© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Neue Generation
von Sebastian Sasse

Vergangenes Wochenende gab die Love Parade ein eindringliches Zeugnis deutscher Jugendkultur in den 90er Jahren. Der Spiegel nahm dieses Ereignis zum Anlaß, die Entstehung einer neuen Generation, der "99er", zu behaupten. Ein erneuter Versuch nach den Modellen "68er", "78er" und "89er" die junge Generation in einem einheitlichen Bild zu fassen.

Die "99er" stellten eine Generation dar, die weder Verpflichtungen aus der Vergangenheit übernehmen möchte, noch Angst vor der Zukunft habe. Sie sei "leicht wie die Spreu im Winde, präsent auf jeder Benutzeroberfläche, aber geschichtslos, ohne Anker im Zeitgeist". Laut einer vom Hamburger Magazin in Auftrag gegebenen Emnid-Umfrage sind für 40 Prozent der befragten Jugendlichen Umweltgruppen wie Greenpeace ein Vorbild, auch seien Familie und Freundschaft Werte, die immer stärker an Bedeutung zunähmen, doch herrsche auch gleichzeitig ein "grenzenloser Konkurrenzkampf" zwischen den einzelnen Jugendlichen um bessere Berufschancen, ein höheres gesellschaftliches Ansehen und ähnliche Faktoren.

Man kann insgesamt mehrere Gemeinsamkeiten zwischen den Angehörigen der "99er"-Generation feststellen: Sie sind von ihrer Grundattitüde her unpolitisch, besitzen lediglich einen knapp bemessenen Kanon an gesellschaftlich vorgegebenen Werten, die aber bewußt so oberflächlich gehalten sind, daß sie keine konkrete Auswirkung auf ihre wirkliche Lebensgestaltung haben.

Man wirft seine Grundsätze gern über Bord, wenn es darum geht, sein Verhalten so zu optimieren, daß man den tagtäglichen "Kampf ums Dasein" überlebt. Gleichzeitig sind die Jugendlichen sich aber auch dieser Beliebigkeit in ihrer Lebensgestaltung bewußt. Diese Leere erzeugt ein schlechtes Gewissen. Der Jugendliche versucht es zu befriedigen, indem er wenigstens formell auf einige politische Problemstellungen reagiert. Die Themenfelder werden bereits durch Schule und Elternhaus von vornherein abgesteckt – heißen sie nun Umweltverschmutzung oder nationalsozialistische Vergangenheit. Wenn sie stichwortartig in die Diskussion geworfen werden, reagieren die Jugendlichen reflexartig darauf, um nun erfolgreich ihr Gewissen beruhigen zu können. Die Arten dieser Gewissensbereinigung fallen allerdings unterschiedlich aus. Die wenigsten nun werden tatsächlich politisch aktiv, um etwas zu verändern. Die Mehrheit will ihre Sehnsucht nach Gemeinschaftsgefühl diffus ausleben und hofft dies nicht zuletzt auf der Love Parade zu finden. Politisch harmlos und spaßorientiert bietet sich das Bild einer konturenlosen Generation, die auf eine Orientierung wartet.


 
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