© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Nachruf: Zum Tod des Politikwissenschaftlers Theodor Eschenburg
Warnung vor dem totalen Parteienstaat
Klaus Hornung

Mit Theodor Eschenburg ist der letzte Vertreter der Gründergeneration der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik aus dieser Welt gegangen. Sein Leben umspannt fast 95 Jahre dieses denkwürdigen Jahrhunderts.

Am 24. Oktober 1904 in Kiel als Sohn eines Seeoffiziers geboren, studierte Eschenburg Geschichte und Staatswissenschaft in Tübingen und Berlin. Schon mit 24 Jahren wurde er 1928 Privatsekretär des Reichsaußenministers Gustav Stresemann. Zwei Jahre später, 1930, kandidierte er für die Deutsche Staatspartei, in der sich die Deutsche Volkspartei, die Deutsche Demokratische Partei und der Jungdeutsche Orden zu einem der letzten Versuche der liberalen Mitte zusammengeschlossen hatten, sich gegen die nationalsozialistische Welle zu behaupten. Die Welt der Politik, ihrer Institutionen, Menschen und Verfahren hat ihn jedenfalls von frühauf fasziniert. Die zwölf Jahre der NS-Herrschaft überbrückte er in der Wirtschaft. 1945 war er zunächst Flüchtlingskommissar in Südwürttemberg-Hohenzollern, dann stellvertretender Innenminister und Staatsrat in dessen "Hauptstadt" Tübingen.

Hier entdeckte er auch seine pädagogische Ader, die Leidenschaft, Politik der nachwachsenden Generation zu vermitteln. 1952 wurde Eschenburg Ordinarius für Politikwissenschaft in Tübingen. Aus seinen Lehrveranstaltungen sind bald wichtige Bücher hervorgegangen, die ihn bekannt werden ließen, vor allem das Grundlagenwerk "Staat und Gesellschaft in Deutschland" (zuerst 1954), das mehrere Auflagen erlebte. Das Besondere an Eschenburgs Darstellungsweise war, daß er Politik nicht am grünen Tisch studierte und dozierte, sondern stets "aus der Praxis und für die Praxis" vermittelte. Das imponierte damals nicht nur uns Jungen, sondern führte auch dazu, daß Politiker seinen Rat suchten. Er meldete manchmal recht deutliche Kritik an, wenn ihm bestimmte Entwicklungen aus dem Ruder zu laufen schienen zum Schaden der gewaltenteilenden und rechtsstaatlichen Demokratie, so etwa zum Thema der "Herrschaft der Verbände" und der "Ämterpatronage" durch Verbände und Parteien, Themen, die unseren kritischen Blick auf die Verfassungswirklichkeit schärften.

Trotz aller Rühmung Theodor Eschenburgs als "Wächter der Verfassung", der die "Spielregeln" der Politik brillant vermittelte, fuhren die Rühmenden gleichwohl fort mit ihrer Tendenz des Verfassungswandels der Bundesrepublik Deutschland von der repräsentativen Demokratie zum "totalen Parteienstaat", eine Entwicklung, die die Zustimmung des klassisch-liberalen Eschenburg nicht finden konnte. Davon wird in diesen Tagen des Abschieds von ihm in unserer veröffentlichten Meinung aber wohl kaum die Rede sein.

Der politische Lehrer hat uns den ersten Teil seiner Erinnerungen hinterlassen unter dem Titel "Also hören Sie mal zu. Geschichte und Geschichten 1904 bis 1933" (Siedler Verlag, Berlin 1995). Den zweiten, wohl gewichtigeren Teil hat er leider nicht mehr vollenden können. Thedor Eschenburg starb am vergangenen Wochenende im Alter von 94 Jahren in Tübingen.


 
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