtet, das an einer Steigerung des Erdöltransportes durch Tanker, die wohl oder übel den Flaschenhals Bosporus passieren müssen, interessiert war und ist. Diese Begrenzung hat entscheidend zur Annäherung zwischen Rußland, Griechenland und Bulgarien beigetragen, das Bosporus-Problem mit einer Pipeline durch Bulgarien und Griechenland zu lösen.

Die geplante Pipeline Burgas-Alexandropolis wird 300 Kilometer lang sein und soll etwa 700 Millionen Dollar kosten. Damit würde diese Piepline ein Zehntel dessen kosten, was eine mögliche Pipeline Baku-Ceyhan an Kosten verschlingen würde, die darüber hinaus noch Erdbebengebiete durchqueren würde.

Europäische Banken haben bereits signalisiert, daß sie bereit sind, entsprechende Kredite für ein derartiges Projekt auf dem Balkan zur Verfügung zu stellen. Legt man die neuesten Entwicklungen zugrunde, dann sind die Amerikaner zumindest partiell von ihrer Prämisse abgerückt, die Russen völlig außen vor zu halten.

Dieser Versuch hätte erhebliche Folgen für die Stablität Rußlands gehabt. Sollte die von der amerikanischen Regierung geplante Pipeline Baku-Ceyhan oder eine alternative Pipeline außerhalb des russischen Staatsgebietes trotz der neuesten Entwicklungen doch noch gebaut werden, dann verlîre Rußland sowohl eine beträchtliche Einnahmequelle als auch ein ökonomisches Kontrollinstrumentarium über die erdölreichen Staaten des Kaukasus und Zentralasiens.

Es ist vor diesem Hintergrund für Rußland geradezu eine Überlebensfrage, daß Aserbaidschan und Kasachstan weiter ihr Erdöl über den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk transportieren. Sollte das kasachische und das aserbaidschanische Erdöl nicht mehr über Noworossijsk, sondern in Richtung Mittelmeer und das turkmenische Erdgas durch den Iran und die Türkei nach Westeuropa transportiert werden, würde dies das weitgehende Ende des russischen Einfluß auf den Kaukasus und auf Zentralasien nach sich ziehen. Diese Aussicht ist aus russischer Sicht deshalb bedrohlich, weil die Deviseneinnahmen aus dem Energiegeschäft für die Stützung der russischen Wirtschaft unabdingbar sind.

Die entscheidende Rolle über die Pipelinetrassen der Zukunft spielt aber aufgrund ihrer Finanzkraft die USA. Diese sind offiziell zunächst an der die Interessensicherung der involvierten amerikanischen Erdölfirmen im Kaukasus und in Zentralasien interessiert.

Tatsächlich geht es um wesentlich mehr. Was die USA wirklich wollen, hat der ehemalige Sicherheitsberater unter Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski in seinem berühmten Artikel "Eine Geostrategie für Asien" in der Foreign Affairs-Ausgabe vom September/Oktober 1997 zu Protokoll gegeben: "Angesichts der Instablilität Eurasiens mu· unmittelbar gewährleistet werden, da· kein Staat und keine Verbindung von Staaten die Fähigkeit erlangen, die Vereinigten Staaten zu verdrängen oder auch nur ihre entscheidende Rolle zu schmälern." Genau diesen Zustand bezeichnet Brzezinski als "segensreiche amerikanische Hehemonie".

Neu sind Brzezinskis Thesen freilich nicht. Bereits 1904 vertrat der britische Geostratege Halford Mackinder in einem Papier mit dem Titel "Der geographische Angelpunkt der Geschichte" aus englischer Sicht eine ähnliche These. Auch für Mackinder lag der Schlüssel über die Weltherrschaft in der Kontrolle über das Kernland der eurasischen Landmasse, das aus seiner Sicht von der Wolga, dem Yangtse, der Arktis und dem Himalya umgrenzt wurde. Seine These faßte Mackiinder wörtlich wie folgt zusammen: "Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht das Kernland; wer das Kernland beherrscht, beherrscht die Weltinsel; wer die Weltinsel beherrscht, beherrscht die Welt."

Aus Sicht der Amerikaner sind die Vorgänge in Zentralasien bzw. der kaspischen Region eine Art Neuauflage des "Großen Spiels", das insbesondere Rußland und Großbritannien im 19. Jahrhundert um Macht und Einfluß in Eurasien führten. Darauf verwies neben Brzezinski zum Beispiel der Vorsitzende des Auschuß für Internationale Beziehungen, Doug Bereuter, der seit geraumer Zeit Anhörungen über die geostrategische Bedeutung der kaspischen Region führt. Im Wettstreit um den Aufbau ihrer Reiche, erklärte Bereuter, führten Rußland und Großbritannien lange Zeit eine Auseinandersetzung um die Hegemonie. "Hundert Jahre später", so Bereuter wîrtlich weiter, "hat der Zusammenbruch der Sowjetunion ein neues großes Spiel ausgelöst, und an die Stelle der Interessen der East India Company sind die Interessen von Unocal und Total sowie zahlreicher weiterer Organisationen uind Firmen getreten".

Und weiter: "Die erklärten Ziele der US-Politik hinsichtlich der Energieressourcen dieser Region umfassen die Fîrderung der Unabhängigkeit der dortigen Staaten sowie deren Verbindungen zum Westen; das Brechen des russischen Monopols über die Transportwege für Öl und Gas; die Förderung der Versorgungssicherheit des Westens durch Diversifizierung der Energieversorger; die Förderung des Baus von Ost-West-Pipelines, die nicht durch den Iran führen; sowie die Abwehr des gefährlichen iranischen Zugriffs auf die zentralasiatischen Ökonomien".

Wachsende Divergenzen zwischen USA und Europa

Es gibt inzwischen in den USA Stimmen, denen der Begriff "Großes Spiel" bereits nicht mehr ausreicht. So schlug zum Beispiel der Herausgeber des US News&World Report, Mortimer Zuckerman, vor, die Konfliktlage in Zentralasien/Kaukasus, das "größte Spiel" zu nennen. Dieser Superlativ sei deshalb angebracht, weil es um "weltweite und nicht nur regionale Konkurrenzen geht. Ein Rußland, unter dessen nuklarem Schutz sich ein neues Ölkonsortium unter Beteiligung des Iran und des Irak zusammenfindet, kînnte durchaus die Energiepreise derart in die Höhe treiben, daß die Produzenten gestärkt und der Westen, die Türkei, Israel und Saudi-Arabien bedroht werden".

Ähnlich wie Zuckermann sieht Frederick Starr von der John Hopkins Universität die Dinge. Starr ist Leiter des Central Asia Caucasus Institute und gab 1998 folgendes zu Protokoll: "Die potentiellen wirtschaftlichen Erträge der kaspischen Energieträger werden westliche Militärtruppen nach sich ziehen, um bei Bedarf diese Investitionen zu schützen."

Es besteht vor diesem Hintergurnd kein Zweifel, daß der Kosovokrieg auch und gerade der strategischen Absicherung dieser Investionen diente.Dieser Krieg machte aber auch eutlich, daß es zwischen den USA und Europa keine Interessenkonvergenz mehr gibt. Der Zugriff auf die Ressourcen in Zentralasien wird die unterschwelligen Konflikte zwischen den USA und Europa weiter zuspitzen.

Dies gilt vor allem dann, wenn die USA ihren Einfluß, wie von Brzezinski angekündigt, in Asien und Europa noch weiter ausdehnen werden. Die Frage, die es in Zukunft zu beantworten gilt, lautet daher: Werden Europa und die USA angesicht der enormen Summen, die sich inzwischen im (großen) Spiel befinden, auf friedlichem Weg einen Interessensausgleich herstellen? Oder wird es zum Ausbruch eines offenen Handelskrieges kommen, dessen Vorzeichen immer spürbarer werden? Man denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an die massiven Drohungen der US-Handelsbeauftragten Charlene Barshefsky gegen die europäische Agrarordnung.


 
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