© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/99 23. Juli 1999


Politische Korrektheit: Warum ein Arzt die Behandlung von zwei Kindern ablehnte
In der Praxis nicht mehr geduldet
Karl-Peter Gerigk

Wer heute als Taxifahrer in Deutschland gegen Asylbewerber wettert oder spontan und unreflektiert etwas zum Thema Überfremdung sagt, kann schon seine Lizenz verlieren oder wegen Volksverhetzung belangt werden. Im "freiesten Staat deutscher Geschichte" ist es schon lange nicht mehr so, daß jeder seine Meinung frei äußern kann oder sich nach seinen Überzeugungen politisch engagieren darf, ohne mit Konsequenzen für sich und seine Familie rechnen zu müssen. Der Fall des Familienvaters Timo Pradel, dem wegen seiner Mitgliedschaft in der NPD die Behandlung seiner Kinder verweigert wurde (die JUNGE FREIHEIT berichtete), ist ein kennzeichnendes Beispiel für die zunehmende Intoleranz hierzulande.

"Wer heute seine nationale Gesinnung in Deutschland nicht verschweigt oder verwischt, wird diskriminiert", erklärt Timo Pradel aus Iserlohn-Letmathe im Gespräch mit dieser Zeitung.

Als der Iserlohner Kinderarzt Dr. Norbert Falkenberg von dem parteipolitischen Engagement Timo Pradels bei der NPD des Bezirks hörte, lehnte er die weitere Behandlung seiner zwei und drei Jahre alten Kinder schlichterdings ohne genaue Begründung ab. Nachdem Dr. Falkenberg in der Lokalzeitung von der Funktion des Familienvaters bei den Nationaldemokraten gelesen hatte, verwies er die gesamte Familie in Anwesenheit seiner Sprechstundenhilfe und anderer Patienten der Praxis. Sie müßten sich einen anderen Arzt für die Kinder suchen, sagte Falkenberg, denn er könne es nicht verantworten, jemanden in seiner Praxis zu dulden, der solche gesellschaftspolitischen und ideologischen Überzeugungen vertrete, wie dies bei der NPD der Fall sei.

Das Vertrauensverhältnis, daß zwischen der Familie und dem Arzt als Grundlage einer Behandlung herrschen müsse, sei nicht mehr gegeben. Das sei nach Angaben des Arztes Grund genug, den Kindern die medizinische Hilfe zu verweigern.

Auch wenn Dr. Falkenberg darüber hinaus eine Stellungnahme gegenüber der JUNGEN FREIHEIT mit Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht verweigerte, sind seine Ansichten zum Beispiel in der Neuen Zürcher Zeitung vom 18. Juni nachlesen. "Ich will mit solchen Leuten nichts zu tun haben" Und: "Ich wollte sie loswerden", sagt er dort über seine Motive, die Behandlung der Kinder abzubrechen. Zudem würde er viele Ausländer in seiner Praxis behandeln und wolle verhindern, daß es zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen und dem NPD-Vater komme.

Einen konkreten Anlaß hat der Arzt für solche Vermutungen nicht gehabt. Das Verhalten ist für einen Mediziner, der dem Eid des Hippokrates verpflichtet ist, denn auch eher ungewöhnlich. Im Gegenteil, meint dazu Timo Pradel "Wir hatten zu dem Doktor eher ein gutes Verhältnis und auch Vertrauen. Wir sprachen auch oft über private Dinge." Selbst Falkenberg gibt zu, daß sich die Familie in der ganzen Zeit – und er behandelte die Kinder seit drei Jahren – eher unauffällig gegeben habe. Um so verwunderlicher ist die plötzliche Abweisung der Kinder, denen selbst politische Ideen noch nicht ernsthaft vorgeworfen werden können.

Schaut man sich die Vita von Norbert Falkenberg an, dann erscheint die Verweigerung der Behandlung der Kinder des NPD-Funktionärs als der bewußte Versuch einer Selbstdefinition. Falkenberg, 57 Jahre alt, ist Ostpreuße und kam 1948 mit seinen Eltern nach Westdeutschland. Selber als "Rucksackdeutscher" diskriminiert, entwickelte er offensichtlich eine besondere Sensibilität für jene Gruppen in der Gesellschaft, die von Ausgrenzung betroffen scheinen. Er ist mit einer Portugiesin verheiratet, und aufgrund seiner Erfahrungen als Arzt mit der Situation von Ausländern in Deutschland meint er, gegen alles Anti-Multikulturelle etwas unternehmen zu müssen. "Wir haben das Recht, etwas dagegen zu unternehmen", erklärt er. Es erscheint schon bemerkenswert, daß ein Mediziner seine ärztliche Pflicht vor einem politischen Hintergrund definiert und sich nicht ausschließlich am hippokratischen Eid orientiert.

Die Haltung des Arztes wird unterstrichen durch die absolute Kontaktvermeidung, die er sich selbst in bezug auf seine ehemaligen Patienten auferlegt hat. Nicht einmal die Briefe, mit denen Timo Pradel die Patientenunterlagen seiner Kinder anforderte, um eine Weiterbehandlung bei einem anderen Arzt zu ermöglichen, wurden von Falkenberg beantwortet. Sie landeten ungeöffnet im Papierkorb.

Timo Pradel hat nun neben einer Beschwerde gegen den Arzt bei der Ärztekammer auch rechtliche Schritte eingeleitet, da er Falkenbergs Verhalten als eine Vernachlässigung ärztlicher Pflicht und auch als eine Verletzung des Berufsethos eines Mediziners ansieht.

Nachdem zuerst die Ärztekammer dem Doktor ein völlig korrektes Verhalten bescheinigt hat, wird dies heute jedoch relativiert. Bertram Koch von der Rechtsabteilung der Kammer verweist heute ausdrücklich auf das "Genfer Gelöbnis", wonach sich der Arzt verpflichtet, bei Patienten keinen Unterschied hinsichtlich Religion, Nationalität, Rasse, Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung zu machen. Eine Beschwerde von Timo Pradel ist vor diesem Hintergrund nicht aussichtslos.


 
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