© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Zitate

"Wenn man stolz auf dieses Grundgesetz ist, dann muß man es ernst nehmen, aber das hat man nicht getan. Im Artikel 146 steht zwingend vorgeschrieben: Im Fall der deutschen Einheit muß dem deutschen Volk eine Verfassung vorgelegt werden. Welch eine großartige Gelegenheit, streitbar ins Gespräch zu kommen! Es gab ja Vorschläge vom Bündnis 90, wunderbar formuliert. Sie enthielten 90 Prozent des alten Grundgesetzes und zehn Prozent DDR-Erfahrung. Die sind nicht einmal andiskutiert worden in Bonn. Für mich ist das Hochmut, Engstirnigkeit und mangelnde Verfassungstreue. Das ist auch ein Thema, das in meinem Buch immer wieder durchscheint."

Günter Grass, Schriftsteller, in einem Interview mit dem "Focus" vom 5. Juli 1999

 

 

"Der Gedanke, eine deutsche Regierung könne ihre Autorität dem Kriege verdanken, wäre noch vor kurzem frivol gewesen. Ohne den Gestus der Entlarvung und des moralischen Abscheus hätte man nicht einmal daran denken dürfen, daß der Krieg und das Interesse an der Macht miteinander etwas zu tun haben. Und nun geschieht genau dies: die allmähliche Verfertigung der Exekutive durch den Krieg."

Klaus Hartung, Journalist, in einem Beitrag für den "Merkur", Juli 1999

 

 

"Es gibt in Europa 19 Millionen Arbeitslose, wenn nicht längst mehr, um die sich niemand kümmert. Im Gegenteil: Sobald große Konzerne fusionieren, gehen massenhaft weitere Arbeitsplätze verloren. Der neue Kapitalismus läßt sich ganz einfach auf den Nenner bringen, daß die Konzerne ihre Gewinne verdoppeln, Arbeitsplätze abbauen – und der Aktienkurs schnellt in die Höhe."

Johannes Mario Simmel, Schriftsteller, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Profil" vom 5. Juli 1999

 

 

"Ich glaube, daß die meisten Nichtwähler aus Protest nicht gehen. Der Nachteil: Es hat keine Konsequenzen. Vielleicht sollten die Nichtwähler in der Form berücksichtigt werden, daß das Parlament nur so viele Sitze erhält, wie die anteilige Wahlbeteiligung ist; z.B. 500 mögliche Sitze, 50 Prozent Wahlbeteiligung, ergibt 250 tatsächlich vergebene Sitze. Dann würde auch das Nicht-zur-Wahl-Gehen im Ergebnis Berücksichtigung finden. Und die Damen und Herren Parlamentarier müßten sich ein paar mehr Gedanken machen."

Ulrich Westermann in einer Nichtwählerbefragung der "Frankfurter Rundschau" vom 3. Juli 1999

 

 

"Die Unterscheidung zwischen Milosevic und den Serben bleibt Rhetorik, sofern es um die Wirklichkeit geht, wie die plündernden und folternden UÇK-Leute in Prizren und Pristina beweisen. Umgekehrt ließ Josef Stalin 1945 an allen Plakatwänden der Sowjetischen Besatzungszone seinen Ausspruch affichieren, die Hitlers kämen und gingen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat blieben bestehen. Er korrigierte damit, ohne daß die Zeitgenossen es wahrnahmen, die Meinung des Schriftstellers Ilja Ehrenburg: ‘Die Deutschen sind keine Menschen. Von jetzt an läßt das Wort "Deutscher" das Gewehr losgehen.’ Goldhagens Buch lieferte zu Ehrenburgs Worten gleichsam ex post die Rechtfertigung und Begründung. Daß es wissenschaftlich anfechtbar ist, hat seinen Erfolg, der wesentlich ein deutscher Erfolg war, nicht beeinträchtigen können, es hat ihn wahrscheinlich sogar befördert. Goldhagens Technik bestand in einer ebenso eingängigen wie verkaufsförderlichen Simplifikation, auf welche die heute in unserem Land lebenden Enkel der Täter mit einer geradezu masochistischen Begeisterung reagierten, die man auch Sündenstolz gennant hat. Es war die abnorme Reaktion auf eine abnorme These."

Rolf Schneider, Schriftsteller und Publizist, in der "Welt" vom 5. Juli 1999


 
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