© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Bundeswehrverband: Heftige Kontroversen zum Thema Kosovo
Zerreißprobe bestanden
Kai Guleikoff

Der Deutsche Bundeswehrverband soll der mitgliederstärkste Verein in Deutschland sein. An seiner Spitze steht seit Oktober 1993 Oberst Bernhard Gertz, ein gebürtiger Hamburger und diplomierter Jurist. Seit Oktober 1990 bestand auch für die "Genossen" der aufgelösten und teilübergeleiteten NVA die Möglichkeit, "Kamerad" im Bundeswehrverband zu werden. Die Resonanz war nicht überwältigend, auch weil viele ein Prozedere erwarteten, vergleichbar mit der Antragstellung zur Aufnahme in eine "Westpartei". Doch nichts dergleichen geschah, und der Bundeswehrverband konnte den "Landesverband Ost für die Ehemaligen" bilden.

Ohne Zweifel ein Verdienst des damaligen Bundesvorsitzenden Oberst Wenzel und seines Vorstandes. Doch die Flitterwochen des Beitritts der kleinen DDR zur großen BRD waren kurz. Der Alltag des Bundeswehrverbandes wurde dominiert von den Querelen um die Angleichung der Sozialsysteme und Dienstvergütungen an das "Westniveau". Den aktiven Kameraden Ost wird jetzt, nach zehn Jahren, 86,5 Prozent bewilligt – auch im Kosovo und auch im Todesfall den Hinterbliebenen.

Der Unmut darüber ist groß und brach sich Bahn mit Beginn der Aufnahme des Nato-Luftkrieges gegen Serbien. Eine Flut von Protestbriefen und -telefonaten ergoß sich über die Bundesgeschäftsstelle in der Bonner Südstraße. Die deutsche Bundeswehrbeteiligung wird gleichgesetzt mit dem deutschen Besatzungsregime im Zweiten Weltkrieg. Geschichtlich Spezialisierte sehen einen Vergleich in der heutigen Unterstützung der USA mit der damaligen für Italien.

Derartig geharnischte Überfälle hatte der 53jährige Bundesvorsitzende in seiner bisherigen Laufbahn noch nicht erlebt. Doch ein deutscher Luftwaffenoberst gibt nicht so schnell auf. In "Mitarbeiterbriefen" an die regionalen Vorsitzenden der Kameradschaften wurde aufgerufen, Loyalität zu wahren: So heißt es in einem Brief an den Vorsitzenden der Kameradschaft Strausberg/Brandenburg, Posteingang 24. April: "Ich rate Ihnen davon ab, in der Diskussion um die völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Legitimation der Nato-Aktionen Vergleiche mit den zweifellos rechtsstaatlichen Verfahren deutscher Gerichte gegen einzelne Angehörige der früheren DDR-Streitkräfte zu ziehen. (…) Kein deutscher Soldat muß argwöhnen, von der politischen Führung in einen strafrechtlich bedenklichen Einsatz geschickt worden zu sein."

Psychologisch ist die Aufgeregtheit in den Kameradschaften Ost aus mehreren Gründen verständlich. Nach der politischen Wende 1989/90 war die Meinung verbreitet, daß die Zeit der Kriege in Europa unwiderruflich vorbei sei. Serbien, als " Kernstück" Jugoslawiens, galt zwar nicht als "Waffenbruder", aber unter dem roten Stern als systemverwandt. Eine Reihe Ehemaliger in den Ost-Kameradschaften hat mit den vorwiegend serbischen Offizieren der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) in den Hörsälen sowjetischer Militärakademien zusammengesessen. Zwischen JVA und NVA gab es bis zur Wende eine "konsultative Ebene" in der Militärpolitik. Der Nato-Angriff auf den "Quasi-Bruderstaat" erzürnte die Gemüter daher nachhaltig – bis hin zu erfolgten Austrittserklärungen. Zahlen wurden dazu bisher nicht veröffentlicht.

Der Geschäftsführende Vorstand des Bundeswehrverbandes hielt es für notwendig, am 3. Mai 1999 erneut zur "Kosovo-Krise" im Bundeswehrverband Position zu beziehen. Ein Thesenpapier wurde verabschiedet. Neben den üblichen Zustimmungsbekundungen zur Politik der Bundesregierung kam es jedoch auch zu fadenscheinigen und mißverständlichen Aussagen:

l "Im Falle Jugoslawien/Kosovo kommt für unseren Verband ein Einsatz von Bodentruppen zur gewaltsamen Erzwingung des Friedens nicht in Betracht. Zu den Luftwaffeneinsätzen sagen wir ’ja‘.

l Das Gebot der Nothilfe für die Menschen, die sich nicht selbst erfolgreich wehren können, kann in diesem begründeten Einzelfall wesentlich schwerer wiegen als das sklavische Festhalten an Buchstaben der UN-Charta und an fragwürdigen Verfahren des UN-Sicherheitsrates.

l Der Vergleich des derzeitigen Luftwaffeneinsatzes mit dem Zweiten Weltkrieg hilft bei der Entscheidungsfindung nicht weiter. Damals handelte es sich eindeutig um einen deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieg und nicht im entferntesten um Nothilfe."

Der Schulterschluß mit der "Heer-Schau" des Zigaretten-Königs Reemtsma ist hier nicht zufällig gewählt worden. Das hatten die Kameraden im "Osten" aber inzwischen gelernt, sich nichts mehr "vorgeben" zu lassen. Die Kritik an der Position des Vorstandes des Bundeswehrverbandes hält weiter an. Die Söhne und Töchter von nicht wenigen "Ehemaligen" sind jetzt aktive Dienstgradträger der Bundeswehr. Der Austausch von Erfahrungen ist daher wesentlich größer und prägender, als sich die Hardthöhe bzw. der Bendlerblock vorstellen kann.

Beachtenswert ist auch die Tatsache, daß in den Kameradschaften Ost das Gedankengut der PDS vorherrscht. Diverse pazifistische Plakate und Losungen werden mit "Parteistrategie" entschuldigt. Die NVA war die politische Armee der Staatspartei SED, über 95 Prozent der Berufssoldaten waren Parteimitglieder. Nur auf dieser Grundlage ist die formulierte Selbsteinschätzung zu verstehen: "Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Kosovo-Krieg der Nato hat zu Bekenntnissen herausgefordert, deren Wirkungen auch an unserer Kameradschaft nicht spurlos vorübergegangen sind. Ohne Ausnahme ist dieser Krieg von den Kameradinnen und Kameraden verurteilt worden. ... Der Vorstand bedauert den Austritt von Mitgliedern aus politischer Unvereinbarkeit der Verbandszugehörigkeit mit der Meinung des Bundesvorsitzenden zum Kosovo-Krieg der Nato."

Die anerzogene Unerbittlichkeit des ideologischen Denkens wird jedoch auch in der hart erscheinenden Aussage in dem Rundbrief Nr. 3/99 der Kameradschaft Strausberg vom 15. Juni 1999 sichtbar: "Eher und richtiger wäre zu erwarten gewesen, wenn diese nunmehr ehemaligen Kameraden wegen der politischen Unvereinbarkeit die Bundesrepublik Deutschland verlassen hätten."

Oberst Bernhard Gertz hätte solche Worte selbst am Ende eines langen Empfanges nicht geäußert. Ostwind wird auch in der freien Natur immer als unangenehm empfunden. Doch er wirkt verjüngend. Der Deutsche Bundeswehrverband scheint nach zehn Jahren gemeinsam erlebter Ost-West-Kameradschaft wieder eine gesunde Gesichtsfarbe zu bekommen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen