© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Südtirol: Denkmäler für gefallene italienische Soldaten erregen die Gemüter
Eine Verfälschung der Geschichte
Jakob Kaufmann

Nach den Diskussionen über die Zukunft des faschistischen "Siegesdenkmals" in Bozen und über den Aufstellungsort der "Dornenkrone", die die Teilung Tirols symbolisieren soll, ist der Südtiroler Denkmalstreit um ein Kapitel reicher. Unbekannte haben Mitte Mai eine der Grabstätten für die Gebeine italienischer Soldaten besprüht. In knallroter Farbe wurde in übergroßen Buchstaben der Satz "Keiner ist für dieses Land gefallen" an die Außenmauern des faschistischen Bauwerks auf der Malser Heide im oberenVinschgau geschrieben. Gemeint sind damit offensichtlich die über 300 dort begrabenen italienischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg im Kampf gegen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich an der Alpenfront gefallen sind.

Das faschistische Regime ließ in den dreißiger Jahren deren leibliche Überreste nach Südtirol überführen und demonstrativ in drei Gebeinhäusern beisetzen. Seit ihrer Errichtung sind diese Gedenkstätten umstritten, und seit Ende des Faschismus provozieren sie immer wieder Konflikte. Die Südtiroler forderten bereits mehrfach ihren Abbruch und die Umbettung der dort beigesetzten Soldaten nach Italien, denn keiner von ihnen ist in Südtirol gefallen. Darauf hat wohl auch der Sprüher angespielt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs stand kein italienischer Soldat auf dem Boden Südtirols. Die Front verlief weiter südlich durch die Alpen. Ihre Beisetzung in Südtirol wird daher als nachträglicher Versuch einer bewußten Geschichtsfälschung angesehen.

Genau dieses Ziel verfolgten die Faschisten: Mit der Errichtung einer Gedenkstätte jeweils in unmittelbarer Nähe der drei wichtigsten Grenzübergänge Richtung Norden wollte Benito Mussolini demonstrativ Österreich und dem Deutschen Reich signalisieren, daß Italien für den Grenzverlauf gekämpft haben und nicht im geringsten bereit sei, ihn preiszugeben. Rom wollte damit auch den Willen zur militärischenVerteidigung des Territoriums zum Ausdruck bringen. Diese Symbolpolitik war 1936 an die Adresse Wiens und Berlins gerichtet: In den beiden Hauptstädten, so die symbolische Botschaft, sollten man sich keinem falschen Hoffnungen hingeben. Nicht einmal die Annäherung an den österreichischen Ständestaat und an das Dritte Reich erlaubten, die territoriale Frage auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Mit Kriegsende 1945 erwarteten sich die Südtiroler eine Beseitigung aller faschistischen Symbole im Land. Das blieb in Südtirol aus, erfolgte jedoch im übrigen italienischen Staatsgebiet.

Ideologische und demokratiepolitische Bedenken dagegen sind bisher auf italienischer Seite nur selten aufgekommen. Das demokratische Italien beläßt die faschistischen Symbole in Südtirol.

Die Südtiroler haben weitgehend das Hinwegsehen über diese steinernen Ärgernisse gelernt. Dennoch befaßt sich der öffentliche Diskurs immer wieder mit den Gedenkstätten für die gefallenen italienischen Soldaten auf der Malser Heide, bei Innichen im Pustertal und bei Gossensaß am Brenner. In den sechziger Jahren waren sie Ziel von Bombenanschlägen. In den achtziger Jahren wurden die dort gehißten italienischen Fahnen entfernt, weswegen die Polizei die Fahnenmasten oft monatelang rund um die Uhr bewachte.

Das staatliche Denkmalamt wird nun entscheiden, ob und wie der aufgesprühte Satz am Gebeinhaus auf der Malser Heide entfernt wird. Seine Entscheidung wird Aufschluß über den Umgang des italienischen Staates mit seinem faschistischen Erbe in Südtirol geben.


 
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