© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Malte Olschewski: Der serbische Mythos. Die verspätete Nation
Von den Türken wurden sie gepfählt
Holger von Dobeneck

Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit. Dies ist ein geflügeltes Wort im deutschen Journalismus geworden. Es stammt ursprünglich von der Serbin Mira Beham, die 1996 das aufsehenerregende Buch "Kriegstrommeln" über Medien, Krieg und Politik schrieb. In diesem weist sie die Macht der internationalen Public-Relations-Agenturen nach, die mit unsichtbarer Hand die internationale öffentliche Meinung lenken. Diese Firmen, meist angelsächsischer Provenienz, werden mit einem Millionenetat eingekauft, um das Image ganzer Länder in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu manipulieren.

Mira Beham deckt auf, daß am 12. August 1991 die kroatische Regierung die amerikanische Public-Relations-Firma Rudder Finn Global Public Affairs anheuerte, die später auch PR-Kampagnen für Bosnien-Herzegowina und die Albaner der Provinz Kosovo führte. In dem Vertrag heißt es, daß die Firma Public-Relations-Maßnahmen für Regierungsangelegenheiten mit dem "Zweck, Strategien und Taktiken für die Kommunikation mit Mitgliedern des US-Repräsentantenhauses und des Senats zu entwickeln und umzusetzen", durchführen soll. Vom 1. bis 23. Oktober 1991 verteilte Rudder Finn daraufhin Informationsmaterial im Kongreß, das Kroatien als das hilflose Opfer serbischer Aggressionspolitik auswies. Video-Clips mit schrecklichen Bildern wurden produziert. Die meisten dieser Clips waren offensichtliche Lügen und Falsifikate. Sie wirkten aber im Sinne eines Stereotyps, nämlich der Zugehörigkeit Kroatiens zur westlichen katholischen Zivilisation, wohingegen die Serben in die Ecke der Barbarei gedrängt wurden. So wurde die serbisch-orthodoxe Kultur als orientalisch verwildert unter jahrhundertelanger osmanischer Herrschaft dargestellt. Desgleichen sollten Rudder Finn und die Agentur Waterman and Associates dem Eindruck entgegenwirken, daß auch Kroatien eine Aggressionspolitik in Bosnien-Herzegowina führe. Die Krisenkommunikation von Rudder Finn bewirkte, daß sich Kroatien als homogener Nationalstaat gegen Serbien durchsetzen konnte. Der geschickteste Schachzug dabei war (targeting Jewish audience), das jüdische Publikum in der öffentlichen Meinung für sich einzunehmen und unter Verwendung emotional stark aufgeladener Begriffe eine Nähe der Serben zu den Nationalsozialisten herzustellen. Standen die Vorwürfe über Konzentrationslager und Völkermord erst einmal im Raum, waren sie kaum mehr zu entkräften. In der von der Theodor-Herzl-Stiftung herausgegebenen Zeitschrift Midstream kommentierte Yohanan Ramati, Direktor des Jerusalem Institute of Western Defense, im April 1994 die Propagandakampagne zum Krieg auf dem Balkan so: Der Bürgerkrieg im Balkan dauert an, mit unsäglichem Leid auf allen Seiten. Die Medien berichten über das Leid der Muslime mit allen Details, das Leid der Serben wird ignoriert.

Dies ist eine Erfahrung, die die Serben in ihrer blutigen Geschichte immer wieder machen mußten. Jahrhundertelang standen sie unter blutiger Verfolgung. Schon in der Urzeit, als die Serben noch der Religion der Bogumilen angehörten, wurden sie von Byzanz blutig verfolgt. Die Bogumilen besaßen eine beinahe protestantische Innerlichkeit, doch zur Verspottung dieses Prinzips innerer Erleuchtung ließ Kaiser Basileo von Byzanz 1.500 Bogumilen blenden. Nur je einer erhielt ein Auge übrig, der dann die Hundertschaften führen sollte.

Historisch kann man Bosnier und Serben als ethnische Brüder betrachten, doch die osmanische Eroberung trennte die gemeinsame Entwicklung. Wie Ivo Andric in der "Brücke über die Drina" anschaulich schilderte, gingen die Türken mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen die Serben vor. Sie stahlen ihnen die Kinder und entführten sie in ihr Kadettenkorps der Janitscharen nach Istanbul, von wo aus sie dann kamen, um ihre Eltern zu massakrieren. Eine türkische Spezialität war es, Gefangene zu pfählen unter Verschonung lebenswichtiger Organe, so daß ein langes Leiden garantiert war. Dies alles wurde zum unauslöschlichen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Serben. Daraus entstand – so der Publizist und Balkan-Experte Malte Olschewski – der "serbische Mythos", daß in der Geschichte eine Wiederholung des Immergleichen stattfindet und Serbien dabei von allen Seiten verraten wird. Nicht nur die legendäre Schlacht auf dem Amselfeld 1389, die die Serben gegen die Türken verloren, sondern auch die vermehrten Hilfsdienste, die die Serben Österreich-Ungarn in der Abwehr der türkischen Angriffe lieferten, brachten es mit sich, daß die Serben sich als Retter des Abendlandes vor dem türkischen Joch fühlten.

Unvergessen sind auch die Massaker der kroatischen Ustascha, die nach dem Motto vorgingen: "Ein Drittel Serben sind zu vertreiben, ein Drittel ist zu bekehren, und ein Drittel ist zu eliminieren". Tito, der Sohn eines Kroaten und einer Slowenin, ließ Hunderttausende Deutsche und Kroaten umbringen und hat somit den Völkermord auf dem Balkan wiedereingeführt. Im Sommer 1945 quollen die Leichenberge in Banja-Luka, das sich zu einem regelrechten killing field entwickelte. Sie verursachten Erdbewegungen und schmatzende Geräusche, es schien als ob die Erde schwer atmen würde; "Tito spricht", sagten damals die serbischen Bauern.

All diese Greueltaten haben sich in den Gesängen der Guslaren und der mündlichen Tradition erhalten. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Serben die Gewalt als Teil ihres Lebens haben begreifen müssen.

Aus der sie ringsum umgebenden Feindlichkeit haben die Serben daher eine Ideologie des Nationalstaates entwickelt. Dieser allein kann ihnen die Garantie eines gewissen Schutzes in einer feindlichen Welt bieten.

Ihr Heil sehen sie daher in der Familie und nicht in Großkonzernen. Durch die Bestrebungen der Vereinten Nationen und der US-Amerikaner fühlen sie ihr Allerheiligstes gefährdet, sie möchten nicht zu einer folkloristischen Gruppe in einem multiethnischen Staat werden, dem sie zutiefst mißtrauen. Wo immer supranationale Staaten errichtet werden, sehen sie die Demokratie in Gefahr. Der synthetische Weltmensch gefährdet ihr Gemeinschaftsgefühl.

Jean Baudrillard, französischer Philosoph, bringt die serbische Gemütslage auf den Punkt: "In Bosnien bekämpfen wir im Namen eines multikulturellen Europas die Serben. Geopfert wird dabei eine Gesellschaft, die mit ihren Werten einer gleichgültigen und wertlosen Weltordnung widersteht. (…) Das ist der Terrorismus einer Kultur ohne Fundament. Es ist der Integrismus der Leere." Dies also macht den serbischen Mythos aus, den Mythos einer verspäteten Nation.

 

Malte Olschewski: Der serbische Mythos. Die verspätete Nation, Herbig Verlag, München 1998, 478 Seiten, 49,90 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen