© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Parteien: Baldur Springmann, Mitbegründer der Grünen, über die Anfänge der Ökoparteien
Unterschiede in der Erinnerung
Baldur Springmann

Mit zunehmender Verwunderung habe ich verfolgt, wie der Beitrag von Volker Kempf (JF 24/99) über die ÖDP und die widersprechenden Leserbriefe (JF 25/99 und 26/99) immer merkwürdigere Aussagen besonders über die Zusammenhänge zwischen GAZ und AUD brachten. Für mich jedenfalls deswegen so seltsam, weil manches in meiner Erinnerung mehr oder weniger anders aussieht. Nun ja, jede "Wirklichkeit" hat unterschiedliche Aspekte, je nachdem, von welcher Seite, welchem Standpunkt sie betrachtet und beschrieben wird. Das muß man und kann ich akzeptieren, solange nicht behauptet oder der Anschein erweckt wird, der jeweilige Aspekt repräsentiere die ganze Wirklichkeit.

So will ich mich vor solcher arroganter Behauptung bei der Darstellung meiner Erlebnisse und meiner Erinnerung daran sorgfältig hüten, obwohl ich diese Erinnerung schon sehr viel früher im zweiten Band meiner Biographie "Bauer mit Leib und Seele" unter Verwendung zahlreicher Dokumente auf 54 Seiten ausgebreitet habe Was darin nun mehr oder weniger von dem in jenen JF-Beiträgen Dargestellten abweicht, sei im folgenden verkürzt dargestellt.

"Atomindustrie" ersetzte das Feindbild "Russe"

Die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD), ursprünglich: Deutsche Gemeinschaft (DG), lernte ich im Herbst 1977 kennen, nachdem ein Vortrag August Haußleiters mit emphatischen Kampfansagen an die "Atom-Mafia" mich aufmerksam gemacht hatte. Was ich dann, hauptsächlich hier im Norden, an der Westküste Schleswig-Holsteins, kennenlernte, war ein Häufchen chauvinistischer und revanchistischer Flüchtlinge (wie es das als Minderheit eben auch gab), ziemlich verwirrt, weil ihr Chef ihnen anstelle des bisherigen Feindbildes "Russe" das Feindbild "Atomindustrie" verordnet hatte. Außerdem gab es da ein paar jüngere, langhaarige Mitglieder, die mit ihrer weit überlegenen Redegewandtheit bald durchsetzten, daß ich zum Vorsitzenden gewählt wurde.

Meine erfolglosen Versuche, entsprechend dem neuen AUD-Programm aus dieser Riege so etwas wie eine Ökopartei zu machen, gab ich erleichtert auf, als wir von der Grünen Liste Bad Segeberg mit den Initiativen der Grünen Listen Nordfriesland und Steinburg im Frühjahr 1978 die Grüne Liste Schleswig- Holstein (GLSH) gegründet hatten und ich mit unserer "Unvereinbarkeitsklausel" meinen Austritt aus der AUD begründen konnte.Das brachte mir eine verständliche Animosität von seiten Haußleiters, zu dem auch mein Verhältnis immer kühler wurde, je mehr er sich später im Vorstand der "SPV (Sonstige Politische Vereinigung) Die Grünen" für die "Öffnung für alle" und damit für die Einschleusung von Aktivisten der K-Gruppen einsetzte und mit seiner eloquenten Redekunst meinen Widerstand dagegen vor den jungen Leuten als "senile Berührungsängste" lächerlich machte.

Von der Grünen Aktion Zukunft (GAZ) lernte ich zunächst nur die außerordentliche Antipathie meiner Freundinnen und Freunde aus der GLSH gegen diesen "Haufen reaktionärer Spießbürger" kennen, was mich in meinen frühzeitigen Bemühungen um Vereinigung aller ökologischen Kräfte ziemlich einsam stehen ließ. Einer meiner später viel gescholtenen "Alleingänge" war daraufhin ein privater Besuch bei Herbert Gruhl in Barsinghausen, bei dem wir beide schnell erkannten, daß wir uns, wenn auch in recht unterschiedlicher Weise, doch für genau das gleiche Ziel einsetzten. Sowohl er wie ich waren später Hauptbetreiber beim Zusammengehen von GAZ, GLSH, GLU (Grüne Liste Umweltschutz Niedersachsen) und AUD bei der Gründung der "SPV Die Grünen" zur Europawahl 1979. Weder dabei noch zunächst bei der daraus hervorgegangenen Bundespartei lösten sich GAZ und GLSH auf, sondern es gab für sie eine Ausnahmemöglichkeit der Doppelmitgliedschaft.

Zur Vorgeschichte der ÖDP gehört als ursprüngliche Keimzelle derselben die Gründung der offensichtlich weitgehend in Vergessenheit geratenen Arbeitsgemeinschaft für Ökologische Politik bei den Grünen (AGÖP), mit welcher vor allem Lienhard Pallast als unermüdlicher Geschäftsführer und auch ich als Vorsitzender zunächst innerhalb der Grünen die ökologische Linie gegen die marxistisch-leninistische Überflutung zu verteidigen suchten. Nach unserem geschlossenen Austritt bei der Bundesversammlung in Dortmund 1980 war dann die AGÖP (nun nicht mehr "bei den Grünen") die eigentliche Triebfeder zu dem lockeren Zusammenschluß von GAZ, GLSH, Grüne Liste Bremen und AGÖP zu einer "Grünen Föderation".

Die ÖDP war praktisch eine wiedergeborene GAZ

Daraus eine neue Partei entstehen zu lassen, scheiterte an dem nur zögerlichen Mitwirken und teilweise Gegenwirken von GLSH-Leuten, dem zähen Widerstand des Bremers Olaf Diné und der vorsichtigen Zurückhaltung Herbert Gruhls. Von vielen AGÖP-Freunden wurde ich dazu bedrängt, nur auf unserer Basis die neue Partei aufzubauen. Das lehnte ich aber strikt ab, weil ich mich keineswegs auf so etwas wie eine "Baldurpartei" einlassen wollte. Da ich aber damals noch nicht die Überflüssigkeit oder gar Schädlichkeit des ganzen Parteiwesens erkannt hatte, sondern nach wie vor eine "echt grüne" Partei wollte, tat ich mich mit Gleichgesinnten zusammen, einer etwa zwanzigköpfigen Gruppe von GAZ-, AGÖP- und GLSH-Leuten, deren Kern und treibende Kräfte Maria Opitz, Barbara Schultze, Michael Matthiesen und ich waren.

In diesem Arbeits- und Freundeskreis ist sowohl der Name ÖDP erfunden als auch deren ursprüngliche Satzung und Programm erarbeitet worden. Herbert Gruhl ließ sich leider kein einziges Mal dabei sehen, er war auch noch nicht bei den Grünen ausgetreten, erhoffte sich wohl damals noch irgendwelche Einflußmöglichkeiten dort – so wie manch andere der "Urgrünen". Mir gegenüber begründete er seine Zurückhaltung damit, daß er voll mit der Arbeit an seinem neuen Buch ausgelastet sei, was ja sicher auch zutraf und unserer Sache ebenfalls sehr nützte.

Wiederum wurde ich, als die Grünen bei der Bundestagswahl eine Pleite erlitten, von vielen Freunden bedrängt, jetzt sei der einmalig günstige Moment zur Parteigründung, und wenn Gruhl nicht wolle, dann möge ich eben alleine grünes Licht geben. Vielleicht war es mein Fehler, die Gunst jener Stunde verstreichen zu lassen und solange zu warten, bis im Frühjahr 1982 Herbert Gruhl endlich soweit war, mitzumachen. Da hatten die Grünen aber schon wieder an Zugkraft gewonnen, und was da als ÖDP entstand, wurde – gerechterweise wegen der überwiegend aus ehemaligen GAZlern entstandenen Mitgliederzusammensetzung und bedauerlicherweise wegen der Streichung vieler progressiver AGÖP-Ideen – praktisch eine wiedergeborene GAZ.

Wie die dann später in das völlige Gegenteil umgekippt ist, kann ich nicht beschreiben, weil ich es nicht mehr miterlebt habe. Ich hatte mich längst nicht nur aus der ÖDP, sondern von jeglicher parteipolitischen Ambition verabschiedet. Und dies, weil ich wohl immer noch einigermaßen lernfähig bin und endlich die Quintessenz nicht nur aus jenen vier Jahren aktiver Parteipolitik, sondern darüber hinaus aus den Erfahrungen eines lebenslangen Bemühens um bäuerliche Lebensart gezogen habe.

Zu dieser Quintessenz gehört neben vielem anderen die Einsicht, daß zwar der Widerstand gegen lebensfeindliche Mächte wichtig ist, daß aber mit Antikommunismus und Antikapitalismus allein ebensowenig wie mit allem "Anti" auszurichten ist, daß es viel mehr auf unser "Pro" ankommt. Und das bedeutet in unserer Zeit in unserem Volk nicht nur den Einsatz für "Ökologie allgemein", also für die Wiederherstellung unserer Mutter Erde. Es bedeutet darüber hinaus besonders für uns Deutsche unseren Einsatz für die spezielle "Ökologie des Menschen", also eine zeitgerechte und zukunftsfähige Wiederherstellung des durch allerlei gewalttätige Irrlehren weitgehend zerrissenen Lebensgespinstes aus Naturverbundenheit, Heimatliebe und Volkstumsbewußtsein. Und dazu gehört die Einsicht, daß das Menschengebilde "Staat" nichts anderem zu dienen hat als dem Gottgedanken "Volk".

Es führt diese Quintessenz von daher weiter zu der Einsicht, daß alle noch so gut gemeinten parteipolitischen Ansätze, alle Initiativen einer nationalen Erneuerungsbewegung, alle journalistischen Bemühungen, die inganggesetzte Vernichtung unseres deutschen Volkstums aufzuhalten, vergeblich bleiben müssen, solange wir nicht die geistigen Voraussetzungen zur Bildung einer so starken Strömung geschaffen haben, die durch nichts mehr aufgehalten werden kann.

Solch eine Strömung muß aber, um ihrem Ziel so unwiderstehlich entgegenzustreben wie ein natürlicher Strom dem Meer, dieses Ziel klar vor Augen haben, es also so unmißverständlich und für alle in der Strömung mitfließenden Wässerchen einvernehmlich definieren können, wie es bisher leider überhaupt noch nicht gelungen ist. Und trotz der Einvernehmlichkeit der Zielbestimmung muß die Strömung eine solche Breite haben (wie sie eben einen Strom von einem Bach unterscheidet), daß alle kleinen Wässerchen darin unter Bewahrung ihrer Eigenart einen Platz finden. Die Quelle aber, aus welcher allein ein solcher Strom so nachhaltig gespeist werden kann, daß er das Leben unserer Heimat-Muttererde und das Leben unseres Volkstums einer neuen Zukunft entgegenträgt, diese Quelle ist unsere heute unter dem Schutt des Materialismus immer kläglicher erstickende Religiösität.

Mit Antikapitalismus allein ist wenig auszurichten

Unsere Religiösität! Das ist keine Konfession, kein Dogma, keine Kirche. Es ist das, was den einzelnen Menschen erst zum wirklichen Menschen macht, was ein Volk erst zu einem wirklichen Volk macht. Es ist die neben tausend immer wieder gebetsmühlenhaft heraufbeschworenen Schatten dennoch alle Haßgesänge leuchtend überstrahlende Lichtseite unseres Volkstums. Und erst wenn von diesem Gotteslicht ein Abglanz hell und weithin aus jedem von uns Volkstreuen strahlt, wenn insbesondere unser politisches Handeln davon durchleuchtet ist, dann erst werden wir uns selbst soviel geholfen haben, daß uns dann auch Gott hilft.

 

Baldur Springmann, geboren 1912 in Hagen/Westfalen,war in den 70er Jahren aktiv in verschiedenen Umweltschutzvereinigungen und in der Anti-AKW-Bewegung und gehörte zu den Mitbegründern der Grünen. Im Juni 1980 Austritt aus der Partei wegen Besetzung von Schlüsselpositionen durch K-Gruppen. Danach Mitglied der ÖDP. Rückzug aus der Parteipolitik 1981. Seine zweibändigen Lebenserinnerungen "Bauer mit Leib und Seele" erschienen 1995 im Verlag Siegfried Bublies, Koblenz.


 
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